Von Wutbürgern und Lustmännern

Von Christian Berndt · 18.02.2011
Zwei Dokumentarfilme hatten am Abend in der Sektion Perspektive Deutsches Kino Premiere: "Stuttgart 21 – Denk Mal!" von Lisa Sperling und Florian Kläger über wütende Bürger am Neckar und "Kamakia – Helden der Insel" über grau gewordene Lustmänner in Griechenland.
"Aufhören, aufhören. – Schweine! - Schießt doch, schießt doch."

Was sich wie Bürgerkrieg anhört oder 1. Mai in Berlin, spielt sich im Stuttgarter Schlossgarten ab: Am 30. September 2010 wollen die Gegner des Bahnprojektes Stuttgart 21 verhindern, dass im Zuge der Bauarbeiten Bäume im Park gefällt werden. Die Polizei antwortet mit Wasserwerfen, Schlagstöcken und Pfefferspray, Hunderte Demonstranten werden verletzt.

Jetzt eskaliert ein Streit, der mehr und mehr zu einer Volksbewegung geworden ist:

"Was ich auch so toll fand, waren diese unterschiedlichen Menschen, von ganz jung bis ganz alt, gutbürgerlich, Studenten, Alternative. Einfach alle Schichten. – Im Park war eine so sensationelle Stimmung, die ich dieser Stadt nie, aber auch wirklich nie zugetraut hätte. Es ist einfach offen, Du denkst, wo bin ich denn hier gelandet - im letzten Hippie-Camp, das ist wirklich unglaublich."

Der Dokumentarfilm "Stuttgart 21 – Denk Mal!" vermittelt einiges von der Stimmungslage und der Breite der Protestbewegung. Ursprünglich hatten die Filmstudenten Lisa Sperling und Florian Kläger keinen Film drehen wollen, sondern lediglich die Kamera auf den Demonstrationen mitlaufen lassen.

Bis zur Eskalation am 30. September, wie sie vor der Premiere des Films in Berlin erzählen:

"Das war ein bisschen eine panische Situation im Park, dann war natürlich die Stimmung ... – Ich glaube, letzten Endes ging es uns nicht anders, als den anderen Menschen, dass man einfach schockiert war, man wusste nicht, was passiert, was als Nächstes passiert. – Und man hat auch nicht damit gerechnet. Man dachte ja, die hauen nicht auf ihre eigenen Eltern, das waren ja solche Generationsunterschiede. Man dachte immer, das wird nicht passieren. – Dann ist es doch passiert. – Ja."

Für beide ist nach diesem Schock klar, dass sie einen Film über die Ereignisse machen wollen – einen Film mit politischer Botschaft:

Florian Kläger: "Das war uns von vorneherein klar, dass wir das hier nicht dialektisch aufbauen in dem Sinn, sondern dass wir eben unsere Sichtweise zeigen, und unsere Sichtweise ist eben an der Seite der Gegner dieses Projektes, und so wollten wir auch den Film gestalten."

An ihrer Haltung zu Stuttgart 21 lassen die Regisseure in ihrem Film keinen Zweifel - weder Gegenargumente noch überraschende Neuigkeiten sind zu hören. Aber damit ergibt sich auch ein unverstellter Blick auf diese ziemlich heterogene Bewegung. Mit seiner direkten Botschaft passt "Stuttgart 21 – Denkmal!" gut ins Konzept der Sektion Perspektive Deutsches Kino, die in diesem Jahr stark politisch geprägt ist.

Steht dieser Protest-Film für einen neuen Aufbruch, so ist der Dokumentarfilm "Kamakia – die Helden der Insel" eher wehmütiger Abgesang. Regisseur Jasin Challah erzählt von griechischen Männern, denen der Beginn des Massentourismus in den Sechzigerjahren eine neue Verdienstmöglichkeit bot: Als Liebhaber von Ausländerinnen. Der Regisseur hat einige ausfindig gemacht, die sich gerne erinnern:

"Die Griechen knüpften ihr Hemd auf und haben den Touristinnen die Brusthaare gezeigt. Das hat die Schwedinnen verrückt gemacht. Die 100 besten Kamakia auf Rhodos haben nie gearbeitet."

In den 80er-Jahren war der Spaß vorbei, die Angst vor Aids setzte der goldenen Ära ein Ende. Die Erinnerung an ihre große Zeit lässt nicht nur die alt gewordenen Kamakia wehmütig werden, sondern auch ihre Ehefrauen:

"Was soll ich sagen, er war damals jung. Jetzt nicht mehr, so eingefallen, wie er heute nun mal ist. Es ist vorbei. Jetzt ist die Jugend dran."

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