Von Luther bis Zweig

Von Margarete Limberg · 11.12.2007
Etwa 210.000 Dokumente der deutschen Handschriftensammlung "Berlinka", die seit Ende des Zweiten Weltkriegs im polnischen Krakau lagern, sind als Katalog erschienen. Die Schriftstücke von Martin Luther bis Stefan Zweig wurden fast vollständig in Buch und CD-ROM dokumentiert. Erst Ende der 1970er Jahre war die verschollene Autografensammlung in Krakau wiederentdeckt worden.
Der Zeitpunkt für die erstmalige Veröffentlichung eines Katalogs der Handschriftensammlung Autographa fällt durch einen glücklichen Zufall mit dem Besuch des neuen polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk zusammen, mit dem sich einige Hoffnungen auf ein besseres deutsch-polnisches Verhältnis verbinden. Die Sammlung mit ihren 210.000 Handschriften aus dem 16. bis zum 20 Jahrhundert befindet sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Universitätsbibliothek Krakau. Sie gehörte einst zum Bestand der Preußischen Staatsbibliothek und war während des Krieges in die damaligen Ostgebiete ausgelagert worden, um sie vor Bombenangriffen zu schützen. Wenn man den Katalog aufblättert, begegnet man den Namen fast aller deutschen Geistesgrößen, von Luther über Schiller und Goethe bis zu Rainer Maria Rilke. Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus Dieter Lehmann:

"Es wird hier etwas gezeigt wie ein Werkprozess einer Gesellschaft. Und deshalb habe ich auch den Begriff gewählt 'Geistiges Tagebuch der Deutschen'. Deutschland war ja, bevor es eine politische Nation wurde, zunächst eine Kulturnation. Und deswegen ist ja die Bedeutung der jetzt erschlossenen Autografen eine Doppelte: Zum einen ist dies von hoher kulturhistorischer Bedeutung, zum anderen eine symbolische Bedeutung für Deutschland."

Bisher war diese Sammlung, von deren Verbleib man in Deutschland erst Ende der 70er Jahre erfuhr, kaum sinnvoll zu nutzen. Ein aus den Anfängen des letzten Jahrhunderts stammender Katalog war unvollständig und enthielt zum Teil sogar falsche Zuordnungen:

"Wir sind daran interessiert, die Dinge, die in Krakau liegen, wieder öffentlich bekannt zu machen und zugänglich zu machen. Natürlich steht damit auch verbunden die Hoffnung, dass sie wieder nach Berlin zurückkommen. Denn diese Autografen-Sammlung ist quasi eine Sammlung, die herausgelöst ist aus dem eigentlichen Nachlassbestand."

Der nun vorliegende Katalog, der in enger und offenbar guter Kooperation mit den Kollegen der Krakauer Universitätsbibliothek erstellt wurde, ist zusammen mit einer CD-ROM mehr als nur eine Liste von Handschriften. Die Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin, Barbara Schneider-Kempf, beschreibt dies am Beispiel Martin Luthers

"Sie erfahren , an wen Luther geschrieben hat oder wer an Luther geschrieben hat. Beispielsweise sind mehrere Briefe von Luther an seine Frau Katharina vorhanden. Also, bevor man sich der Sammlung nähert, erfährt man doch schon wesentlich mehr als einen schlichten Eintrag."

Eine Schatztruhe für die interdisziplinäre Wissenschaft nennt sie diesen Katalog. Die meisten Autografen stammen von der Hand der bedeutendsten deutschen Philosophen, Theologen, Naturwissenschaftler, Forscher und Schriftsteller des 18. und 19. Jahrhunderts, aber darunter befindet sich zum Beispiel auch ein Brief Marie Antoinettes. Es ist eine der umfangreichsten Sammlungen dieser Art, deren Qualität der Leiter der Handschriftenabteilung der Berliner Staatsbibliothek, Eef Overgaauw, hervorhebt:

"In ihrem Quellenwert für die Geschichte der Philosophie, der Theologie, der Literatur und der Naturwissenschaften in Deutschland und Europa herausragend. Weitaus die meisten Autografen aus diesen Sammlungen wurden bisher nicht veröffentlicht . Für die genannten Fächer und für die Geschichte der Fächer bildet die Sammlung eine unerschöpfliche Quelle."

Die jetzt erstmals katalogisierte Sammlung Autographa sorgt wie die ebenfalls in Krakau befindliche einzigartige Berliner Sammlung von Musikhandschriften von Bach bis Brahms und eine weitere aus Berlin stammende umfangreiche Handschriften-Sammlung seit langem für deutsch-polnischen Streit, denn beide Seiten machen einen Rechtsanspruch auf diese Kunstschätze geltend. Bisher endeten indessen alle Verhandlungen in einer Sackgasse. Inzwischen gibt es polnische Stimmen, die eine Rückkehr der kostbaren Sammlungen nach Deutschland nicht grundsätzlich ausschließen. Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat denn auch noch nicht alle Hoffnung aufgegeben, aber Klaus Dieter Lehmann hält Geduld und ein hohes Maß an Sensibilität in dieser Angelegenheit für unabdingbar:

"Es wird keine schnellen Lösungen geben. Denn natürlich hat nicht nur die Autografensammlung, sondern die Berlinka einen hohen Symbolwert, der mit sehr viel Emotionen verbunden ist, die mit dem Krieg zusammenhängen und mit der Nachkriegszeit. Und da ist es eben so, dass den Polen bewusster als den Deutschen ist, was dieser Krieg angerichtet hat, was die Deutschen vom Zaun gebrochen haben. Dann ist da der große Bereich - elf Millionen Deutsche sind von der DDR und der Bundesrepublik aufgenommen worden als Flüchtlinge. Das heißt, wir haben ein ganzes Netz von Befindlichkeiten in Polen und in Deutschland. Und das muss man mitdenken und mitfühlen. Deshalb ist es nicht so einfach."
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