Von der Straße ins Museum

Von Günter Beyer · 15.05.2009
Was oft illegal und in größeren Städten an Wänden, an Bahnübergängen und Brücken zu finden ist, macht jetzt auf Kunst: Graffito-Künstler stellen sich aus im Bremer Museum Weserburg. Bis zum 30. August zeigt die Ausstellung Werke eines Hamburger Privatsammlers, darunter besprühte Leinwände des Londoner Untergrundkünstlers Banksy.
"Suchet, so werdet ihr finden", verspricht schon der Evangelist Matthäus. Und wenn man 25 Meter groß ist und zudem einen Feldstecher dabei hat, kann eigentlich nichts mehr schief gehen. Den Suchenden mit schwarzem Anzug und Krawatte hat der in Kopenhagen lebende Künstler Victor Ash soeben auf alle vier Seiten eines Hochbunkers gemalt.

"Die Menschen suchen immer nach irgend etwas, halten nach der Zukunft Ausschau, alles ist unsicher, gerade jetzt."

Das XXL-Bild illustriert das Motto des in der nächsten Woche in Bremen stattfindenden Evangelischen Kirchentags "Mensch, wo bist du?". Zugleich aber ist Ashs Arbeit unübersehbarer Außenposten der Ausstellung "Urban Art". Der Hamburger Kunstsammler Rik Reinking hat dem Museum Weserburg Arbeiten von 25 Künstlern aus seinen Beständen zur Verfügung gestellt.

"Wir haben hier klassische Street Art-Künstler und Graffiti-Künstler zusammen, und man wird sehr schnell merken, dass das gemeinsame Wurzeln hat."

Alle Künstler beziehen sich auf den öffentlichen Raum. Straßen
und Plätze der Großstadt sind Atelier und Bühne, viele haben sich früher selber mit der Sprühdose in düsteren Tunnels oder an S-Bahn-Zügen zu schaffen gemacht. Graffiti, nun domestiziert im Museum - geht das?
Ursprünglich sollte die Ausstellung "Partners in Crime" heißen. Das hätte suggeriert, Künstler, Sammler und Museum hätten sich in partnerschaftlichem Einvernehmen dem Risiko illegaler, weil von niemandem bestellter, Kunstproduktion ausgesetzt. Dazu Weserburg-Kurator Ingo
Clauß:

"Es hat sich herausgestellt, dass die Künstler diesen Titel nicht mitgetragen haben, und es wurde so gesehen, dass sich das Museum anmaßt, ein "Partner in Crime" zu sein, also der Aspekt von Vandalismus, eigenständiges Arbeiten im Außenraum, dass das ja doch etwas anderes wäre als wir im Schilde führen als Museum."

Und so einigte man sich auf "Urban Art". Dazu zählen zum Beispiel dreidimensionale Graffiti, wie sie der Hamburger Künstler DAIM an die Wand sprüht. Auf seinen großflächigen Bildern überlagern, verschränken und zerknäulen sich plastisch geformte Pfeile, Linien und Buchstaben zu einem gordischen Letterknoten. Eine Signatur, die aus der Tiefe der Wand aufzusteigen scheint und vor dem Betrachter explodiert.

"Es ist ein Stückweit meine Persönlichkeit, die sich da auch drin widerspiegelt, und das ist nun mal, jedes Mal, wenn ich einen DAIM-Style sprühe oder male, ist es ein Stückweit auch ein Selbstporträt, das bin ich nun mal, und daran kann man super arbeiten."

DAIM gehört zu den etablierten "Kings" der Szene, die von Kunst
für die Straße leben können. Das gilt längst auch für Banksy. Der große Unbekannte der Szene ist mit fünf Schablonen-Arbeiten vertreten. Anders als das Graffiti erlaubt die Schablone, dasselbe Motiv in kürzester Zeit und an verschiedenen Orten zu sprühen. Banksy ist drastisch, plakativ, anarchisch. Ein niedliches kleines Schulmädchen hält eine Bombe in den Armen. Banksy produziert aber auch Skulpturen, etwa einen ausgestopften, rosa angesprühten Wildschweinkopf, behütet vom Originalhelm eines Londoner Polizisten. Banksys so genanntes "Polizistenschwein" beantwortet nebenbei auch die Frage, wie man denn Künstler wie DAIM oder BANKSY sammeln kann - muss man da die Wand gleich mitnehmen? Rik Reinking:

"Alle haben immer auch auf Leinwand gearbeitet oder Papierarbeiten produziert oder Objekte. Es sind sehr viele gerahmte Papierarbeiten, es sind sehr viele gerahmte Leinwandarbeiten, es sind Objekte, Skulpturen, Konzepte. Das ist und war immer handelbar."

In einer Ecke lungert ein Typ in blauem Kapuzenpullover und abgetragener Kordhose. Ein Gesicht hat er nicht, der "Sitter" ist eine Textilskulptur ebenso wie sein Kumpel, der "Trasher", der aus Hose, Turnschuhen und einem Müllbeutel als Oberkörper besteht. Der US-amerikanische Street-Art-Künstler Mark Jenkins hat die Figuren irgendwo auf der Straße ausgesetzt.

Wunderbar minimalistische Arbeiten sind zu sehen wie Heiko Zahlmanns "Destroy Line" - fünf handtuchgroße Betonplatten, trist grau bis auf eine mit schwarzer Farbe gesprühte, geschwungene Linie, mit der zornige Sprayer die tags und pieces von Kollegen zerstören, mit denen sie gerade Stress haben. TILT, der aus der französischen Graffiti-Szene kommt, kann dagegen kaum überzeugen. Er überredet junge Frauen, sich von ihm mit süßlichen bonbonbunten Zeichen bemalen zu lassen. Die Haut als Wand wird fotografiert, als Dankeschön sprüht TILT den Namen seines Models an eine Wand. Boxi verbindet Wandmalerei in Grau mit Schablonenarbeiten. Ein Liebespaar, eingepackt in Schutzanzüge und ausgerüstet mit Atemmasken, umarmt sich vor einer unwirtlichen Stadtautobahn.

Solche Arbeiten werden auf Nimmerwiedersehen verschwinden, wenn die Ausstellung vorüber ist. Sammler Rik Reinking kann damit leben.

"Vielleicht ist das ungewöhnlich, vielleicht ist das irgendwie der interessante Punkt. Es gibt immer diese Erwartungshaltung, dass man etwas für die Ewigkeit produziert, und ich habe das öfter schon gehabt, dass am Ende einer Ausstellung mich dann der Spediteur gefragt hat, wie sie denn diese Wand abbauen sollen, und ich dann sagte: "Ja, das kommt in die Tonne." Beschäftigt man sich aber mit dem, wo diese Künstler herkommen: die sind das gewohnt, dass es Arbeiten vielleicht nur über Nacht gibt oder wenige Tage, oder der Moment, wo der Zug in den Hauptbahnhof einfährt."