Von Zwitschermauern und begrünten Tunneln

Von Katja Bigalke · 18.09.2013
Straßenbau und Naturschutz - das schließt sich gemeinhin gegenseitig aus. Kein Wunder: Wo Autobahnen entstehen sollen, werden Bäume gerodet, Flächen versiegelt und Arten vertrieben.
Bisher steht nur die Mauer. Aber allein die ist so ungewöhnlich wie das gesamte Bauvorhaben im Gewerbegebiet von Wald, einer kleinen Gemeinde im Landkreis Sigmaringen. Denn die Mauer ist Lärmschutz und Nistplatz zugleich - entstanden durch die Kooperation einer Straßenbaufirma und einem Unternehmen, das Vogelnistkästen herstellt. An den Tisch geholt hat sie die Architektin Henrike Gänss.

"Im Naturschutz sind die Zeiten und die Arbeit einfach so grundsätzlich anders, dass man da oftmals auch eine andere Sprache spricht. Zum Beispiel eine Baufirma auch nicht nachvollziehen kann, warum sie jetzt warten sollen mit ihrem Bagger, weil da noch ein roter Schnepper im Gras sitzt. Oder einfach das Verständnis füreinander nicht unbedingt da ist, weil einfach die Tätigkeitsfelder so unterschiedlich sind."

Die junge Architektin ist in Wald zur Schule gegangen und plant hier nun, ihr erstes Eigenheim zu bauen. So weit, so normal. Alle weiteren Koordinaten aber waren für den Gemeinderat zunächst gewöhnungsbedürftig: Das Haus wird im Gewerbegebiet gebaut – um keine weiteren Flächen zu versiegeln. Es besteht nur aus einem Raum sowie den nötigsten Möbeln – um Ressourcen zu schonen. Und es lehnt sich an eine Mauer an, die allein mit heimischen Kieseln aus Oberschwaben gefüllt ist und bewusst Nischen freilässt für Vögel, Insekten und Fledermäuse. Meist werden solche Nistplätze bei der Planung vergessen – und erst hinterher irgendwo dazu gestellt, erzählt Silke Weidler von der Firma Schwegler, die Tierbehausungen baut.

"Silke Weidler: Also an dem Konzept finde ich das Besondere, dass eigentlich von Grund auf geplant wurde, die Tiere zu integrieren. Nicht sie abzuhalten, sondern wirklich zusammen mit der Natur etwas zu erstellen."

Besonders ungewöhnlich ist auch, dass sich bei der Konzeption der Zwitschermauer eine Baufirma mit an den Tisch gesetzt – und sogar die eigenen Leute zur Baustelle geschickt hat. Um dazuzulernen, wie ein solcher Prototyp aussehen könnte, erzählt Christina Ilchmann, Geschäftsführerin der Baufirma Nacken.

"Christina Ilchmannn: Also die Behörden machen eigentlich sehr viel im Naturschutz, weil sie vor vielen Jahren mal dazu gezwungen wurden. Schwieriger ist es vielleicht sogar mit den Baufirmen – sprich mit uns. Da wir gar keine Ahnung haben, in der Regel bauen wollen, ungehindert bauen wollen."

Und sich nur selten mit dem Naturschutz auseinandersetzen. Silke Weidler kennt das Problem.

"Silke Weidler: Eine Baufirma hat ganz profan ihre Steine im Kopf."

Bei der Landmauer in Wald war das anders: Im Abstand von ungefähr einem Meter wurden Nischen in die Kiesel eingelassen, um dort Niststeine und Vogelkästen, Querschlitze für Mauersegler, Sommerquartiere für Fledermäuse und Insektenhotels anzubringen. Einige sind bereits bewohnt. Jetzt muss sich der Prototyp nur noch verkaufen, denn natürlich wollen die beteiligten Firmen mit dem Projekt (auch) Geld verdienen. Viele Planer, Architekten oder Bauherren wissen allerdings nicht, dass man aus einer Lärmschutzwand auch eine Zwitschermauer machen kann.

Henrike Gänss: "Also es wird ja immer nur das umgesetzt, was angefragt wird. Und das heißt, da muss auch ein Bewusstseinswandel bei den Planern stattfinden, die Lärmschutzgabionen planen, von vorneherein an diese Dinge zu denken. Oder auch Planer in den Gemeinden, vielleicht diese Naturschutzbehörde gleich miteinzubeziehen."

Um das voranzutreiben, hat Henrike Gänss den Bürgermeister von Wald auf die Baustelle eingeladen. Der ist überzeugt davon, dass eine Kooperation zwischen Naturschutz und Straßenbau auch auf höherer Ebene gelingen kann.

