Vom Islam zum Christentum

Von Marie Wildermann · 22.09.2012
In den vergangenen Jahren sind Tausende Iraner nach Deutschland geflohen. Schätzungsweise 150.000 Perser leben hier inzwischen, so viel wie in keinem anderen Land Europas. Marie Wildermann hat sich in Berliner Gemeinden umgehört, warum Iraner sich für das Christentum interessieren.
Eine persische Gemeinde in Berlin-Neukölln. Ein schlichter Raum mit hellem Dielenfußboden. Etwa 60 weiße Holzstühle stehen im Halbkreis um den Altar, der kleine Gemeinderaum ist bis auf den letzten Platz besetzt. Männer sind deutlich in der Überzahl in dieser kleinen Kirchengemeinde, allesamt iranische Flüchtlinge, ehemalige Muslime, die Christen geworden sind. Einer von ihnen ist Mehran, für ihn ist diese Gemeinde mitten in Berlin-Neukölln ein Ort, an dem er zur Ruhe kommt und Kraft schöpft.

"Zweimal die Woche komme ich hierher. Donnerstags zur Bibelstunde und sonntags zum Gottesdienst. Es tut mir sehr gut, die Predigten zu hören."

Seit knapp einem Jahr ist Mehran in Deutschland. Der 39-jährige ist ein sportlicher Typ, trägt Jeans, eine modische Brille. In Teheran hatte er ein Sportartikelgeschäft und arbeitete als Skilehrer. Er war gut situiert, besaß ein Apartment, zwei Autos, in seiner Freizeit spielte er Tennis und ging jede Woche mit seinem Freund, einem armenischen Christen, in die armenische Kirche in Teheran, obwohl das für Muslime verboten ist.

"Es hat mich sehr überzeugt, wie meine armenischen Freunde leben, ihre Freundlichkeit, ihr Leben als Christen."

Doch Muslime, die sich für das Christentum interessieren, leben im Iran gefährlich. Ihnen ist der Besuch armenischer Kirchen verboten, Spitzel und Geheimpolizei überwachen, wer ein- und ausgeht.

Die armenischen Christen gehören neben Chaldäern und Assyrern zu den religiösen Minderheiten im Iran, die offiziell anerkannt sind. Die islamische Diktatur Ahmadinedschads gibt sich nach außen tolerant, aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Der Islam ist Staatsreligion, und die religiösen Minderheiten werden in den Bereichen Arbeit und Bildung systematisch diskriminiert. Viele Armenier sind in den letzten Jahrzehnten ausgewandert, nur noch etwa 250.000 ethnische Christen leben heute im Iran.

Armenische Geistliche dürfen ihren Gottesdienst nicht in der Landessprache Farsi halten und sie dürfen keine Muslime in ihre Kirchen lassen.
Mehran geht dennoch jahrelang mit seinem Freund in den armenischen Gottesdienst. Verheiratet war er mit einer Muslimin, aus einem streng muslimischen Elternhaus. Die Ehe lief nicht gut. Als seine Frau ihn bei den Behörden verriet, hatte das für Mehran dramatische Folgen.

"Eines Morgens, ich bin wie immer ganz normal aufgestanden, kam mein Nachbar zu mir und sagte: Die Religionspolizei war bei euch, deine Frau hat denen gesagt, dass du die Religion gewechselt hast. Du musst ganz schnell verschwinden."

Unter normalen Umständen hätte Mehran sich mit seiner Frau gerichtlich auseinandersetzen können über die Scheidung, um Immobilien und Geld. In einer Diktatur aber kann jeder private Streit zum Verrat werden, der über Leben und Tod entscheidet.

Mehran ist klar, dass er nun auf der schwarzen Liste der Geheimpolizei steht. Er packt ein paar Sachen ein und noch am gleichen Tag verlässt er das Land. Das war vor fast genau einem Jahr.

"Ich wollte mit dem Islam nichts zu tun haben. Das ist nicht mein Ding. In der Hauskirche habe ich das gefunden, wonach ich immer gesucht habe, was mir Stabilität gibt und innere Ruhe. Ich bin zu diesen Treffen gegangen, weil es meiner Seele gut getan hat, wir haben gebetet, miteinander über die Bibel gesprochen. Ich habe gar nicht darüber nachgedacht, dass die Polizei kommen könnte, um Leute zu verhaften."

Auch Reza ist ein Flüchtling aus Teheran, auch er geht in die persischsprachige christliche Gemeinde in Berlin-Neukölln. Reza ist seit einem Jahr und 8 Monaten in Deutschland, auch er musste das Land Hals über Kopf verlassen. Der 40-Jährige war Mitglied einer Untergrund-Hauskirche in Teheran. Er erzählt, dass sie sich an wechselnden Orten und an verschiedenen Wochentagen getroffen haben. Dennoch haben Spitzel die Untergrundgemeinde aufgespürt

"Die Geheimpolizei hat das Haus, in dem wir uns an dem verabredeten Tag treffen wollten, kontrolliert. 7, 8 Leute kamen immer zu diesen Treffen. Ich war gerade unterwegs zur Hauskirche und sah von weitem, dass die Polizei das Haus umstellt hatte. Von der gegenüberliegenden Straßenseite konnte ich erkennen, dass sie gerade meinen Freund verhafteten."

Reza kann nichts weiter tun, als sich selbst in Sicherheit zu bringen, er taucht einige Wochen in Teheran unter, bis er das Land verlassen kann.

