Von Ameisen und Elefanten

Angela und Folco Terzani im Gespräch mit Holger Hettinger · 03.10.2010
Bruno Ganz verkörpert in "Das Ende ist mein Anfang" den legendären Asien-Korrespondenten des "Spiegel", Tiziano Terzani. Der Film folgt einem Buch, das dessen Sohn Folco nach seinen Gesprächen mit dem krebskranken Autor verfasste.
Holger Hettinger: Das Buch "Das Ende ist mein Anfang", das Sie geschrieben haben, Folco Terzani, ist auf ausdrücklichen Wunsch Ihres Vaters entstanden. Haben Sie denn auch über einen möglichen Film gesprochen?

Folco Terzani: Nein, nein, überhaupt nicht, wir hatten überhaupt nicht an das gedacht. Ich wollte auch kein Buch machen, ich wollte einfach mit meinem Vater sprechen. Er hat etwas zu sagen, und er wollte es nicht nur mir erzählen vielleicht, aber er hatte schon das gewusst, dass er ein besonderes Leben gelebt hatte. Mit wem sollte er sprechen? Er könnte vielleicht mit einem Journalisten sprechen, aber das war nicht so richtig. Und dann eines Tages hat meine Mutter gesagt: Warum sprichst du nicht mit deinem Sohn? Und dann hat er gesagt: Ja, das stimmt, das ist es, mit ihm will ich sprechen. Und das hat perfekt funktioniert, weil ich, ich war wirklich neugierig, was seine Konklusionen über das Leben waren. Es war natürlich, dass man wissen will von einem, der stirbt, also sein Leben wird nicht mehr da sein, er wird nicht mehr sprechen. Also was willst du wissen von ihm? Und wenn er dein Vater ist, gibt es eine Weisheit, gibt es etwas, das er gelernt hatte in seinem Leben, das dir helfen kann?

Hettinger: Es ist ein sehr persönliches Buch geworden. Tiziano Terzani ist eine ja sehr markante Erscheinung, ich rede über ihn in der Gegenwart, und ich glaube, das hat was zu bedeuten. Diese eleganten Bewegungen, die weißen Haare, der Bart, der sah schon so ein bisschen aus wie der Träger einer, ich sag mal, übergeordneten Weisheit. Wie war das für Sie, Angela Terzani, Bruno Ganz in der Rolle zu erleben?

Angela Terzani: Natürlich ist das etwas, was ich mich auch gefragt habe, aber dann wieder nicht gefragt habe, denn man weiß ja, dass Film und Theater, das sind Interpretationen. Und das, was mich sehr interessiert hat, ist, was Bruno Ganz von Tiziano überliefert hat, was er da verstanden hat. Und da fand ich, Tiziano hatte viele, viele Seiten, er war wirklich eine Art Renaissance-Florentiner, und er hatte auch lustige und leichte Seiten, sehr viele, aber sein Grund war ernst, sehr ernst. Und das hat Bruno sehr gut gemacht.

Hettinger: Ist ja so ein ganz interessanter Typ, wenn man so sieht, wie nimmt man Italiener hier in Deutschland wahr, da hat man ja so Eros Ramazzotti, so dieses Latin-Lover-Klischee, dass das hochgebildete Menschen sind, die aus einem unglaublichen Wissensfundus schöpfen, das spürt man, glaube ich, sowohl in dem Film als auch in dem Buch, aber auch diese Weisheit, diese Jahre als Südostasien-Korrespondent, die auch was machen mit diesem Menschen. Haben Sie mit Bruno Ganz darüber gesprochen?

Angela Terzani: Ich habe mit Bruno Ganz nicht über Tiziano gesprochen, nicht bevor er ihn gespielt hat.

Hettinger: Tatsächlich? Ui!

Angela Terzani: Da merkte man, das durfte man nicht. Er hat seine eigene Sicht von Tiziano, und er hat sie sehr ernst genommen und sehr mit Gewicht gespielt und mit Verantwortung, und das hat mich wieder interessiert. Vielleicht mehr interessiert als Bruno Ganz interessierte, was ich über Tiziano zu sagen hätte.