Werner Müller: "Eigentlich kommen die Menschen da von zwei sehr unterschiedlichen Richtungen. Die einen wollen zunächst mal den Platz versiegeln, die anderen wollen ihn wieder aufmachen. Und die Symbiose aus beidem, ist das, was wir brauchen. Und gerade deshalb sind solche Referenzobjekte, wie wir sie hier dann jetzt haben, dann sicher wertvoll, damit man das auch praktisch sehen kann, dass es auch miteinander geht."

Ökologische Oase in NRW
Beispiele wie es miteinander geht, gibt es in Deutschland gar nicht mal so wenige. Weil es am Ende eben gehen muss. Das, was bei diesen Kompromissen herauskam, war allerdings in den wenigsten Fällen wirklich zufriedenstellend. Eine Ausnahme stellt sicherlich der Werstener Tunnel in Düsseldorf dar. Ausgerechnet in Nordrhein Westfalen, das mit 2200 Kilometern Autobahn eine der Regionen mit der größten Straßendichte Europas darstellt -ausgerechnet hier sollte eine ökologische Oase entstehen und zwar, weil mal wieder eine neue Straße geplant war. Sechsspurig. Andrea Lueg darüber wie es dann weiterging.

Straßenlärm

So ähnlich muss es hier Anfang der 80er Jahre geklungen haben: eine vierspurige Bundesstraße durchschnitt ohne jeglichen Lärmschutz den Düsseldorfer Stadtteil Wersten. 15 Jahre lang wurde sie als Provisorium über eine dreihundert Meter lange Stahlkonstruktion geführt, um so weitere viel befahrene Straßen zu überqueren. Auch wenn das Verkehrsaufkommen damals viel geringer war als heute: der Lärm war kaum auszuhalten.

Und dann hatte Düsseldorf auch noch den Zuschlag für die Bundesgartenschau 1987 bekommen. Die erwarteten Besuchermassen – am Ende waren es 7,3 Millionen – sollten zumindest zum Teil ebenfalls über diese Straßenkonstruktion kommen.

Heute sitzt Josef Esser vom Werstener Heimatverein an gleicher Stelle in einer weitläufigen Grünanlage mit schönem Baumbestand und Kinderspielplätzen, Rad- und Fußwegen. Eine Oase der Ruhe.

"Ja, sehen Sie, hier unten drunter ist jetzt der Tunnel – wir sitzen fast noch ganz drauf."

Der Bau des Werstener Tunnels, der zwischen 1983 und 1986 entstand, und in dem eine sechsspurige Autobahn die ehemalige Straße ersetzte, war für die Werstener ein Segen, erinnert sich Esser:

"Wir waren mehr als begeistert, aus dem einfachen Grund, wir wollten das die Stahlhochstraße, die da stand, dass die wegkam. Das war ein reines Provisorium und da hat man gesagt, wenn wir den ganzen Verkehr unter die Erde bekommen, dann sind wir aus dem Schneider."

Nur: geplant hatte der Bund als Finanzier des Projektes eigentlich eine tiefer gelegte Autobahn mit Schallschutzwänden. Für Erich Waaser, als Bauingenieur für die Stadt Düsseldorf für das Projekt zuständig, keine Lösung.

Kompromiss und Augenzwinkern
Der größte Kompromiss war natürlich, dort einen Tunnel zu bauen. Und das erforderte sehr viel Überzeugungsarbeit. Eine tiefer gelegte offene Straße hätte das Problem eines zerschnittenen Stadtteils niemals lösen können, war Waaser schon damals überzeugt. Also setzte er sich hin und rechnete aus, wie man mit dem vorhandenen Budget statt einer offenen Konstruktion einen Tunnel bauen könnte. Eine abenteuerliche Rechnung, sagt der 77-Jährige heute mit einem Augenzwinkern. Aber sie ging auf. Neben dem Ziel, den zerschnittenen Stadtteil wieder zusammen zu führen, spielten aber auch ökologische Aspekte eine wichtige Rolle, erinnert sich der Bauingenieur:

"Einmal die Begrünung der Oberfläche, mehr Grün gewinnen in einem Stadtteil der mit Grün eigentlich unterrepräsentiert war und dann noch die Renaturierung der Düssel. Die Düssel, oder besser gesagt ein alter Seitenarm der Düssel verlief nämlich unter der ursprünglichen, auf einer Stahlkonstruktion verlaufenden Straße mitten durch das Baugebiet des geplanten Tunnels.

