Vor 25 Jahren: Einmarsch in Kuwait

"Man dachte, Kriege sind machbar"

Golfkrieg von 1991 - US-Streitkräfte: Ein amerikanischer Schützenpanzer vor brennenden Ölfeldern nahe der kuwaitisch-irakischen Grenze am 2.3.1991. Die Golfkrise hatte am 2.8.1990 mit dem Einmarsch irakischer Truppen nach Kuwait begonnen. Der UN-Sicherheitsrat forderte daraufhin am 29.11.1990 den Irak auf, seine Truppen bis zum 15.1.1991 aus Kuwait zurückzuziehen. Nach Ablauf des UN-Ultimatums begannen am 17.1.1991 alliierte Streitkräfte unter der Führung der USA mit der Bombardierung Bagdads. Der Golfkrieg endete nach dem Einlenken Iraks am 28.2. 1991 mit der Einstellung aller Kampfhandlungen. Am 20..3.2003 haben amerikanische und britische Truppen einen neuen Krieg gegen den Irak begonnen.
Ein amerikanischer Schützenpanzer vor brennenden Ölfeldern nahe der kuwaitisch-irakischen Grenze am 2.3.1991. © picture alliance / dpa / epa / afp
Ulrich Tilgner im Gespräch mit Ute Welty · 01.08.2015
Am 2. August 1990 startete der irakische Diktator Saddam Hussein den Einmarsch ins Nachbarland Kuwait. Die UN nahm den Bruch des Völkerrechts nicht hin. Der frühere Nahostkorrespondent Ulrich Tilgner hält den folgenden Irakkrieg 1991 für die Grundlage der fatalen Entwicklung in der Region.
Der Überfall irakischer Truppen auf Kuwait vor 25 Jahren und der anschließende Irakkrieg 1991 zur Rückeroberung des Golf-Emirates hat nach Ansicht des Nahostexperten Ulrich Tilgner zu fatalen Entwicklungen im Mittleren Osten geführt.
"Es ist der Einstieg in eine neue Phase der Geschichte des Mittleren Ostens geworden. Damals dachte man, Kriege sind machbar", sagte der damalige Nahost-Korrespondent im Deutschlandradio Kultur anlässlich des Jahrestages des Einmarsches der Truppen des irakischen Diktators Saddam Husseins in den Nachbarstaat Kuweit am 2. August 1990.
Ein schneller Befreiungskrieg mit wenig Verlusten führt zur Fehleinschätzung
Der folgende Einsatz einer militärischen Allianz unter Führung der USA, auf der Grundlage einer Resolution des UN-Sicherheitsrats, sei zunächst ein schneller Krieg mit wenig Verlusten gewesen. Dieser Irakkrieg, der mit der Befreiung Kuwaits und der irakischen Niederlage endete, habe zur Fehleinschätzung "Kriege sind machbar" und damit zu den späteren Kriegen der USA ab 2003 geführt. "Das ist die ganz große Selbsttäuschung gewesen. (...) Es war der Anfang in eine Geschichte, die für den Mittleren Osten und auch die USA sehr fatal war", erklärte der ehemalige ZDF- und SRF-Nahost-Korrespondent, der für seine Berichterstattung über den Irak-Krieg mit dem Hanns-Joachim-Friedrich-Preis für Fernsehjournalismus 2003 ausgezeichnet wurde.
Neue Orientierung in der Weltpolitik
"Das war ja ein politisches Großereignis (...) die Welt hielt den Atem an," erinnerte sich Tilgner an die Ereignisse von 1990. Saddam Hussein sei sich sicher gewesen, dass die Weltgemeinschaft ihm diesen Einmarsch in den Nachbarstaat durchgehen lasse, da er davon ausgegangen sei, dass die zerfallende Sowjetunion die USA an einem Krieg gegen den Irak hindern würde. Zudem habe der irakische Diktator nicht damit gerechnet, dass die USA sich in ihrer Weltpolitik weg vom Osten hin zu Orient orientieren würden.
