Von Puppen und Menschen

Von Ulrike Gondorf · 14.10.2012
Das Schauspiel Köln ist mit einem Doppel-Premieren-Wochenende in die Saison gestartet: Suse Wächter bringt den Weltuntergang in einem Puppentheater auf die Bühne. Und Katie Mitchell begibt sich in einer multimedialen Erzählung auf eine Expedition ins Innenleben des Menschen.
Zum Einzug gleich der Weltuntergang. So hat das Schauspiel Köln sein neues Domizil im Ausstellungsgelände EXPO XXI, einem alten Fabrikloft, eröffnet. Dort wird das Ensemble während der Umbauphase des Theaters voraussichtlich bis Ende 2013 zu Hause sein.

Und als ironischer Auftakt ging die Bühne gleich einmal theatralisch zu Bruch: Einstürzende Treppen, bröckelnde Wände, aufbrechende Krater im Boden und zündelndes Feuerwerk aus der Unterbühne - der Weltuntergang ist eine Show in Suse Wächters neuem Stück "Der Abend aller Tage". Gott persönlich führt Regie, das Finale ist eine eher müde Revue in glitzernden Kulissen, die letzten Menschen probieren sich aus in Rollenspielen: zornig, weinerlich depressiv, begeistert, dass endlich Schluss ist. Das Ende will am Ende eigentlich niemand mehr. Auch Gott nicht, aber was soll man machen? Es kommt dann auch mehr als plötzlich. Ob daran der regieführende Gott oder die regieführende Suse Wächter schuld ist, muss dahingestellt bleiben. Ein starker Schluss ist es jedenfalls nicht - aber wäre das von uns noch zu erwarten?

Suse Wächter nimmt die allenthalben durch die bunten Blätter geisternden Maya-Prophezeiungen vom Weltuntergang zum Anlass für ihr Spiel von Anfang und Ende der Welt. Die Hauptakteure, im Zusammenspiel mit menschlichen Schauspielern und Musikern: Gottvater mit wallendem Bart, schon ein wenig senil, und ein pralles, nackiges Jesus-Baby, mehr als vorlaut. Diese Puppen sind die reinsten Theaterwunder. Obwohl sichtbar auf der Bühne von Suse Wächter und ihrer Partnerin Silvia Petrova geführt, entwickeln sie ein geradezu beängstigendes Eigenleben. Dass Figurentheater eine der ursprünglichsten Theaterformen ist und auch Erwachsene unwiderstehlich in ihren Bann zieht, beweist diese geniale Puppengestalterin auch am "Abend aller Tage".

Leider ist es (wieder einmal) so, dass die Autorin Suse Wächter und ihr Mitautor Stefan Schwartz dieses Ausnahme-Niveau der Puppenkünstlerin nicht erreichen. Witzige, subversive, skurrile Szenen stehen neben Leerlauf und Platituden, das Ganze zeigt nicht annähernd die Sicherheit im Timing, die die Auftritte der Puppen so lebendig macht. Eine Revue von Szenen, die keine rechte Form findet. Dennoch: Wegen der Hauptdarsteller darf man sie nicht verpassen.

Der "Abend aller Tage" folgte in Köln auf die "Reise durch die Nacht" am ersten Abend des Doppel-Premieren-Wochenendes zur Spielzeiteröffnung.

Eine Fahrt von Paris nach Wien wird in Friederike Mayröckers Erzählung "Reise durch die Nacht" zu einer Expedition ins eigene Innere. Traumatische Kindheitserlebnisse, Verlusterfahrungen des Älterwerdens, die Entfremdung vom Partner bedrängen die Frau, die keine Ruhe findet auf ihrer Pritsche im Liegewagen, während der Mann in seiner Koje unter ihr abgetaucht ist in die Unerreichbarkeit des Schlafs. 1984 ist diese Erzählung von Friederike Mayröcker erschienen. Am Schauspiel Köln hat Katie Mitchell sie jetzt auf die Bühne gebracht - in der multimedialen Erzählweise, die ihr Markenzeichen geworden ist.

Auf der Bühne der Halle Kalk steht der Abteilwagen eines Nachtzuges. Hinter den Fenstern werden abwechselnd verschiedene Spielorte beleuchtet. Eine filmrealistisch ausgestattete Zelle mit zwei Liegepritschen, der Arbeitsplatz des Schaffners. Dazwischen die imaginären Erinnerungsräume, die die Frau in dieser unruhigen Nacht schreibend heraufbeschwört: das Haus ihrer Kindheit, das Zimmer eines Jugendgeliebten. Die Szenen in diesen Räumen werden gefilmt und im oberen Teil der Bühne riesengroß projiziert, überblendet mit unscharfen Bildern einer Zugfahrt. Die Figuren im Zug agieren stumm, aus einem ebenfalls in einem Abteil eingerichteten Tonstudio wird Mayröckers Text, ein vielfach verästelter innerer Monolog der Frau, gelesen.

Wenn es überhaupt einen Weg gibt, diesen Text auf die Bühne zu bringen, liegt er vermutlich in der multimedialen Richtung, die Katie Mitchell eingeschlagen hat. Die Präzisionsarbeit der Darsteller, die oft in gnadenlos vergrößerten Close-ups auf der riesigen Leinwand erscheinen, ist beeindruckend. Julia Wieninger als Frau auf der Reise in den Abgrund zeigt eine Psychostudie, die stimmig ist bis in jeden Wimpernschlag. Wenn dieser Abend nicht dieselbe Faszination ausstrahlt wie frühere Theaterarbeiten Mitchells, so liegt das daran, dass hier eindeutig die Balance kippt und das filmische Element zu sehr dominiert.

Mit ihrer Methode, gleichzeitig das Stück und das "Making of" zu zeigen und Filmer wie Geräuschemacher deutlich sichtbar mitspielen zu lassen, hat Mitchell oft spannend erfahrbar gemacht, wie vielschichtig die Wahrnehmung von Theater ist. Diesmal aber erschlägt das Filmbild das Bühnengeschehen. Schade ist vor allem, dass hier die quasi musikalische Komponente, die ausgefeilte Choreografie des Geräuschemachens ganz entfällt. Und die Filmer schleichen zwischen den Verschlägen der Zugabteile hin und her, als wollten sie eigentlich lieber nicht gesehen werden. Was bleibt, ist die Erinnerung an einen Film, den man im Theater gesehen hat.


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