Die Düssel verlief ursprünglich auf der nördlichen Seite. Und diese Düssel war der Baumaßnahme, der Trassierung im Weg, wir mussten selbige auf die südliche Seite verlegen und haben dann aber vor dem Werstener Kreuz die Düssel mit einem Düker wieder in die richtige Richtung gebracht. Und mit der Verlegung der Düssel ging eine Renaturierung einher, Renaturierung heißt eine Mäanderung."

Die Düssel wurde aus ihrem starren Bett befreit und plätschert nun mit einer Fischtreppe versehen am Rande der Grünanlage auf dem Deckel des Werstener Tunnels. An ihrem Ufer sind inzwischen viele Pflanzen und Insekten heimisch. 1986 wurde der Werstener Tunnel, 865 Meter lang eröffnet. Etwa 120 Millionen D-Mark habe er gekostet, erinnert sich Waaser. Das war mehr als ursprünglich geplant, aber das Ergebnis überzeugte alle Beteiligten. Und Peter Blumenrath, ein jüngeres Mitglied des Werstener Heimatvereins konstatiert:

"Überall da, wo Menschen und Straßen sich kreuzen – das der Mensch dann oben drüber läuft und die Autos drunter herfahren ist, glaube ich, ein guter Gedankengang."

Erst da, wo die Autobahn den Werstener Tunnel verlässt, hämmert der Lärm von heute 100 000 Autos pro Tag wieder gegen die Fenster der Häuser. Hier kämpfen die Bewohner nun für Flüsterasphalt.

Baumaßnahmen sind nur Kosmetik
Zwitschermauern, Flüsterasphalt, Grünbrücken. Das klingt sehr hübsch. Werner Reh. Leiter der Verkehrspolitik beim BUND hält diese Maßnahmen aber häufig für Kosmetik:

"In der Vergangenheit hat man nur Umweltreparatur betrieben, man hat dann Grünbrücken gebaut, hat gesagt die Straße muss sein. Uns kam es immer darauf an, frühzeitig die Umweltthemen zu integrieren und schon bei der Planung zu beachten, weil man dann eben sieht, man braucht häufig keinen Neubau, kann das durch Ausbaumaßnahmen und dadurch viel geringere Eingriffe in Natur und Landschaft und positive Beiträge zu Klimaschutz, Energieeinsparung, Schadstoffminderung auch hinkriegen. Wir wollen ex ante Umweltschutz haben. Von Anfang an."

So stellt der BUND zum Beispiel die Frage, ob dünn besiedelte Gebiete wirklich eine Autobahn brauchen? Genau um dieses Thema geht es derzeit nämlich in der Prignitz im Nordwesten Brandenburgs. Hier soll die A14 verlängert werden ab Magdeburg in Richtung Schwerin.
Für Werner Reh ist klar:

"Die Planung stammt aus dem letzten Jahrhundert."

Gehört also abgeändert. Umweltschützer argumentieren, es würde an dieser Stelle auch ein Ausbau der vorhandenen Bundesstraßen tun. Axel Flemming hat sich vor Ort umgeschaut.

So hört sich die A14 in Sachsen-Anhalt an:

Straßenlärm

Und so hört sich die A14 in Mecklenburg an:

Straßenlärm

Und dazwischen hört es sich größtenteils so an:

Vögel

Ein Paradies für Vögel, Biber, Fischotter, verschiedene Krötenarten – und Menschen, noch. Denn auch durch Brandenburg wird die Trasse der A14 geplant. Jürgen Randau aus Klein Warnow engagiert sich mittlerweile seit zehn Jahren gegen den Autobahnbau. Er erinnert sich aber noch an die Zeit davor:

"Da kam damals der Bürgermeister bei uns an und hat uns einen Zettel gegeben, wir sollen doch unterschreiben für die A14, den ich auch selbst unterschrieben habe. Und als ich dann zu Hause war, habe ich mir gedacht: Was hast Du denn jetzt hier wieder angestellt. Ja und denn kam auch sehr kurze Zeit später eine Bürgerinitiative, also eine Informationsveranstaltung. Und da ist bei mir sofort der Groschen gefallen, wir brauchen hier eigentlich keine A14."

