Von Lima nach Berlin

    12.11.2008
    Eine junge, peruanische Familie mit deutschen Wurzeln siedelt von Lima nach Berlin über. Camilo, der 24-jährige Vater, will als BMX-Sportler Karriere machen. Die kleine Tochter Dana möchte schnell Deutsch lernen, um Freunde zu finden. Doch um die Basis für ein Leben in Deutschland zu legen, muss Mutter Irene erstmal viele bürokratische Hürden nehmen.
    Eine junge, peruanische Familie mit deutschen Wurzeln siedelt von Lima nach Berlin über. Camilo, der 24-jährige Vater, will als BMX-Sportler Karriere machen. Die kleine Tochter Dana möchte schnell Deutsch lernen, um Freunde zu finden. Doch um die Basis für ein Leben in Deutschland zu legen, muss Mutter Irene erstmal viele bürokratische Hürden nehmen.

    Berlin, Hauptbahnhof. Ein weißgekacheltes Untergeschoss, so groß wie eine Sporthalle, menschenleer. In der Mitte des Areals tanzt ein dunkelhäutiger junger Mann mit einem Fahrrad, dreht Pirouetten, schwebt über den Asphalt. Leichtfüßig springt er von einem auf den anderen Reifen, dann quer über den Lenker und dreht sich schließlich lachend auf dem Hinterrad. Camilo ist Flatlander, so heißt die Disziplin auf dem BMX-Rad, für die der 24-jährige Peruaner trainiert.

    " Bei den Wettkämpfen geht es vor allem darum, neue Tricks zu zeigen. Wichtig ist nicht, wie gut du das Rad beherrscht, sondern ob du etwas mitbringst, was noch keiner gesehen hat. Darum geht es und ich bin hier, weil diese Wettkämpfe in Europa stattfinden. (lacht)"

    Schweiß rinnt von Camilos glattrasiertem Kopf, tropft auf die Nase. Erst vor wenigen Wochen ist Camilo mit seiner Familie umgezogen: von Lima nach Berlin. Im Gepäck hatte er sein selbst gebautes, kniehohes Mini-Rad, orangefarben. Im Kopf hat er ein klares Ziel:

    " Hier trifft sich die Weltklasse der BMX-Sportler, hier ist das Niveau am höchsten, hier sind die Wettkämpfe am anspruchsvollsten. Ich will in dieser Liga meinen Platz finden, Sponsoren finden, die mir die Reisen zu den Wettkämpfen ermöglichen und vielleicht den Sport zukünftig auch in Peru populär machen. "

    Camilos Frau Irene - 1,55 Meter klein, dunkle Haut, dunkles Haar - schreitet selbstbewusst auf ein schmuckloses Bürogebäude zu. Drei verschiedene Ordner klemmen unter ihrem Arm - rot, gelb, blau -, an der Hand hält sie ihre achtjährige Tochter Dana.

    Irene hat einen deutschen Pass, hat aber ihr ganzes Leben in Peru verbracht. Sie spricht Deutsch, hat Verwandte in Berlin, eine abgeschlossene Ausbildung zur Tontechnikerin - gute Voraussetzungen also für einen Anfang in Deutschland. Aber die Ämter, die Formulare, die Anträge - das alles überfordert sie:

    " Wir waren mit meinem Onkel und haben über zwei Stunden gearbeitet Und wir lesen, lesen und denken: was wollen sie wissen? was müssen wir antworten? "

    Irene wirft ihre kinnlangen, schwarzen Haare zurück, blickt ernst. Alle Formulare sind seit gestern Abend fertig, sie geht zum Empfang im Beratungszentrum für Arbeitssuchende.

    " Ihren Pass haben sie dabei, Meldebescheinigung? "

    Eine blonde, rundliche Mittfünfzigerin prüft ihre Formulare, stellt Fragen:

    " Sie suchen einen Teilzeitjob, ja? Warum nicht Vollzeit?
    Ich habe eine Tochter, die geht zur Schule…"
    Irene blickt hilfesuchend in den leeren Raum.

    " Also Sie, Ihr Mann, Sie beide brauchen ein EK, Ihre Tochter braucht das Formular KI, nicht, und ihr Ehemann braucht noch dieses WEG. "

    Irenes Deutschkenntnisse sind nicht schlecht, aber jetzt brummt ihr Kopf.
    KI wird wohl für Kinder stehen, und was ist mit dem Rest? Nach knapp vier Stunden ist Irene endlich fertig und tritt mit hängenden Schultern auf die Straße.

    Dana will endlich auf den Spielplatz. Auf der Drahtseilrutschbahn verständigt sie sich ohne Worte mit einem Jungen. Er reicht ihr das Seil. Irene lässt sich erschöpft auf einer schattigen Bank nieder, atmet durch, denkt laut nach:

    " Ich lebe in Lima mit meiner Mutter in einem Haus. Wir haben alle ein eigenes Zimmer, ein Wohnzimmer, ein Esszimmer, eine Küche, eine Terrasse, ein Dachgeschoss. Wir haben immer jemanden, der die Wäsche wäscht. Jetzt nicht mehr. Wir müssen jetzt alles alleine machen. Aber ich denke, das ist auch gut für uns, das zu lernen, selbstständiger zu sein."

    Irene streckt sich, lächelt entspannt. Sie war erst 16, als sie Mutter wurde, und sie ist stolz, dass sie es geschafft hat.

    " Ich möchte, dass Dana gut Deutsch spricht. Und das kann man in Peru nicht machen, in der Schule, wo wir waren. Und eine deutsche Schule ist zu teuer in Peru."

    Am späten Nachmittag sitzen alle drei um einen runden Esstisch bei der Tante, es gibt Nudeln mit Hackfleischsoße und Salat. Was hat der Tag gebracht? Was steht morgen an? Irene will eine Wohnung besichtigen, Camilo freut sich riesig über eine E-Mail - eine Einladung zu einem Turnier nach Paris. Dana möchte Freunde finden, schnell. Doch, doch sie kann schon etwas Deutsch:

    " Hallo. Ich heiße Dana. Ich komme aus Peru. Eins, zwei drei … zehn! "

    Abends sind Freunde zu Besuch, eine Spanierin ist dabei. Sie hört sich die Geschichte der Familie interessiert an, fragt nach der Schulanmeldung für Dana, nach Ersparnissen und erkundigt sich nach der Wohnungssuche. Sie kennt viele solche Fälle, die meisten sind komplizierter:

    " Ich glaube, sie haben ganz gute Bedingungen. Sie ist Deutsche und daher hat sie viele Ansprüche und Rechte und Möglichkeiten, sich hier relativ schnell zu integrieren und ihr Leben aufzubauen. Ich glaube schon, dass diese kleine Familie gute Chancen hat, etwas zu erreichen. Viele Leute wandern aus und es ist gut, wenn andere kommen und Lust haben, hier zu leben. "

    Irene nippt zufrieden an ihrem Bier, Camilo strahlt voller Zuversicht in die Runde - und Dana schläft tief und fest im Zimmer nebenan.