Von Netz-Piraterie und digitaler Innovation

Von Jürgen König · 20.06.2012
Mit der digitalen Zukunft der Verlage beschäftigt sich der "Arbeitskreis Elektronisches Publizieren" (AKEP) auf seiner Jahrestagung in Berlin. Im Widerstreit von Kundenorientierung und Urheberrecht wurden zum Auftakt konträre Positionen deutlich – die beide Beifall erhielten.
Die Zukunft des "Buchstabenverkaufs" sieht der Autor und Blogger und Internet-Strategieberater Sascha Lobo klar vor sich. Mit den Mitteln des Crowdfunding vorab finanziert durch interessierte Privatleute, sagte er in seinem Einführungsvortrag, werde das Buch immer weniger ein fertiges Produkt als vielmehr ein ständiger Dialog mit dem Leser werden, im "social reading" mit seinen Kommentaren und Empfehlungen werde die Grenze zwischen Leser und Autor schwinden, Inhalte des Buches würden gemeinsam weiterentwickelt werden.

Entsprechend wichtig werde - für Autoren und Verlage - der Aufbau einer "Autorencommunity", einer Netzgemeinde der Anhänger – dort liege auch das Geld: in Form der Vorfinanzierung des nächsten Buches. Mit dem ironischen Verweis auf die "leichte Behäbigkeit" der Buchbranche listete Sascha Lobo für seine Zukunftsbilder Belege aus der Vergangenheit auf: alles schon mal dagewesen: Subskription, Lesezirkel, Fortsetzungsromane, in die die Anregungen der Leser von Folge zu Folge eingearbeitet wurden.

Zum Urheberrecht, dem eigentlichen Thema der Jahrestagung des "Arbeitskreises Elektronisches Publizieren" im Börsenverein des Deutschen Buchhandels, kam Sascha Lobo ganz am Ende auch zu sprechen:

"'"Piraterie – wenn Sie alle Thesen bis hierhin beherzigt haben, dann können Sie sich erlauben, das zu tun, was ich Ihnen zwingend empfehlen würde: ignorieren!""

Und viel mehr gäbe es dazu nicht sagen, denn:

"Es wird immer Leute geben, die Ihnen technisch überlegen sind und die irgendwo draufklicken und dann noch mal irgendwo draufklicken und dann irgendwas eintragen und dann ist der ganze Inhalt, den Sie ganz teuer irgendwie zusammengestellt haben, bei irgend jemand anderem, der sich kaputtlacht und es dann abschließend nicht liest. Kümmern Sie sich nicht um den!

Kommen Sie damit zurecht, dass es zwischen 15 und 20 Prozent Arschlöcher gibt auf der ganzen Welt, in jedem Bereich – die bleiben aber nicht ihr ganzes Leben Ärsche! Das sind nur Phasenärsche! Durch gezieltes Ignorieren der Piraterie schlafen Sie besser, haben weniger Feinde und Sie sparen irre viel Geld. Denn mir kommt das so vor, als sei mindestens die Hälfte der irren Innovationen, die Verlage und alle Leute rund um den Buchhandel im e-Bereich haben, darauf ausgerichtet, irgendwie zu vermeiden, dass böse Piraten usw. usf. "

Gemessen daran, dass das Auditorium dem Vortragenden geradezu andächtig gelauscht hatte, war die nachfolgende Podiums- und Publikumsdiskussion sehr zurückhaltend und auch: langweilig. Auf die von Sascha Lobo skizzierte Zukunft des Buchmarkts ging erstaunlicherweise niemand wirklich ein; zur Urheberrechtsdiskussion wurden die bekannten Positionen einander gegenübergestellt.

Matthias Leonardy, Geschäftsführer der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen:

"Die Frage ist: finden wir uns damit ab? Sind wir pragmatisch und sagen – 20 Prozent Arschlöcher in der Welt sind normal, das ist das Zitat von Lobo, ob das jetzt 20 Prozent sind, mehr oder weniger – ich stimme ihm darin zu, dass es einen bestimmten Prozentsatz von Menschen gibt, die Sie nicht zum Gutmenschentum bringen können.

Die Frage ist, was macht man mit diesem Phänomen? Ist man pragmatisch und ignoriert es, wie der Vorschlag war? Oder entscheidet man sich dafür, zu sagen: Dann muss auch der Staat, die Gesellschaft die Konsequenzen ziehen und versuchen, so etwas einzuschränken, einzugrenzen."

Und seine Antwort lautet: natürlich darf das Strafrecht benutzt werden, um Urheberrechtsverletzungen zu verfolgen: in schweren Fällen wie beim jetzt verurteilten Betreiber des illegalen Filmportals kino.to sowieso, aber auch der private, Urheberrechtsverletzende Nutzer soll bestraft werden können – nach vorangegangener Mahnung und Warnung – mit Augenmaß.

Die Gegenposition vertritt – zum Beispiel - die Autorin Kathrin Passig. Urheber wie Verwerter würden komplizierte, herausfordernde Zeiten durchleben, in denen alte Geschäftsmodelle "gründlich umgekrempelt" würden, ohne dass jemand wüsste, wie es in Zukunft gehen soll:

"Aus der Sicht beider Gruppen wäre es jetzt natürlich schön, wenn es jetzt jemanden gäbe, auf den man mit dem Finger zeigen könnte, weil er an dieser Entwicklung schuld sein soll. Das ist aber leider nicht der Fall. Hinter diesen Problemen stecken keine konkreten Personen, keine konkreten Unternehmen, es gibt nun mal Arten der Werkverbreitung, die es früher nicht gab, neue Arten der Finanzierung, der Kommunikation, neue Geschäftsmodelle, neue Möglichkeiten, irgendwas zu publizieren und neue Motive, das zu tun.

Und das bringt eine ganze Menge neuer Spannungen und Ungleichgewichte mit sich, aber mit denen müssen wir klarkommen, ohne den Nachbarn ins Bein zu beißen und ohne diesen Nachbarn erstmal herbei zu konstruieren, damit man ihm dann ins Bein beißen kann."

Diese beiden Haltungen standen einander gegenüber, für beide Seiten gab es Applaus, Ideen zur Lösung des Problems äußerte niemand, nur wenige Fragen aus dem doch großen Publikum. Als wäre die gesamte Branche - ratlos.

Mehr zum Thema auf dradio.de:
Entzauberung des Urheberrechts - Joost Smiers, Marieke van Schijndel: "No Copyright", Alexander Verlag, Berlin 2012, 168 Seiten, (Dkultur, Kritik vom 13.6.2012)
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