Bürger und Umweltschützer gegen Autobahn
Randau schloss sich der örtlichen Bürgerinitiative "Bündnis B189/B5 statt A14" an. Udo Staeck, hauptamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Karstädt, die an der Trasse liegt, sieht dagegen nach wie vor die positiven Seiten des Autobahnbaus:

"Zeitlich wird Hamburg, die Wirtschaftsmetropole uns näher rücken. Wir erhoffen uns auch, dass wir die Bevölkerung stabilisieren können von der Anzahl her, weil sehr viele Jugendliche in Hamburg wohnen und arbeiten. Und ich denke mir, wenn sie eine sehr gute Verkehrsanbindung haben, werden sie zurückkommen in die Prignitz…"

Das Prinzip Hoffnung, denn die Autobahn ist auf ein zehnfaches der jetzigen Verkehrsmenge ausgelegt. Der BUND - wie andere Umweltverbände auch - hält die Trasse deshalb für ökologisch und ökonomisch unsinnig. Mit seiner Klage gegen den Weiterbau der A14 in Brandenburg war der Verband im Mai aber gescheitert. Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass die Planungen rechtlich nicht zu beanstanden sind.

Wilfried Treutler: "Unser Hauptargument, nämlich dass kein Bedarf besteht, weil das Verkehrsaufkommen viel zu gering ist und die damals ermittelten Prognosen die ja der ganzen Planung zugrunde liegen, methodisch falsch erarbeitet wurden, auch fachlich falsch erarbeitet wurden, völlig überhöht sind, da hat der Vorsitzende Richter gesagt: ja, das ist vom Bundestag beschlossen worden, das ist Gesetz, da können wir nix machen, es sei denn, Sie BUND, Sie weisen nach, dass das Gesetz verfassungswidrig ist. Mhh!"

Den nördlichen Abschnitt von Karstädt bis zur Landesgrenze Mecklenburg-Vorpommern konnte der BUND also nicht verhindern, aber in Kürze will er ein eigenes Ausbaukonzept für den Rest der Strecke beim Bundesverkehrsministerium einreichen.

Weniger ist danach mehr, statt Autobahn soll die Bundesstraße B189, die jetzt die beiden A14-Teilstrecken verbindet, mit dreispurigen Ortsumfahrungen ausgebaut werden. Die Hälfte der bisher geplanten Kosten für den Ausbau der A14 könnten damit eingespart werden, rechnen die Umweltschützer vor. Ihre Hoffnung ist, dass sie endlich gehört werden, denn im Rahmen des neuen Bundesverkehrswegeplanes können Umweltverbände erstmals eigene Projektvorschläge für Fernstraßen einreichen.

Das wichtigste Projekt in der Region
Mit dem Bau der Autobahn im Nordabschnitt ist indes bereits begonnen worden, er soll bis 2020 fertig sein und insgesamt 1,3 Milliarden Euro kosten. Beim ersten Spatenstich in der Nähe des kleinen Ortes Karstädt in Brandenburg kamen sogar der Bundes- und der Landesverkehrsminister:

Ramsauer: "Wir müssen der Wirtschaft, wir müssen den Menschen, den Gemeinden, den Bürgermeistern, den Städten eine Perspektive geben; dass dieser Raum intensiv erschlossen wird; dass es sich lohnt dazubleiben; dass es sich lohnt, langfristige Investitions- und Standort-Entscheidungen für diese Regionen zu treffen..."

Knapp 13 Kilometer lang wird der Abschnitt zwischen Karstädt und der Landesgrenze zu Mecklenburg-Vorpommern. Der Brandenburger Infrastrukturminister Jörg Vogelsänger sieht aber schon die ganz großen Verkehrsströme, die demnächst durch sein Land fließen könnten:

"Die A14 ist ja das wichtigste Projekt für diese Region. Und es ist ja eine Verbindung, die von der Ostsee zur Adria führt, und dafür natürlich sorgt, dass die Prignitz deutlich besser erschlossen wird für Karstädt natürlich, für Wittenberge. Und wenn dieser Abschnitt in Bau geht, kann man natürlich den Druck noch erhöhen bezüglich der weiteren Abschnitte."

Aber gerade da ist Jürgen Randau skeptisch. Er nennt als Beispiel die geplante Elbquerung in Wittenberge. Ein komplett überdimensioniertes Projekt, wie er sagt.

"Da haben wir seit ungefähr zehn Jahren konstant 6700 Kraftfahrzeuge pro Tag. Die Brücke selber hat eine Kapazität von ungefähr 20.000 KFZ und zehn Meter daneben wird eine neue Brücke gebaut. Für 70.000."

Bislang sind die ICEs von Berlin nach Hamburg, die dicht an Jürgen Randaus Haus vorbei rauschen, die größte Lärmquelle. Allerdings nur für wenige Minuten. Dann herrscht wieder Stille in Klein Warnow, Gemeinde Karstädt in der Prignitz, Brandenburg. Noch!
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