Medien werden für Propaganda missbraucht
Im anschließenden Irak-Krieg hätten die USA die Medien gezielt genutzt, um Ziele in ihrer Kriegsführung durchzusetzen, erinnerte sich Tilgner, der damals als Nahost-Korrespondent in der jordanischen Hauptstadt Amman arbeitete und während des folgenden Irak-Krieges 1991, sowie auch 2003 aus Bagdad berichtete. "Es fing damit an, dass eine Rakete den Krieg eröffnete, die an einem Hotelzimmer vorbeiflog, von CNN aufgenommen wurde und siehe da, es hieß: Das ist die Echtzeitberichterstattung in Kriegen", so Tilgner, der mehr als 30 Jahre lang aus den Ländern Jordanien, Iran, Irak und Afghanistan für diverse Medien, unter anderem für die ARD, das ZDF und das Schweizer Fernsehen (SRF) berichtete.
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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Wenn heute von einer irakischen Offensive die Rede ist, dann wird das von der Weltgemeinschaft eher positiv begleitet, denn diese irakische Offensive richtet sich gegen die Terroristen des Islamischen Staats. Vor 25 Jahren war das anders. Da marschierten irakische Soldaten gegen Kuwait, auf Befehlt des damaligen Machthabers in Bagdad, auf Befehl von Saddam Hussein. Kuwait habe illegal irakische Ölquellen angezapft, so argumentierte Hussein auch gegenüber den Amerikanern, die den Einmarsch dann aber keineswegs akzeptierten. Der Zweite Golfkrieg war die Folge, der wie kein Krieg vorher auch die Medien eroberte – vielleicht auch zur Kapitulation zwang. Zu den Gesichtern, die die Berichterstattung über diesen Krieg prägten, gehörte auch das von Ulrich Tilgner. Guten Morgen, Herr Tilgner!
Ulrich Tilgner: Morgen, Frau Welty!
Welty: Als Hussein am 2. August 1990 in Kuwait einmarschieren ließ, da waren Sie als der zuständige Korrespondent in Amman. Wann und wie haben Sie von diesem Ereignis erfahren, das Ihr Berufsleben ja doch massiv beeinflussen sollte?
Tilgner: Das erinnere ich gar nicht mehr so genau, aber es kann eigentlich nur ein Anruf aus Deutschland gewesen sein. Denn ich war damals so überrascht, als jemand sagte, die Iraker sind in Kuwait einmarschiert. Das hat mich getroffen, weil ich überhaupt nicht damit gerechnet hatte. Aus der Rückschau war das vielleicht etwas naiv, aber damals lag das eigentlich nicht in der Luft. Das war ja eine politische Großsensation, so muss man das nennen.
Welty: Das heißt, Ihnen war auch nicht sofort klar, was wir heute wissen, nämlich, wie weitreichend die Konsequenzen dieses Einmarsches bis heute sein werden?
Fehlkalkulation Saddam Husseins
Tilgner: Das hat sich ja erst allmählich herausgestellt. Dass es wahnsinnige Konsequenzen haben würde, war von Anfang an klar, denn wenn ein Staat einen anderen während eines einzigen Tages einfach so schluckt, so war das ja, dann wurde das international nicht hingenommen. Die Welt, das konnte man spüren, hielt damals den Atem an. Und was ich nicht geglaubt habe, war, dass die Iraker sich nicht doch irgendwann wieder zurückziehen würden. Denn es hatte sich ja hinterher klar gezeigt, Saddam Hussein war davon ausgegangen, es würde keinen Krieg geben. Er dachte, er würde mit diesem Kraftakt durchkommen. Und das war die große Fehlkalkulation von ihm.
Welty: Warum hat er sich an der Stelle so geirrt?
Tilgner: Es war wohl damals der Ost-West-Gegensatz, der ihn zu dieser falschen Einschätzung geführt hat. Er hat gedacht, die Sowjetunion, die ja zerfiel damals, genau in diesen Monaten, in denen er in Kuwait war, würde doch noch die USA daran hindern, einen Krieg um Kuwait zu führen. Das war die große falsche Einschätzung. Und ich glaube, das Zweite, was er auch nicht gedacht hatte, dass der Westen, der ja immer mit dem Osten beschäftigt war, sich auf einmal Richtung Orient orientieren würde. Das war ja eine neue Phase der Weltpolitik, die damals begonnen wurde durch die USA, und damit Hussein nicht gerechnet, und das war seine große Fehleinschätzung, und dafür hat er ja auch bitter gebüßt.
