Vom Kriegsinferno in den außerirdischen Zoo

Rezensiert von Wolfgang Schneider · 15.07.2005
Der amerikanische Schriftsteller überlebte die Bombardierung Dresdens als Kriegsgefangener in einem Schlachthof. Seine Erfahrungen verarbeitete er in dem aberwitzigen Roman "Schlachthof 5", der mit diversen Verfremdungseffekten arbeitet. Der Roman ist jetzt als Hörbuch erschienen, Jan Josef Liefers' Vortrag wird dabei dem Buch mehr als gerecht.
" Die Amerikaner kamen um fünf Uhr nachmittags in Dresden an. Die Türen der Güterwaggons wurden aufgerissen und die Türöffnungen rahmten die bezauberndste Stadt ein, welche die meisten Amerikaner jemals gesehen hatten. Die sich am Himmel abhebende Silhouette mit ihren Kuppeln und Spitztürmen war üppig, zauberisch und absurd. Es sah für Billy Pilgrim wie ein Bild des Himmels aus der Sonntagsschule aus. Jede andere Großstadt in Deutschland war grausamen Luftangriffen ausgesetzt gewesen und in Brand geschossen worden. Dresden hatte noch nicht einmal so viel wie eine zerbrochene Fensterscheibe erleiden müssen. "

Mit diesen friedlichen Eindrücken aus dem Februar 1945 leitet der amerikanische Autor Kurt Vonnegut die Beschreibung des Infernos ein. Sein 1969 erschienener Roman "Schlachthof 5 oder der Kinderkreuzzug" ist ein Klassiker des Antikriegsromans, der sich von den Konventionen des Genres abhebt.

Auch wenn im Mittelpunkt das Trauma von Dresden steht, wird der Bombenangriff doch fast beiläufig geschildert – mit dem Luftkriegsdetailrealismus, wie man ihn in den letzten Jahren bei Gert Ledig, Walter Kempowski oder im Sachbuch bei Jörg Friedrich kennen gelernt hat, hat der Roman wenig zu tun. Statt auf eine Rhetorik der Betroffenheit setzt er auf Verblüffungseffekte, mischt Zeitgeschichte, Science Fiction und autobiographische Elemente.

Ende 1944, bei der Ardennenschlacht, geriet der junge Vonnegut - er verfügt übrigens über sächsische Vorfahren - in deutsche Gefangenschaft. In Dresden überlebte er dann im unterirdischen Lagerraum eines Schlachthofes das Bombardement. Anschließend irrte er in der glühenden Mondlandschaft herum, in der jederzeit noch Gebäudereste zusammenzustürzen drohten und vermeintliche Holzklötze sich als grausig zusammen geschnurrte Brandleichen entpuppten.

Obwohl er sich bald nach seiner Heimkehr aus dem Zweiten Weltkrieg entschloss, über Dresden zu schreiben, dauerte es noch mehr als zwei Jahrzehnte, bis Vonnegut im Zeichen der frühen und noch frischen Postmoderne endlich den formalen Zugriff auf sein Thema fand. Billy Pilgrim heißt die Hauptfigur der an unerwarteten Kapriolen reichen Handlung, und Dresden ist nicht das einzige Trauma in seinem Leben.

Nur knapp überlebt er einen Flugzeugabsturz; seine Frau stirbt bei einem Autounfall. Und zu alldem wird er von Außerirdischen entführt und in einem Zoo des Planeten Tralfamador ausgestellt. Die Ereignisse auf Tralfamador, die mit der Schilderung gewöhnlicher amerikanischer Alltagssituationen wechseln, sind mehr als phantastische Eskapaden: Es sind Verfremdungseffekte, mit denen der Autor Gesellschafts- und Weltkritik artikuliert.

"Jemand aus der Menge im Zoo fragte ihn durch den Vortragenden, was das Wertvollste war, das er bis jetzt in Tralfamador gelernt hatte, und Billy gab zur Antwort: Wie die Bewohner eines ganzen Planeten in Frieden leben können. Wie ihr wisst, stamme ich von einem Planeten, der vom Anfang aller Zeiten an in sinnloses Gemetzel verwickelt war. Ich habe selbst die Leichen von Schulmädchen gesehen, die bei lebendigem Leib in einem Wasserturm von meinen eigenen Landsleuten verbrüht wurden, die damals stolz darauf waren, dass sie das ausgesprochen Böse bekämpften. Das war wahr. Billy sah die verbrühten Körper in Dresden. Und ich habe mir meinen Weg in meinem Gefängnis nachts mit Kerzen aus dem Fett von Menschen erleuchtet, die von den Brüdern und Vätern der verbrühten Schulmädchen geschlachtet wurden. Die Erdbewohner müssen der Schrecken des Universums sein."

In Billy Pilgrims Leben geht es drunter und drüber: die Chronologie der Zeitfolge ist außer Kraft gesetzt. Er rutscht unversehens aus dem Hier und Jetzt in andere, frühere oder spätere Stadien seiner Existenz. Er ist ein "Pilger in seiner Biographie", ein Zeitreisender. Von Beruf übrigens Optiker, was natürlich als Hinweis auf die raffinierten Perspektiven des Buches zu verstehen ist.

Mag Vonneguts Stil auch sehr zugänglich daherkommen, im Medium Hörbuch ist der raffinierten Verschachtelung der Handlungsebenen nicht immer leicht zu folgen, denn die Zeitsprünge verlangen eine gewisse mitdenkende Kombinationsfreude. Ist man aber erst einmal mit dieser speziellen Erzählstruktur vertraut geworden, entwickelt sich Neugier auf den nächsten Winkelzug des Romans. Mehr noch: am Ende will man wieder mit dem Anfang beginnen.

Was natürlich auch mit der Qualität des Vortrags zu tun hat. Der Schauspieler Jan Josef Liefers, selbst 1964 in Dresden geboren, hat eine angenehme Stimme, wie geschaffen, einem alles Mögliche vorzuplaudern. Damit trifft er die lockere Schreibart des Romans. Aber seine Leistung geht darüber hinaus. Moralismus und Clownerie, Tiefsinn und verspielter Unsinn, Kritik und ein Fatalismus, der sich vor allem in der stereotypen Formel "So geht das" ausdrückt, die Vonnegut immer dann verwendet, wenn Tod und Vernichtung auf den Plan treten (sehr oft also) – dies alles steht dicht nebeneinander und stellt den Vorleser vor eine schwierige Aufgabe.

Einerseits darf dem Roman durch zuviel Gravität im Ton nicht das Leichte, Verspielte genommen werden; wer aber das Grelle, Aberwitzige zu sehr herausstellt, dem geht schnell der hinter der Spaßmaske agierende Moralist Vonnegut verloren. Jan Josef Liefers wird beiden Seiten des Buches gerecht, indem er seiner Lesung eine sarkastische Lakonie aufprägt. Es darf gelacht werden – aber bitte möglichst bitter.

Kurt Vonnegut: Schlachthof 5
Lesung mit Jan Josef Liefers.
Übersetzt von Kurt Wagenseil
DAV 2005, 4 CDs, 312 Min, 24,95 Euro