Vom Verlust und der Suche nach Heimat

03.05.2012
Die Österreicherin Schulamit Meixner erzählt in ihrem Debütroman die Geschichte einer Erwachsenwerdung, der ersten großen Liebe und des ersten wirklichen Verlusts – und am Ende von der Versöhnung einer Familie.
Meixners Heldin ist Amy, Tochter zweier wohlhabender Künstler im London von heute. Der Vater ist Maler, die Mutter Bildhauerin. Sie unterrichtet in edlen Sommerkursen die zukünftige Kunstmarktelite, manchmal wird sie als jüdische Künstlerin noch in Jurys gebeten, um Entwürfe für Shoah-Mahnmale zu beurteilen, was sie jedoch als überflüssig ablehnt.
Wenn die beiden nicht gerade in London, Wien, Salzburg oder Paris eine Ausstellung eröffnen, ziehen sie sich in ihr Haus auf Long Island zurück. Amy muss sehen, wo sie bleibt. Ihre Eltern sind kaum für sie da, sie schicken sie lieber auf ein Internat. Auch ihr Designstudium arrangieren sie – in Israel.

Als Amy dort ankommt, ändert sich Vieles für sie. Von Beginn an muss sie sich neu orientieren. Als ihr Onkel sie am Flughafen verpasst, schlägt sie sich allein in Tel Aviv durch, sie öffnet sich den – im Vergleich zu Mitteleuropa – chaotischen Verhältnissen, fühlt sich zum ersten Mal frei, das Jüdisch-Sein ist Nebensache in Tel Aviv.

Als sie Nimrod kennen lernt, Sozialpsychologe mit Weltverbesserer-Anspruch, beginnt die erste große Liebe ihres Lebens, Tochter Sharona wird geboren, doch irgendwann geht Nimrod als Sozialarbeiter nach Indien. Der Bogen ist überspannt, das Abenteuer gerät an seine Grenzen, aber Amy ist inzwischen eine andere. Sie hat mit Nimrod das kennengelernt, was ihre Eltern ihr nicht bieten konnten: Zugehörigkeit, Nähe, Verwurzelung, aber auch Selbstständigkeit. Dennoch endet dieser Reifeprozess mit dem Verlust ihres Mannes.

Der Verlust, das sieht sie ein, ist ein Motiv, das Juden zwangsläufig seit Jahrhunderten umtreibt. So beginnt sie sich für ihre Familie zu interessieren, für die Verlorenen, Vertriebenen, Getöteten. Auch für die Nachkriegszeit in Wien, als ihre Eltern noch von Altnazis unterrichtet wurden, die jüdische Kinder noch immer so behandelten wie vor 1945.
Doch nicht nur ihre Familiengeschichte beginnt sie zu interessieren. Sie will sich auch ihrer eigenen Tochter nähern, die inzwischen 10 Jahre alt ist und viel zu wenig über ihre Mutter und den verlorenen Vater weiß.
Am Ende erscheint eine gewandelte Protagonistin vor dem Leser. Nicht unbedingt glücklicher also vorher. Aber stärker.

Schulamit Meixner legt einen modernen Entwicklungsroman vor, die Geschichte einer Reifung unter Schmerzen. Auch wenn sie zuweilen ins Dozierende rutscht, zuweilen einige Figuren allzu statisch wirken – die Autorin findet am Ende ihren eigenen Ton und ihre eigene literarische Haltung, sie bleibt nah bei ihrer Protagonistin Amy und deren Geschichte, verzettelt sich nie. Eine sehr willkommene neue Stimme in der deutschsprachigen Literatur, auf deren zweiten Roman man gespannt sein darf. Warum nicht eine Fortsetzung der Geschichte von Amy? Jetzt, wo ihr zweites Leben begonnen hat?

Besprochen von Vladimir Balzer