Von der Unausweichlichkeit des Schicksals

09.11.2012
Von Beruf ist er Strafverteidiger, bekannt wurde Ferdinand von Schirach aber als Schriftsteller. In "Carl Tohrbergs Weihnachten" erzählt er drei Kurzgeschichten – aber untreu wird sich von Schirach damit nicht.
Ist das jetzt etwa der Wechsel ins sentimentale Fach? Angesichts des Titels kann man diese Befürchtung schon hegen, die Lektüre der drei Geschichten allerdings belehrt uns seines Besseren: Ferdinand von Schirach bleibt sich als kühl-distanzierter Erzähler treu in diesem Triptychon von Stories, deren letzte auch die stärkste ist.

Carl Tohrbergs Weihnachten werden im Familienkreis in Salzburg begangen – und sie enden alles andere als friedlich. Es mag hier der Hinweis genügen, dass man im Deutschen ja verschiedenerlei begehen kann: Indiskretionen ebenso wie Dummheiten, und Feierlichkeiten genauso wie Straftaten.

Schon die ersten beiden Sätze dieser Geschichte deuten Unheil an: "Carl sprach nie viel. Als Kleinkind hatte ihn seine Mutter aus Versehen von einer Kommode fallen lassen, seitdem zog er das rechte Bein nach."

Der Erzähler ist ein Jugendfreund, der Carl Tohrberg seit Kindertagen kennt – auch dessen künstlerische Ader, die Carl allerdings schnell der mütterlichen Widerstände wegen zu unterdrücken lernt. So führt er ein Leben als Abteilungsleiter in einem Versicherungskonzern, gibt sich in seiner Freizeit mathematischen Gedankenspielereien hin und hat längst verstanden, der Kälte, die ihm aus seinem Elternhaus entgegenschlägt zu trotzen: "Er hält sein Leben für belanglos. Und er ist froh darüber."

Bis man sich dann in Salzburg versammelt, um einander wie jedes Jahr frohe Weihnachten zu wünschen. Erneut erweist sich Ferdinand von Schirach als ein Meister des erzählerischen Minimalismus - und wie er hier die von Gemälden wie Holbeins "Gesandte" bekannte Mal-Technik der Anamorphose (nur aus einem bestimmten Blickwinkel ist auf dem Bild ein Totenschädel zu sehen) einbaut, ist schlicht famos.

Auch die anderen beiden Stories belegen Schirachs Könnerschaft. "Seybold" ist die Geschichte des Amtsrichters Manfred Seybold. Dessen Lebenslauf von der Festanstellung bis zur Verrentung wird hier im Zeitraffer geschildert – und bereits die ausgestellte Normalität, das Gleichmaß dieses Lebensstils nährt im Leser einen gewissen Verdacht.

Tatsächlich offenbart sich die dunkle, geheim gehaltene Seite Seybolds erst nach dessen Tod in Thailand. Und so muss das gesamte Leben dieses Liebhabers von Biographien noch einmal neu betrachtet werden.

Schließlich die Eröffnungsgeschichte: ein Bäcker in Berlin, 47 Jahre alt, betreibt einen dieser Läden, die wahlweise "Backshop", "Backpunkt" beziehungsweise besonders grausam in Bayern "Back ma’s" heißen. Einst war er Konditormeister und schuf kunstvolle Torten, jetzt aber verkauft er Fertig-Teiglinge aus der Fabrik.

Warum dieser Abstieg? Der gründet auf der grausamen Hinrichtung des vermeintlichen Liebhabers seiner Frau mit dem Spaten, für die er neun Jahre im Knast saß. Der Gerichtspsychiater diagnostizierte "eine gefährliche Störung". Genau diese wird den Bäcker wieder einholen, als er der Liebe seines Lebens zu begegnen glaubt.

Auch die drei jüngsten Geschichten von Schirachs verströmen jenes Air der Unausweichlichkeit des Schicksals, für das man diesen Autor so schätzt.

Besprochen von Knut Cordsen

Ferdinand von Schirach: Carl Tohrbergs Weihnachten. Stories
Piper Verlag, München 2012
60 Seiten, 9 Euro


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