Vor 10 Jahren

"Großer Lauschangriff" grundgesetzwidrig

Von Oliver Tolmein · 03.03.2014
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entzog dem sogenannten Großen Lauschangriff, der der Polizei das Abhören von Wohnungen erlaubte, nicht den Boden. Den Sicherheitsbehörden wurde aber ein Mittel zur Kriminalitätsbekämpfung genommen.
"Die auf dem Prüfstand stehenden Vorschriften stehen nicht in vollem Umfang im Einklang mit der Verfassung."
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die dessen Präsident Hans Jürgen Papier am 3. März 2004 verkündete, entzog dem sogenannten Großen Lauschangriff, der es der Polizei erlaubte Wohnungen abzuhören, nicht den Boden. Sie beendete aber seine Karriere als Hoffnungsträger der bundesdeutschen Sicherheitspolitik, als Mittel, um der organisierten Kriminalität ebenbürtig entgegentreten zu können, wie der bayrische Innenminister Günter Beckstein formulierte:
"Leider hat sich Kriminalität hier weiterentwickelt sodass nicht nur der relativ harmlose Gangster der 1950er und 60er Jahre auftritt, sondern gewalttätige organisierte Kriminalität, die zu den raffiniertesten Methoden greift und da muss auch der Staat mit entsprechenden Methoden gegenhalten können."
Schutz der privaten Lebensgestaltung
Die Verfassungsrichter wandten sich mehrheitlich nicht gegen die 1998 vom Bundestag mit Zweidrittelmehrheit beschlossene Änderung des Grundgesetzes, die das in Artikel 13 garantierte Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung weitreichend einschränkte. Die Änderungen der Strafprozessordnung, mit denen der Gesetzgeber die Einzelheiten des Lauschangriffs geregelt hatte, akzeptierten die Karlsruher Richter aber nicht. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Papier kritisierte:
"Diese Vorschriften berücksichtigen den Schutz der privaten Lebensgestaltung nicht hinreichend. Sie stellen zum Beispiel nicht sicher, dass eine Überwachung dann unterbleibt, wenn sich der Beschuldigte allein mit seinen engsten Familienangehörigen oder Vertrauten in der Wohnung aufhält und es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass der zu erwartende Gespräche einen unmittelbaren Bezug zu Straftaten aufweisen werden."
Das zu hören war für die badische Familie Rehs eine Genugtuung. Fast zwei Jahre lang war sie in ihrem Haus rund um die Uhr abgehört worden. Der einschneidende Eingriff in die Intimsphäre der Landwirte erfolgte, weil ihr Hof mehrfach niedergebrannt worden war. Die Ermittler nahmen an, dass der Täter aus dem Kreis der Familie stammte. Es ging also weder um islamistischen Terrorismus, noch um organisierte Kriminalität – sondern schlicht um Brandstiftung. Der Anwalt der Familie, Helmut Graf, kommentierte die Entscheidung der Verfassungsrichter zufrieden:
"Das was das BVerfG gesagt hat verbietet was hier über 20 Monate zum großen Teil sogar in zwei Privathäusern geschehen ist, man hat hier umfassend alles abgehört, was in den Familien geredet worden ist, auch wenn das eigentlich recht unverfänglich gewesen ist, ist doch evident, dass hier in die Intimsphäre reingehorcht worden ist."
Keine pauschale Rundumüberwachung
In so einem Fall, wenn erkennbar der absolut geschützte private Lebensbereich berührt wird, so die Verfassungsrichter, müsste die Überwachung künftig unverzüglich abgebrochen werden. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" überzeugte das nicht:
Eine pauschale Rundumüberwachung ist ohne Zweifel verfassungswidrig. Aber hat der eines schweren Verbrechens Beschuldigte tatsächlich ein Recht, von den Ermittlern "in Ruhe gelassen zu werden, solange er sich mit engen Vertrauten in seinem Privathaus befindet? Was für ein Signal ist das für die Täter von morgen – und was für eines für ihre Verfolger?
Die "Süddeutsche Zeitung" setzte die Akzente deutlich anders:
"Man darf gespannt sein, ob und wie es dem Gesetzgeber geling, die Anforderungen in neue Paragrafen zu gießen. Diese Anforderungen sind so hoch, dass das Gericht auch gleich hätte das sagen können, was im Minderheitenvotum schön und klar steht: Dass der Lauschangriff per se und unrettbar verfassungswidrig ist."
Die Kläger, darunter mehrere Abgeordnete der FDP und auch die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger waren zufrieden. Der Gesetzgeber brauchte fast anderthalb Jahre, um die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. Am 1. Juli 2005 trat das "Gesetz zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts" in Kraft. Acht Abhörmaßnahmen in Privatwohnungen gab es 2012, die längste dauerte 61 Tage. Teuer war mit 100.000 EUR vor allem die Übersetzung der Gespräche.
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