Welty: Vom ersten Moment an spielte ja Propaganda eine große Rolle, und zwar in einer Zeit, die quasi noch ohne Internet auskam oder auskommen musste. Wie sind Sie mit diesen verschiedenen Formen der Einflussnahme umgegangen, auch gerade später als Berichterstatter in Bagdad?
Die Medien wurden für Kriegs-Propaganda genutzt
Tilgner: Das war sehr, sehr schwierig, weil man noch gar nicht wusste, was wie lief. Die Berichterstattung ist ja ein Gegenstand der großen Propaganda gewesen. Ich weiß immer noch, dass in Berichten hinterher oder vorher gesagt wurde, "unter den Bedingungen der Zensur sitzt der Zensor neben Ihnen", und dann habe ich immer brav ja gesagt, obwohl der da gar nicht saß. Weil ich wusste, dieser Mann wird enorme Probleme bekommen, wenn ich sage, der sitzt da nicht. Das hätte ihn das Leben kosten können im Irak. Also das war ganz merkwürdig. Es hieß immer, Saddam Hussein manipuliert, aber die Amerikaner haben natürlich gewaltig manipuliert. Das fing damit an, dass eine Rakete den Krieg eröffnete, die an einem Hotelzimmer vorbeiflog, von CNN aufgenommen wurde. Und siehe da, es hieß, das ist die Echtzeitberichterstattung in Kriegen. Also die Medien wurden von den USA, so würde ich das heute sehen, ganz gezielt genutzt, um Ziele in ihrer Kriegsführung durchzusetzen.
Welty: Wenn Sie jetzt auf den Irak schauen, nach 25 Jahren, hat die Weltgemeinschaft richtig reagiert auf den irakischen Einmarsch in Kuwait?
Man dachte, Kriege sind machbar - das ist die ganz große Selbsttäuschung gewesen
Tilgner: Das ist ganz schwer zu beantworten, ich traue mir da eigentlich keine richtige Entscheidung zu. Auf der einen Seite war klar, Saddam Hussein durfte damit nicht durchkommen. Auf der anderen Seite war klar, Krieg ist nicht das richtige Mittel. Es ist der Einstieg in eine neue Phase der Geschichte des Mittleren Ostens geworden. Und damals dachte man, Kriege sind machbar, und das ist, glaube ich, die ganz große Selbsttäuschung gewesen. Der Krieg ist ja finanziell nicht so teuer gewesen, er hat die Amerikaner wenige Dutzend Milliarden Dollar gekostet. Heute weiß man, dass der spätere Irak-Krieg, also 2003, und der Afghanistan-Krieg Tausende von Milliarden Dollar gekostet haben. Also es war damals ganz anders, der Krieg war schnell, es hat wenig Verluste gegeben, und das Ergebnis war, eine Aggression wurde zurückgedreht. Das sah alles ganz positiv aus, und dass damit ein neues Kapitel von, ich würde sagen, Geschichte geschrieben wurde, das war wirklich nicht so klar.
Welty: Hat man aus dieser Geschichte gelernt?
Tilgner: Ich glaube nicht. Im Gegenteil, es war so: Man hat gedacht, Kriege sind machbar, hat dann die weiteren Kriege geführt, und aus der Rückschau dachte man zuerst, dieser Krieg war machbar, und Bush junior, also der Sohn des damaligen Präsidenten Bush senior, hat die Kriege weitergeführt in einer verantwortungslosen Weise. Und Dick Cheney war ja der Vizepräsident während der späteren Kriege, er war damals Verteidigungsminister. Es gibt eine doch große Kontinuität und nicht nur die Unterschiede in diesen Kriegen, und erst hat man auf die Unterschiede geschaut. Ich würde sagen, heute muss man sehen, es war der Anfang in eine Geschichte, die für den Mittleren Osten und auch für die USA sehr fatal war.
Welty: Am 2. August 1990 schickt Saddam Hussein seine Truppen gegen Kuwait und verändert damit auch das Leben von Journalist Ulrich Tilgner. Herr Tilgner, haben Sie Dank für dieses Studio-9-Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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