Vor 125 Jahren

Die Rückkehr der Plankton-Expedition

Heute ist ein Forschungsschiff nach Victor Hensen benannt.
Heute ist ein Forschungsschiff nach dem deutschen Meeresbiologen Victor Hensen benannt. © dpa/picture alliance/Ingo Wagner
Von Irene Meichsner · 07.11.2014
Für den Biologen Victor Hensen und fünf weitere Wissenschaftler begann 1889 ein großes Abenteuer: Sie fuhren mit einem Forschungsschiff bis zum Amazonas, um das von ihnen entdeckte Meeres-Plankton zu untersuchen. Vor 125 Jahren kehrten sie nach Kiel zurück.
"12 Flaschen Öl, ...., 10 Dosen Ochsenzungen, 24 Dosen Corned Beef ..., getrocknetes Obst, ... 30 Pfund Bohnen, 25 Pfund Reis, 150 Pfund Zucker, Erbsen, Linsen, Nudeln, diverse Käse, ..., verschiedenes lebendes Geflügel nebst Futter ..., 950 Flaschen Bier, 800 Flaschen Wein und Spirituosen, 1.200 Flaschen Selterswasser."
Der Proviant musste für mindestens vier Monate reichen. Für sechs Professoren aus Norddeutschland begann im Juli 1889 das große Abenteuer: Auf der "National", einem zum Forschungsschiff umgebauten ehemaligen Kohlendampfer, wollten sie von Kiel aus über den Atlantik bis an den Amazonas fahren, um die Kleinstlebewesen zu untersuchen, die überall im Meerwasser treiben. Viele Fische ernähren sich von diesen winzigen, oft bizarr geformten Organismen. Expeditionsleiter Victor Hensen, Professor für Physiologie an der Universität Kiel, hatte dafür den Begriff "Plankton" geprägt - nach dem griechischen Wort für "das Umherirrende".
"Ich verstehe darunter Alles was im Wasser treibt, einerlei ob hoch oder tief, ob todt oder lebendig. Das Entscheidende ist, ob die Thiere willenlos im Wasser treiben", schrieb Hensen als Vorsitzender einer "Kommission zur wissenschaftlichen Untersuchung der deutschen Meere", die 1870 eingesetzt worden war, weil man sich schon damals um den Erhalt der Fischgründe in der Nord- und Ostsee sorgte - und einer drohenden Überfischung vorbeugen wollte. Hensen sei also von einer politisch-ökonomischen Fragestellung ausgegangen, erklärte die Medizinhistorikerin Brigitte Lohff, die 1989 eine Wanderausstellung zum 100. Jubiläum der berühmten "Plankton-Expedition" organisierte.
"Um dann eben zu sehen, es nützt nichts, nur die Menge der Fischeier zum Beispiel zu zählen, um zu sehen, wie viel Lebendfisch dann da nachher draus entsteht, sondern man muss wissen: Wovon ernähren sich die Fische? Und auf diesem Wege ist er eben zur Frage des Planktons gekommen. Und eben des Planktons nicht nur als Tierform, sondern als existenziell notwendige Nahrungsgrundlage für das Leben im Meer überhaupt."
Expedition setzte Maßstäbe
Hensen bekam - nach mehreren Probefahrten in der Nord- und Ostsee - über 100.000 Mark für sein Projekt, für damalige Verhältnisse eine enorme Summe. Das meiste Geld stammte von der Alexander-von-Humboldt-Stiftung und aus der kaiserlichen Schatulle. Zwei Zoologen, ein Botaniker, ein Ozeanograf, ein Bakteriologe und einige Helfer reisten mit. An über hundert Orten warfen die Forscher die feinmaschigen Netze aus, die Hensen selber entworfen hatte, um das "Plankton" aus unterschiedlichen Wassertiefen einzufangen. Die Fänge wurden an Bord vorsortiert und konserviert, um sie später in Ruhe analysieren und statistisch auswerten zu können. Die Fahrt habe allerdings auch "manches Ungemach" mit sich gebracht, schrieb Hensens Biograf Rüdiger Porep:
"Ein unfähiger Lotse setzte die 'National' im Mündungsgebiet des Amazonas' zweimal auf Grund, was die Beschädigung der Schiffsschraube und den Verlust einer großen Menge Kohlen zur Folge hatte, die über Bord geworfen werden musste, um den Tiefgang des Schiffes zu vermindern. Die notdürftig reparierte Schraube machte südlich der Azoren Anstalten, sich zu lösen. Mit knapper Not konnte die nächstliegende Insel erreicht werden."
Am 7. November 1889 kehrten die Männer wohlbehalten nach Kiel zurück. Die Auswertung der Ergebnisse dauerte mehrere Jahre. Die wichtigste Erkenntnis: Das Plankton war gleichmäßig im Meer verteilt. Allerdings kam es in kälterem Wasser öfter vor als in tropischen Regionen. Das hatte man sich umgekehrt vorgestellt. Auch methodisch hatte die Expedition Maßstäbe gesetzt. Noch heute wird Plankton-Forschung auf ähnliche Weise betrieben, allerdings mit ganz anderen technischen Mitteln. Dazu Eric Karsenti, Leiter der Expedition "Tara", bei der Wissenschaftler zuletzt zweieinhalb Jahre lang über die Weltmeere segelten, um das globale Plankton zu erfassen:
"Wir haben moderne Mikroskope, mit denen können wir Bilder machen, und der Computer erkennt be¬stimmte Muster, die er bestimmten Arten zuordnen kann. Diese Mikroskope werden dann von uns Wissenschaftlern 'trainiert', könnte man sagen. Das heißt: Wir sagen ihnen, welche Form welcher Art entspricht, und nach ein bisschen Training kann die Maschine dann die neuen Arten selbst erkennen."
Von solchen technischen Möglichkeiten konnte Victor Hensen, der Vater der modernen Meeresforschung, nicht einmal träumen.
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