Vom harmlosen Begehren zur unstillbaren Lust

Von Jörg Taszman · 04.08.2008
Um den Kuss im Kino hat sich der französische Autor, Schauspieler und Regisseur Emmanuel Mouret fast philosophische Gedanken gemacht. Wie harmlos oder wie gefährlich ist ein Kuss? In seiner Filmkomödie "Küss mich bitte" mit dramatischen Untertönen geht es allein um dieses Thema. Emmanuel Mouret selbst spielt an der Seite der schönen Französin Virginie Ledoyen mit.
Er sieht es als Kompliment, wenn man ihn mit Komikern wie Buster Keaton, Charlie Chaplin oder Woody Allen vergleicht. Französische Filmkritiker erwähnen beim 38-jährigen Emmanuel Mouret, der gleichzeitig Autor, Hauptdarsteller und Regisseur seiner Filme ist, dann auch noch gerne Eric Rohmer.

Der aus Marseille stammennde Mouret wuchs in einer Familie auf, die weder ins Kino ging noch einen Fernseher besaß. So bildete sich Emmanuel Mouret filmisch gesehen in jüngeren Jahren in einer gut sortierten Videothek.

Eigentlich wollte er dann auch Filme machen, um den Mädchen zu imponieren, sagt Emmanuel Mouret ohne einen Anflug von Ironie. In seinen Filmen spielt er oft den linkischen, jungen Mann, der sich mehr oder weniger unglücklich in zu schöne oder unerreichbare Frauen verliebt.

Mit seinem vierten Spielfilm "Un Baiser s’il vous plait", der bei uns "Küss mich bitte" heisst, variiert Mouret sein ewiges Thema leicht. Es geht um Nicolas, einen jungen Mann, der sich nach Zuneigung und Zärtlichkeit sehnt und der seine beste Freundin Julie, die verheiratet ist, um einen größeren Gefallen bittet.

"Darf ich dich küssen?"
"Ist es wirklich wichtig für dich?"
"Ja. Wieso? Hast du keine Lust?"
"Das ist es nicht. Es ist nur, ich weiß nicht, ob ich noch weiter machen kann, wenn mir der Kuss nicht so gut gefallen hat. Ich glaube, dass es leichter für mich wäre, wenn ich mit einem Mann schlafe, den ich nicht küsse, als mit einem Mann, den ich mag, dessen Küsse mir aber vielleicht nicht gefallen."

Nicolas bekommt seinen Kuss, und der hat fatale Konsequenzen. Er macht die beiden guten Freunde kuss-süchtig und liebestoll. Sie können nicht mehr voneinander lassen.

"Küss mich bitte" ist eine Komödie mit dramatischen Untertönen. Julie hat immerhin einen Mann, den sie liebt. Immer wieder geht es um die Frage: Wie harmlos oder wie gefährlich ist ein Kuss? Glaubt Emmanuel Mouret nun, der Kuss im Kino sei bisher unterschätzt worden?

"Ja und Nein, würde ich sagen. Es stimmt schon, dass sich mein Film da anders positioniert im Vergleich zu vielen Filmen, in denen es um Lust geht und die Protagonisten gleich immer Liebe machen. Auch mir geht es um Lust und Sehnsucht. Aber was mich interessierte, war die Zeit, die vergeht zwischen der ersten Begierde und dem Moment, in dem zwei Menschen miteinander schlafen, oder auch nicht. Diese Spannung interessierte mich."

"Küss mich bitte" ist der bisher eleganteste und ambitionierteste Film von Emmanuel Mouret. Die Geschichte von Julie und Nicolas ist in eine Rahmenhandlung eingebettet, in der sich die glücklich verheiratete Emilie und Gabriel auf einer Dienstreise in Nantes begegnen, einen schönen Abend miteinander verbringen, aber vor dem Abschiedskuss zurückschrecken. Auch wenn sein Film leicht daher kommt, hat sich Emmanuel Mouret um den Kuss fast philosophische Gedanken gemacht.

"Ich stelle mir viele Fragen wie man einen - in Anführungszeichen - erotischen Film drehen könnte. Das ist sehr schwierig. Weil von dem Moment an, wo die beiden Protagonisten ihre Lust endlich ausleben, begehren sie sich ja nicht länger, und für den Zuschauer ist der Einsatz gewissermaßen verspielt. Er wird zur Seite und in die Position des Voyeurs gedrängt. Er sieht, wie sich die Filmpartner küssen, und er selber kann nicht küssen. (Lacht). Ob also Filmküsse falsch oder echt sind, ist nicht wichtig. Darum geht es nicht. Das Erotischste findet vor dem Kuss statt."

Ähnlich wie Woody Allen oder der Italiener Nanni Moretti spielt Emmanuel Mouret in seinen Filmen immer auch die Hauptrolle. Auch wenn er an der Pariser Filmhochschule in erster Linie als Schauspieler ausgebildet wurde, lehnt er es fast immer ab, in Filmen anderer Regisseure mitzuspielen. Das interessiert ihn einfach nicht. Wie aber geht er in den Rollen auf, die er spielt?

"Ich spiele mit der Kenntnis über die schauspielerischen Tricks, die ich einsetzen werde. Das ist schon etwas seltsam, das gebe ich zu. Was nun das Küssen betrifft, muss ich leider sagen, dass es unmöglich ist, einen Kuss am Set zu genießen. Da gibt es soviele Dinge, an die man denken muss. Vor Drehbeginn sagte ich mir: 'Wow, du wirst Virginie Ledoyen küssen'. Und nach den Dreharbeiten war es eher ein: 'Ach ja, ich habe Virginie Ledoyen geküsst' Da passiert einfach nicht viel. Das muss ich leider so sagen."

Mit der schönen Virginie Ledoyen, die in Deutschland durch ihre Rolle in "The Beach" an der Seite von Leonardo di Caprio immer noch am Bekanntesten ist, gelang es Emmanuel Mouret, erstmalig auch eine sehr bekannte französische Schauspielerin in einem seiner Filme zu verpflichten. Hatte er die Rolle speziell für sie geschrieben?

"Virginie und ich lernten uns nach dem Kinostart meines vorletzten Films 'Changement d’adresse' kennen. Ich fand ursprünglich, dass Virginie Ledoyen nicht so sehr für die Rolle der Julie passte. Ich sah in ihr keine Komödiantin. Aber sie liebt das Kino, und unser Treffen war sehr freundschaftlich.

Ich schlug ihr dann vor, das Drehbuch mit mir zu lesen. Und das funktionierte wirklich gut. Sie hat eine Ernsthaftigkeit, die der Geschichte mehr Dichte gab. Das war eine sehr schöne Überraschung. Dadurch wurde der Film vielleicht nicht ganz so leicht, aber intensiver."

Obwohl der Film in Frankreich im vergangenen Jahr zur besten Weihnachtszeit und mit 141 Kopien startete, sahen nur etwas über 200.000 Zuschauer "Küss mich bitte". Das ist bestenfalls ein Achtungserfolg. Die Kritik reagierte überwiegend positiv. Nur die gestrenge Fachzeitschrift "Les Cahiers du cinéma" mochte den Film überhaupt nicht. Der ganz große Durchbruch steht Emmanuel Mouret, den einige auch den neuen französischen Woody Allen nennen, also noch bevor.