Von den Nazis um das olympische Gold gebracht

Von Christoph Richter · 11.09.2009
Bis 1933 waren jüdische Spitzensportler in den Vereinen und Sportverbänden integriert und sorgten für internationale Erfolge. Eine von ihnen war die Hochspringerin und olympische Goldhoffnung Gretel Bergmann.
Das Elternhaus im schwäbischen Laupheim in der Nähe von Ulm war für die kleine Gretel Bergmann - die spätere Weltklasse-Hochspringerin - ein Paradies. Mit ihren zwei Brüdern tobte sie als Kind ständig durch jeden Winkel des Hauses der jüdischen Unternehmerfamilie Bergmann, die in zweiter Generation eine erfolgreiche Firma für Frisierbedarf führte. Schnell begann sie sich für die verschiedensten Sportarten zu interessieren. "Skifahren, Eislaufen, Schwimmen, Tennis beherrschte ich schon früh, ohne dass es mir jemand zeigen musste", schreibt Gretel Bergmann nicht ohne Stolz in ihrer Autobiografie "Ich war die große jüdische Hoffnung".

"Ich liebte alles, was mit Sport zu tun hatte. Und ich war da gut drin. Wir waren damals alle faire Kameraden, eben eine große Sportsfamilie. Jeder war für den Anderen da. Es war einfach toll."

Damit steht Gretel Bergmann exemplarisch für viele der jüdischen Sportler, betont Hans Joachim Teichler, Professor für Zeitgeschichte des Sports an der Universität Potsdam.

"Sie sind integriert, der Sport war wirklich der Teil der Gesellschaft, wo sie wirklich das sportliche Gleichberechtigungsprinzip spürten. Wo sie anerkannt waren, und wo sie kein Hauch von Antisemitismus spürten."

1914 wurde Gretel Bergmann, als Margarete Minnie Bergmann geboren. Die Religion spielte keine Rolle im Leben der Bergmanns. Sie waren eine klassisch assimilierte deutsch-jüdische Familie. In Laupheim, die lange Zeit die größte jüdische Gemeinde Württembergs beheimatete, herrschte ein unkompliziertes Miteinander von Juden und Nichtjuden. Erzählt Gretel Bergmann. Wenn sie zur jüdischen Sonntagsschule musste, war ihr das eher unangenehm.

"Die meisten meiner Freunde waren nichtjüdisch. Und das war niemals, aber wirklich nie ein Problem. Bis sich plötzlich alles geändert hat."

Das war 1933, als die Nürnberger Rassegesetze eingeführt wurden. Dann wurde sie, wie alle anderen ihrer jüdischen Sportskameraden, von einem Tag auf den anderen - ohne Not und völlig freiwillig - aus dem Ulmer Sportverein 1894 rausgeschmissen, in dem sie seit dem 16. Lebensjahr Mitglied ist.

"Es ist im Grunde sehr erschreckend, wenn man sich klarmacht, dass die Nationalsozialisten erst wenige Wochen an der Macht waren, und sich innerhalb der Bevölkerung, ja praktisch freiwillig, über Nacht die Bereitschaft zeigte, jüdische Mitglieder aus den Vereinen zu drängen."

So Sporthistorikerin Jutta Braun.

Doch bis zu diesem Zeitpunkt war Gretel Bergmann ein Star. Eine junge Frau mit langen Beinen, kurzen schwarzen Haaren und entschlossenem Blick.

1933 emigriert sie nach London, wird dort gleich britische Meisterin. Anschließend zitieren sie die Deutschen zurück nach Deutschland. Weil die USA offen mit einem Boykott der Olympischen Spiele drohen, wenn keine jüdischen Sportler in die deutschen Olympiamannschaft berufen werden. Deshalb planen die Nazis, Gretel Bergmann zu nominieren. Allerdings nur zum Schein. Ein perfider Plan, denn nur so gelingt es der NS-Führung, die Propagandaschau über die Bühne zu bringen.

Zwei Wochen vor den olympischen Spielen wird sie aber mit fadenscheinigen Begründungen aus dem Olympiakader geworfen.

"It was a nightmare."

So Gretel Bergmann später. Sie wird zum "Lockvogel, zur Schachfigur in Hitlers politischem Täuschungsmanöver", schreibt sie in ihrer Autobiografie "Ich war die große jüdische Hoffnung". Bis heute sitzt der Schmerz tief. Denn Hitlers Handlanger haben sie, da ist sie sich absolut sicher, 1936 um die Gold-Medaille betrogen.

Ein Jahr später geht sie, nur mit vier Dollar in der Tasche, nach New York. Nimmt den Namen ihres Mannes an. Und entschließt sich, nie mehr die deutsche Sprache zu sprechen. Das Ausmaß ihres Leids ist unermesslich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass kein Mitglied der Familie ihres Mannes die Vernichtungslager überlebt hat.

"Ich glaub, dass sie sich mittlerweile ausgesöhnt hat. Als wir das erste Mal da waren hat sie für uns gekocht. Und es gab Kalbsgulasch, Spätzle, Gurkensalat. Also ein schwäbisches Gericht. Und sie trägt immer eine zweite Uhr, da ist immer die deutsche Zeit drauf. Also die Zeit von Laupheim wo sie herkommt."

Erzählt Kaspar Heidelbach, der nun mit dem Film BERLIN 36 erstmals die Geschichte von Gretel Bergmann ins Bewusstsein einer größeren Öffentlichkeit bringt.

Die erste Zeit in New York ist für Gretel Bergmann schwer, und geprägt von großen Entbehrungen. Gretel Bergmann, die sich nun Margaret Lambert nennt, wird Krankenschwester und Mutter von zwei Söhnen. Einer von ihnen ist Glenn Lambert.

"Der Trost, den Respekt, den meine Mutter in den letzten 20 Jahren gerade von Deutschen erfahren hat, hat ihr viel geholfen zu verstehen. Sie sagt aber auch, was man ihr damals angetan hat, dass kann und wird sie den Menschen von damals nie verzeihen."

Heute lebt Margaret Lambert 95-jährig, zusammen mit ihrem 99-jährigen Mann, im dörflichen Jamaica, einem Ortsteil von Queens in New York City. Besonders stolz ist die frühere Weltklasse-Hochspringerin, eine energische Frau, auf ihr Haus mit den wunderbaren Kirschbäumen davor.

Doch immer wenn sie im Fernsehen Bilder der Olympischen Spiele von 1936 sieht, beginnt für Margaret Lambert der Schmerz aufs Neue. Träfe sie alte Nazis von damals, sagt sie, würde sie denen sofort mitten ins Gesicht schlagen. Denn bis heute kann und will sie es einfach nicht verstehen, dass man sie um eine olympische Medaille gebracht hat, nur weil sie eine Jüdin ist.
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