Mehran und Reza haben es nach einer dramatischen Flucht geschafft, der drohenden Verhaftung zu entkommen, zwei von mehreren Tausend, die jährlich ins Exil gezwungen werden. Vielen gelingt die Flucht nicht. Wer inhaftiert wird, sitzt manchmal jahrelang unter haarsträubenden Bedingungen im Gefängnis. Unter Folter sollen sie zum Islam zurückkehren. Dennoch - und das ist das Erstaunliche - nimmt die Ausbreitung des christlichen Glaubens im Iran explosionsartig zu. Wie viele Muslime im Iran inzwischen Christen geworden sind, kann niemand genau sagen. Die Schätzungen liegen zwischen 50.000 und 500.000 heimlichen Konvertiten.

Wenn Mehran vom Islam spricht, wird er sehr emotional und wechselt ins Persiche, bzw. Farsi, seine Muttersprache.

"Was ist das für eine Religion, die fordert, Menschen zu töten? Sie preisen Gott und köpfen Menschen? Was ist das für eine Religion, die so etwas fordert? In Deutschland darf jeder den Koran lesen. Das ist eine Ehre für dieses Land, dass es diese Freiheit hier gibt. Und dass die Menschen das, was sie sagen wollen, auch frei sagen dürfen."

Viele Iraner haben, wie Mehran, den Islam als politisches Unterdrückungssystem kennengelernt, das mit Kontrolle, Angst, und Gewalt arbeitet. Der Islam ist für sie unglaubwürdig geworden, während sie im christlichen Glauben Freiheit gefunden haben. Für diese Freiheit haben sie einen hohen Preis bezahlt. Mehran:

"Ich hatte eine Familie, ein Zuhause, eine Arbeit, das habe ich alles verloren, jetzt muss ich in einem Asylbewerberheim für Essen in der Schlange anstehen und unter Bedingungen leben, die nicht vergleichbar sind mit dem, was ich gehabt habe. Dennoch bin ich froh, dass ich lebe und dankbar, dass ich in diesem Land sein darf."

Jeden Tag kommen iranische Flüchtlinge nach Deutschland. Viele von ihnen als Glaubensflüchtlinge. Doch dass sie den Iran wegen religiöser Verfolgung verlassen mussten - das müssen sie den Asylbehörden in Deutschland gegenüber glaubhaft nachweisen können. Und damit beginnt ein ganz anderer Kampf, der manchmal Jahre dauern kann.

"Das Problem liegt dann oft in der Frage, ob man dem Betroffenen abnimmt, dass er sich wirklich glaubhaft vom Islam abgewandt hat und dem Christentum zugewandt hat,"

sagt Rechtsanwalt Heiko Habbe vom Jesuitenflüchtlingsdienst in Berlin und erinnert daran, dass es über den Religionswechsel des Flüchtlings ja keine offiziellen Dokumente gibt.

Da viele iranische Flüchtlinge sich in Deutschland so schnell wir möglich taufen lassen wollen, sind die Asylbehörden skeptisch. Die Taufbescheinigung eines Asylsuchenden reicht ihnen nicht für die Anerkennung im Asylverfahren. Sie stellen den Flüchtlingen daher oft religiöse Fragen. Wie problematisch das ist, erklärt Gottfried Martens, Pastor einer lutherischen Gemeinde in Berlin-Zehlendorf am Beispiel.

"Nun ist ja allgemein bekannt, dass die Baptisten formulierte Glaubensbekenntnisse ablehnen, sondern dass jeder sein persönliches Glaubensbekenntnis spricht. Der Richter sagte: Wer das apostolische Glaubensbekenntnis nicht auswendig kann, ist kein Christ, und hat daraufhin den Asylantrag dann auch vor Gericht abgelehnt. Und das sind eben diese völlig willkürlichen Entscheidungen dass jeder Richter für sich bestimmen kann, was einen Christen ausmacht. Und das ist natürlich ein Skandal."

Gelegentlich wird Martens als Zeuge oder Sachverständiger in Sachen Glauben zu solchen Verfahren hinzugezogen.

"Die entscheidende Frage ist dann immer: Können Sie bezeugen, dass diese Personen es ernst meinen mit dem christlichen Glauben? Das konnte ich in allen Fällen nun reinsten Herzens immer bejahen."

In seiner Gemeinde sind inzwischen über 80 iranische Konvertiten, und es werden wöchentlich mehr. In anderen Städten Deutschlands ist dort, wo viele Perser leben, Ähnliches zu beobachten. Auch in Leipzig, Hamburg, Hannover oder Mülheim an der Ruhr konvertieren iranische Muslime zum Christentum. Pastor Martens geht davon aus, dass es noch sehr viel mehr werden in den nächsten Jahren.

"Aber das ist eben etwas, was hier in Deutschland noch viel zu wenig wahrgenommen wird, was für eine Erweckung im Augenblick im Iran stattfindet."

Es ist vor allem die gut ausgebildete iranische Mittelschicht, die sich für das Christentum interessiert. Dass diese Glaubensflüchtlinge in Deutschland selbst nach der Anerkennung als Flüchtling selbst so viele Schwierigkeiten haben, eine angemessene Arbeit zu finden, ist geradezu absurd. Denn genau diese Fachkräfte werden inzwischen händeringend gesucht.