Hettinger: Folco Terzani, wie war das für Sie. Elio Germano, der da auch brillant spielt in diesem Film als, ja, quasi Sie selbst zu erleben?
Folco Terzani: Er spielt sehr, sehr gut, er ist besser als ich. Ich finde ihn, also … Vom ersten Tag sind wir so fast befreundet, ich wusste nie, ob er mich anguckte, um zu lernen, wie ich mich bewegte oder etwas, wir haben nur natürliche Empfindlichkeit, also das ist gleich. Aber was interessant war, ist, dass er viel stärker als ich war. Ich war wirklich wie in einem sokratischen Dialog - die anderen sagen einfach, ah ja, sehr gut, Sokrates, das stimmt, das ist richtig, bitte erzähl mal weiter. Ich war ein bisschen so mit meinem Vater, weil ich wollte wirklich nur zuhören dieses Mal. Wir hatten schon vielmals gestritten in unserem Leben, aber am Ende wollte ich nicht streiten, ich wollte nur hören, was er zu sagen hatte. Aber Elio hat das stärker gespielt, und ich finde es gut. Er hat gespielt, was unten war und nicht, was auf der Oberfläche war.

Hettinger: Also auch der Konflikt kommt ja auch zumindest durch, ne?
Folco Terzani: Ja, der Konflikt kommt da auch. Und im Film gibt es einen Konflikt, der im Buch nicht existiert, aber dieser Konflikt war wahr. Es hat wirklich passiert, also ich habe für drei Monate versucht, überhaupt nicht zu streiten mit meinem Vater, weil ich wollte wirklich wissen, was er dachte über das Leben, und es war nicht nötig zu sagen, ja, ich bin nicht einverstanden über dies und das, aber einmal muss es kommen. Und im Film gibt es diesen Konflikt.
Hettinger: Angela Terzani, haben Sie durch den Film Ihren Mann noch mal in, ja, ich sag mal, in einem anderen Licht gesehen, ist da noch was hinzugekommen?

Angela Terzani: Das ist eine schwierige Frage. Ich habe die …
Hettinger: Deswegen stelle ich sie erst jetzt.

Angela Terzani: Ja, das ist eine schwierige Frage. Doch, was ich … Ich sehe ihn immer im gleichen Licht, aber vielleicht habe ich noch stärker verstanden, was für ihn so wichtig war am Ende, dass man das Sterben versteht und dass man es akzeptiert und dass man es nicht nur akzeptiert, sondern es keine andere Möglichkeit gibt, es gibt ja nur die. Und dass man deswegen die Natürlichkeit des Sterbens versteht. Und da hat er, fand ich, immer sehr schöne Beispiele, die auch eben im Film wieder und wieder durchgekommen sind, eben die Ameisen, die alle gestorben sind und so weiter, und die Elefanten und dass die ganze Erde im Grunde ein Friedhof ist. Und dass dieses wieder hervorgehoben wurde, war mir wichtiger als die Kriegsgeschichten. Denn das ist das, was man weitergeben kann und was wir eigentlich wirklich verstehen sollten.

Hettinger: Mich hat so beeindruckt diese heitere Gelassenheit, mit der der Tod vorkommt, also er kommt ja nur vor, aber man hat so das Gefühl, dieser Mann, Tiziano Terzani, der hat ihn im Griff, er hat einen Zugriff drauf, das fand ich total beeindruckend.

Angela Terzani: Sie haben recht, er hatte einen seltenen Griff, seltenen Griff auf diese … Das war nun aber auch seine, die Herausforderung. Als er hörte, dass er Krebs hatte - keinen schlimmen Krebs -, hat er aber gleich gesagt, das ist das Ende, und ich will hier nicht mit verbundenen Augen in den Tod gehen, und ihr alle, die mir sagt, ach, du wirst schon sehen, es wird alles gut gehen - das wollte er nicht hören. Er wollte sich darauf vorbereiten, ernsthaft, und er wollte es nicht als Tragödie sehen. Denn was Tiziano in seinem Leben nie gewesen ist, er war kein Opfer, kein Opfer von nichts. Er hatte das Ruder immer in der Hand – vor uns, vor dem "Spiegel", vor der Welt, und auch vor dem Tod. Und dieses Autonome, das ist das Beeindruckende, und das kann man lernen.

Hettinger: Schöne Botschaft, sowohl vom Film als auch von dem Buch. Der Film stellt die Lebensgeschichte Tiziano Terzanis im Vergleich zum Buch doch etwas gerafft, etwas verkürzt dar. Nach welchen Kriterien haben Sie denn die Episoden ausgewählt und geordnet?

