Vom Leben und vom Tod

Von Johannes Halder · 26.01.2013
Ferdinand Hodler (1853-1918) hat wie kein anderer Maler das Bild und künstlerische Selbstverständnis seiner Schweizer Heimat geprägt. Die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel zeigt 80 seiner Werke aus dem Spätwerk, darunter die berühmten Alpenpanoramen und Hodlers Auseinandersetzung mit dem Tod.
Manchmal geht es ganz schnell mit dem Sterben. Da sehen wir, gleich im ersten Raum der Schau, Ferdinand Hodler auf einem Foto vom 17. Mai 1918, noch ganz munter bei einer Promenade am Ufer des Genfer Sees, und tags darauf liegt der Maler auf dem Totenbett. Nase und Kinn, ja der ganze Körper, ragen aus den Kissen wie ein Bergmassiv. Ferdinand Hodler, ein Mann wie ein Fels, ein urchiger Typ, wie man in der Schweiz zu sagen pflegt, ein Weiberheld, ein Malerstar. Jetzt ist er tot.

Stiernackig und viril, mit leuchtenden Augen und vollem Bart blickt uns der Maler im angrenzenden Saal auf einer Serie von späten Selbstporträts ins Gesicht - so intensiv, damit wir merken: ihm ging es immer um das Sehen.

Weiter hinten hat man einen Raum in eine Art Sterbezimmer verwandelt und die Wände mit einem hellen, fahlen Blau getüncht. Ja, und manchmal kommt der Tod ganz langsam. Ringsum hängt eine Reihe von Gemälden, auf denen Hodler das Leiden und Sterben seiner krebskranken Geliebten Valentine Godé-Darel verewigt hat. Ein Dutzend Mal werden wir Augenzeuge, wie Siechtum und Verfall Gesicht und Körper der Geliebten zeichnen, die dem 20 Jahre Älteren gerade erst ein Kind geboren hatte. Monatelang quält sich die Kranke dem Tod entgegen, und Hodler sitzt daneben als künstlerischer Sterbebegleiter.

Er schildert, wie sich die bräunlich-grüne Haut über die kantigen Knochen des Gesichts spannt, malt die gespenstisch tiefen Augenhöhlen über dem schwarzen Abgrund des geöffneten Mundes, so schonungslos direkt, dass man fast das Röcheln hört. Und am Ende liegt die einstmals schöne Frau, abgemagert zum Skelett, flach auf den leichenweißen Laken.

Stellt sich die Frage, wie der verheiratete Maler es fertig brachte, im Angesicht des Todesdramas scheinbar ungerührt den Pinsel zu führen. Kurator Ulf Küster:

"Als Frau war sie eine Episode. Als Mutter seiner Tochter war sie natürlich mehr. Und als Sujet war sie ganz ganz viel, weil sie es ihm ja auch gestattete, sie zu malen. Sie wusste ja, was er tat. Für sie, die sie ihn ja kannte, war natürlich die Tatsache, dass er sie malte, auch die Garantie dafür, dass er bei ihr war. Seine Form der Anteilnahme war Kunst. Indem er sie malt, ist er dabei."

Hodler sei, was Frauen betrifft, nicht schlimmer gewesen als Picasso, sagt der Kurator. Mit Maßstäben der Moral kommt man der Mission dieses Malers, diesen beklemmenden Protokollen der Agonie, jedenfalls nicht bei. "Für mich ist es der Tod, der manchen Gesichtern ihre wahre Schönheit verleiht", sagte Hodler, der dem Tod oft genug ins Gesicht geschaut hatte.

Früh starben seine Eltern, und bevor er 23 Jahre alt war, hatte er auch seine fünf Geschwister verloren, alle an Tuberkulose gestorben, der Armeleutekrankheit. Und auch er selbst starb an einem Lungenleiden.

Hodlers Werk handelt vom Leben und vom Tod, und der Tabubruch am Totenbett, so die Theorie der Schau, war der Katalysator, der die Wende brachte zu Hodlers Spätwerk. Und das hat auch seine lichten Seiten. Hodler malt Bergbäche und Gesteinsbrocken, Gebirgsformationen und Gletschermassen; im Alter kann er ohne jeden Zwang die Formen klären und die heimische Postkartenidylle mit kühlen Farben und strenger Geometrie auf eine gleichnishafte, entleerte Urzeitlandschaft reduzieren - die reine Natur.

Trotz ihrer Schönheit fast ermüdend ist die lange Reihe der Motive, die sich durch mehrere Räume ziehen. Hodler malt Eiger, Mönch und Jungfrau, den Thuner See, den Genfer See mit dem Mont Blanc in der Ferne, am Morgen, vor Sonnenaufgang und abends in der Dämmerung. Er malt die glatten, weiten Wasserspiegel, die sommerklaren Berghimmel mit ihren tanzenden Wölkchen und der Hodler-typischen, schmeichlerischen Grün-Blau-Harmonie.

Er lässt die geographischen Details zu monochromen Farbfeldern zusammenschmelzen und zeigt, dass er als Maler auch Berge versetzen kann, um die Symmetrie herzustellen, jenen "Parallelismus", den als Urprinzip von Natur und Kunst entdeckt zu haben er sich brüstete.

"Der Maler muss die Natur als Fläche sehen", sagte er, und das macht ihn ganz modern, meint Ulf Küster.

"Ich finde, er wird ein Vorläufer der abstrakten Kunst, also der Farbfeldmalerei eines Mark Rothko, und auch mit ähnlichem Pathos. Ich finde, dass er eigentlich einer der Gründungsväter der Moderne wird, dass man das eigentlich sieht in den letzten Bildern."

Modern ist auch das Prinzip der Reihung, das Hodler in den zahlreichen Variationen seiner monumentalen Frauengestalten zur Geltung brachte. Ein Saal ist voll von Studien für die größte Version dieser Kompositionen, die man, fast 9 Meter breit, aus dem benachbarten Kunstmuseum in Basel ausgeliehen hat.

Sinnbildhaft und sexy, als ginge es um eine Allegorie der Fruchtbarkeit, wiegen fünf stämmige Grazien in hautengen Gewändern ihre breiten Becken. "Blick in die Unendlichkeit" nannte Hodler das riesige Format, und ob es einem gefällt, ist reine Geschmackssache. Doch auch für Hodler gilt: Das größte Bild eines Malers muss nicht sein bestes sein.
Ferdinand Hodler (1853-1918) hat wie kein anderer Maler das Bild und künstlerische Selbstverständnis seiner Schweizer Heimat geprägt.
Ferdinand Hodler hat wie kein anderer Maler das Bild und künstlerische Selbstverständnis seiner Schweizer Heimat geprägt.© picture alliance / dpa / Ullstein
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