Vom Personalisieren und Inszenieren

Von Bernd Gäbler · 20.10.2012
Politiker stehen inzwischen fast permanent unter Beobachtung. Das ist nicht angenehm, aber auch kein Grund für Mitleid. Denn die Politiker tun ihrerseits alles, um Medien als Bühne zu nutzen für die eigene Selbstinszenierung, kommentiert der Medienwissenschaftler Bernd Gäbler.
Anfangs reagierte Peer Steinbrück, der in einer Sturzgeburt hervorgebrachte Kanzlerkandidat der SPD, noch mürrisch, wenn energisch und immer wieder gefragt wurde, wann, wie, wozu und - vor allem natürlich - für wie viel Geld er denn wo welche Vorträge gehalten habe. Solche Fragen können nerven. In einem Rundfunkinterview verstieg er sich dann zu der philosophischen Überlegung, dass totale Transparenz am Ende selbst totalitär sei.

Jetzt ist alles anders. Es ist die SPD, die im Bundestag totale Transparenz für alle Abgeordneten bis auf Euro und Cent fordert. Es blockieren CDU/CSU und FDP: kein Geschäftsmann könne so noch Abgeordneter werden.

Natürlich sind Medien immer mitten im Getümmel. Sie schießen mit Schrot und äußern Verdacht. Selten arbeiten Journalisten mit gleicher Präzision wie Chirurgen oder Brückenbauer. Der maßlose Satz aber, Peer Steinbrück sei ein Finanzprodukt, stammt nicht von bösen Medien, sondern von CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt.

Selbst wenn sie nerven – es ist der ureigene Job der Journalisten, den Politikern nicht nach dem Mund zu reden, sondern ihnen auf die Finger zu sehen. Nur diese Funktion, öffentliche Kontrolle auszuüben, legitimiert ihr Tun. Wie sie dieser Funktion gerecht werden, unterliegt weniger institutioneller Kontrolle als unserem Urteil, als kritische Medienkonsumenten wie als wache Bürger.

Im Falle des ehemaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg haben viele populäre Medien ihn noch gefeiert, als jeder schon wissen konnte, dass seine Dissertation ein Vergehen und keine kleine Schummelei war. Der eitle Himmelstürmer betrieb großen Täuschungsaufwand, um seinen vielen Vornamen auch noch den prestigeträchtigen "Doktor" voranstellen zu können.

Und bei Annette Schavan? Gibt es eine Hetzjagd der Medienmeute gegen die Bundesbildungsministerin? Das wird man ernsthaft nicht behaupten können. Freilich wird auch hier fündig, wer tief in die akribische Fehlersuche auf einschlägigen Internetseiten einsteigt. Primärquellen werden als gelesen ausgegeben, obwohl sie nur via Sekundärliteratur zur Kenntnis genommen wurden. Abschnitte werden fast wörtlich übernommen. Bei Siegmund Freud kannte sich Fräulein Schavan offenbar nicht so gut aus. Zu recht aber schreiben viele, Schavans Dissertation sei eine völlig andere Sache als Guttenbergs Plagiat. Nicht von Eitelkeit diktiert ist das, was die 23-jährige fleißige Studentin im Jahr 1980 über das Gewissen geschrieben hat. Das Werk kann eine eigene geistige Leistung sein. In aller Ruhe ist das jetzt zu prüfen.

Medien thematisieren gerne das, was leicht nachvollziehbar ist. Wie ehrlich ist ein Politiker? Wie glaubwürdig? Es geht um den Charakter, um Fragen der persönlichen Moral. Kein Medium hat die Bundeswehr-Reform mit gleicher Wucht kritisiert wie Guttenbergs Dissertation. Niemand befragt Schavans Exzellenz-Initiative ähnlich akribisch wie ihre pädagogisch-theologischen Erörterungen über "Person und Gewissen."

Medien personalisieren – ja, was denn sonst? Politiker stehen inzwischen fast permanent unter Beobachtung. Das ist nicht angenehm, aber auch kein Grund für Mitleid. Denn die Politiker tun ihrerseits alles, um Medien als Bühne zu nutzen für die eigene Selbstinszenierung – als guter Mensch, besorgter Familienvater, Nierenspender oder Fußballfan.

Peer Steinbrück und Annette Schavan sind nicht Opfer eines Tugend-Terrors. Nur - ein paar Fragen müssen sie schon noch beantworten. Und wir? Wir passen auf, wie sehr die Medien die Politiker tatsächlich an politischen Maßstäben messen.
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