Folco Terzani: Ich dachte immer, seine wichtigste Reise war seine letzte Reise, diese Reise in den Tod, und für mich auch. Also in seinem Leben, von all den Sachen, die er getan hat, was mich am meisten beeindruckt hat, ist, wie er gestorben ist. Also das war wirklich das Interessanteste. Wir können verschiedene Leben leben, aber die müssen voll sein, damit am Ende man sagen kann, ich habe mein Leben gelebt, ich habe alles getan, was ich machen wollte, jetzt kann ich gehen, aber ich kann ruhig gehen. Und das war das Interessanteste überhaupt für mich auch zu sehen, wie man diese Zeit so schön, wie es so schön war. Wir haben wirklich Spaß gehabt, wir haben auch viel gelacht in dieser Zeit. Es war wirklich eine der besten Zeiten überhaupt mit meinem Vater, und das war ganz am Ende, und das war das toll, dazusitzen unter einem Baum, zwei Männer, und zu denken, wo sind wir denn, was passiert hier rum. Es gibt das Leben, es gibt das Sterben, es gibt die Ameisen, und es ist alles so groß, so enorm.

Hettinger: Dieser Film ist in Ihrem Familiensitz gedreht worden, in der Toskana, hatten Sie da nicht die Angst, dass das vielleicht auch ein bisschen zu privat, zu intim werden könnte?

Angela Terzani: Natürlich haben wir die Angst gehabt, aber plötzlich wird das eigene Haus zu einer Bühne, und das, was wir schon gelebt haben, ist noch mal gespielt worden, auf dieser gleichen Bühne.

Folco Terzani: Es war wie Geister, die wiedergekommen sind, und sie sprachen die gleichen Wörter an den gleichen Orten, das war wirklich merkwürdig. Manchmal kam ich zurück vom Steinpilzesuchen, und da war ein Mann mit einem weißen Bart im Garten und er sagte: Ja, nur warum macht das Sterben bloß solche Angst, wo das doch alle getan haben, Milliarden und Abermilliarden von Menschen? Und ich habe die Wörter schon gehört, was passiert hier? Und es war wie ein Geist im Garten, der sprach die. Also diese Wörter sind nicht mit dem Wind weggegangen, sie sind da geblieben und die kommen wieder, und das war wirklich merkwürdig.

Hettinger: Hätten Sie Ihrem Vater, wenn Sie es heute noch mal zu machen hätten, gerade mit der Beschäftigung mit diesem Film, hätten Sie ihm andere Fragen gestellt als damals?

Folco Terzani: Nein, nein, nein - ich wollte das wissen, ich wollte wissen, ob man am Ende etwas über das Leben sagen kann. Gibt es etwas wie Weisheit, kann man sagen, was wichtig im Leben war? Also die größeren Fragen, das war, was ich fragen wollte, und ob man wirklich vor dem Tod stehen kann, ohne Angst zu haben. Aber ich wollte das nicht nur fragen, weil man kann mit Wörtern spielen, ich wollte gucken, wie er das wirklich machte. Sein Gesicht gucken, seine Augen gucken, was passiert am Ende. Und dann war ich früher ein junger Mann, und dann ist mein Vater gestorben, und dann bin ich ein Mann geworden. Was in ihm war, ist in mich gekommen durch dieses Gespräch.
Hettinger: Sehr beeindruckend, es funktioniert als philosophische Annäherung an das Leben, als sehr intensive, sehr tröstliche Reflexion über den Tod. Ich habe es aber auch so ein bisschen geschaut als, ja, Vater-Sohn-Erzählung. Und da habe ich mir überlegt, einerseits natürlich, das ist, welch ein Geschenk, so einen Vater zu haben, aber auf der anderen Seite, wenn ich mir das so jetzt vorstelle, das hätte mich auch manchmal ein bisschen angestrengt, so eine Überfigur letztlich als Vater oder, Angela, in Ihrem Fall als Mann zu haben, dieses Exemplarische, mit dem das Leben hier gelingt. Ist das nicht auch eine Bürde?

Angela Terzani: Natürlich ist das, das ist nicht normal, ist ein normales Leben, aber das ist der Preis, den man natürlich dafür bezahlt, dass man so ein Leben teilen kann. Im Grunde hatten wir ein sehr enges Verhältnis und wir haben sehr viel immer zusammen geredet, auch wenn es schwierig war und wenn er viel reiste und so, aber wir haben uns sehr, sehr gut verstanden. Aber ich habe mich im Buch wie im Film ganz und gar zurückgehalten, damit dieses Gespräch zwischen den beiden zustande kommen konnte.

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