Vor 100 Jahren

Der Schriftsteller Wolfgang Hildesheimer geboren

Der Schriftsteller (u.a."Masante", "Klage und Antiklage") Wolfgang Hildsheimer, aufgenommen während der Internationalen Frankfurter Buchmesse im Oktober 1977. Er wurde am 9. Dezember 1916 in Hamburg geboren und ist am 21. August 1991 in Poschiavo (Schweiz) gestorben.
Wolfgang Hildesheimer gehörte zu den sperrigen Schriftstellern der frühen Bundesrepublik. Der Büchner-Preis-Träger starb 1991 in seiner Wahlheimat Graubünden. © picture alliance / dpa
Von Wolfgang Schreiber · 09.12.2016
Wolfgang Hildesheimer, Sohn jüdischer Eltern, emigrierte 1934 nach Palästina, studierte Malerei in London und war Simultan-Dolmetscher bei den Nürnberger Prozessen. Danach begann er zu schreiben: Essays, Romane und Theaterstücke. Den größten Erfolg errang er mit seiner Mozart-Biografie.
"Der Versuch, in das Wesen eines Genies vom Range Mozarts – erkennend - einzudringen, ist keine Sache des Gelingens oder Misslingens. Die Grenzen potenzieller Erkenntnis sind omnipräsent."
Der Schriftsteller Wolfgang Hildesheimer glaubte nicht an tiefere Einblicke in den Charakter - und in die Musik Wolfgang Amadeus Mozarts. Und dennoch: Mit seinem Mozart-Buch hat Hildesheimer 1977 Aufsehen erregt. Es war und blieb sein eindrucksvollstes Buch. Hildesheimer verehrte Mozart, den schnulzig vergötterten, kommerziell ausgebeuteten Komponisten, doch er sah in ihm vor allem die Rätselfigur, dunkel und unergründlich.

Büchnerpreis für Hildesheimers "Tynset" 1966

Wolfgang Hildesheimers "Psychobiografie" Mozarts hat Kontroversen ausgelöst über die Seelenzustände des geheimnisvollen Komponisten, über seine beklemmende Fremdheit. Dabei war Hildesheimer selbst längst als eine Rätselfigur der deutschen Nachkriegsliteratur erschienen. Vielleicht konnte er Mozarts komplexe Musik und soziale Fragwürdigkeit deshalb so hartnäckig befragen, weil er selber von tiefer Skepsis befallen war gegenüber der Welt, dem Literaturbetrieb, dem eigenen Schreiben.
Er hatte Beckett und Joyce aus dem Englischen übersetzt, Vorträge gehalten, Essays, Theaterstücke und Romane verfasst. Und für sein Buch "Tynset" 1966 den renommierten Büchnerpreis erhalten. Doch dann überraschte es nicht sehr, als sich Hildesheimer plötzlich vom literarischen Schreiben zurückzog. Lieber widmete er sich der Malerei, seinen Grafiken und Collagen.
"Ich hab eine große Sympathie für Aussteiger. Man könnte argumentieren, dass Schriftsteller-Sein sowieso ein Aussteiger ist. Und dass ich aus der Schriftstellerei ausgestiegen bin, könnte man auch sagen. Ich sehe es nicht so, aber ich analysiere das bei mir natürlich nicht."

Zerstörungswut der modernen Zivilisation

Wolfgang Hildesheimer, am 9. Dezember 1916 in Hamburg als Sohn jüdischer Eltern geboren, besuchte Gymnasien in Deutschland und eine Highschool in England. Er floh 1934 vor den Nationalsozialisten nach Palästina, absolvierte dort eine Tischlerlehre - ging aber nach London zum Studium der Malerei. 1946 dann die Herausforderung: Hildesheimer wurde Simultan-Dolmetscher bei den Nürnberger Prozessen gegen die Nazi-Verbrecher.
Erst danach begann er mit der Schriftstellerei, und er zog sich in die Berge im schweizerischen Graubünden zurück. 1981 der letzte Roman: Die fingierte Biografie "Marbot", der Versuch, allen schriftstellerischen "Fiktionen" zu entsagen. Zu den Motiven des Verzichts gehörte, dass ihm die Zerstörungswut der modernen Zivilisation bewusst geworden war. Ohne Überlebenschance für die Erde? Hildesheimer sah in der Greenpeace-Organisation eine Hoffnung.
"Greenpeace wird letztlich den Untergang unserer Erde nicht verhindern können, aber gerade in der Würde des Scheiterns eines solchen Auftrags liegt die Größe von Greenpeace. Und wenn ich sehe, gestern wieder: Vier Greenpeace-Leute besteigen ein spanisches Verklappungsschiff an vier Stellen, ketten sich an den Ausfluss an und verhindern buchstäblich, dass Dünnsäure in den Golf von Biskaya abgelassen wird - das finde ich großartig."

Pessimismus verbinden mit poetischer Energie

"Das Ende einer Welt", so hieß das Libretto, das Wolfgang Hildesheimer 1953 für eine Funkoper Hans Werner Henzes verfasst hatte – schon damals im Bewusstsein der Zerstörung, die der Menschheit droht. Schopenhauer und Freud eingedenk, konnte Hildesheimer den Pessimismus jedoch mit seiner poetischen Energie verbinden – und das führte ihn ja zum Phänomen Mozart und von dort wiederum in eine Resignation. Denn ihm wurde klar: "Nahe kommen wir Mozart nicht".
Trotz dieses Fazits der vielleicht tiefgründigsten Mozart-Biografie suchte Hildesheimer wenigstens eine Spur der Nähe, seine Annäherung an den rätselhaften Komponisten. Er selbst blieb der Fremde. Am 21. August 1991 starb Wolfgang Hildesheimer in seinem Wohnort Poschiavo in der Wahlheimat Graubünden.
Mehr zum Thema