Vom Genuss zum Fluch

19.05.2011
Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts gerieten Kokain, Opium und Cannabis in Verruf. Man konnte diese Substanzen bis dahin ohne Rezept in jeder Apotheke kaufen. Das ambivalente Erscheinungsbild der "Drogen" stellt der Kulturhistoriker Mike Jay überzeugend dar.
Arthur Conan Doyles Meisterdetektiv Sherlock Holmes rauchte nicht nur Pfeife, sondern zu Beginn seiner literarischen Karriere injizierte sich der überaus erfolgreiche Verbrechensaufklärer auch des öfteren Kokain. Dieses "Vergnügen" verdankte er einem wissenschaftlichen Erfolg: 1860 war es gelungen, Kokain aus dem Kokablatt zu isolieren. Sherlock Holmes teilte übrigens seine Affinität für Kokain mit dem Wiener Psychologen Sigmund Freud, der in seinem Aufsatz "Über Coca" (1884) vom Kokain als einem "’Geschenk’ der Natur" sprach.

Neben Kokain waren um 1890 weder Opium noch Cannabis als "Drogen" stigmatisiert. Man konnte diese Substanzen ohne Rezept in jeder Apotheke kaufen. Das änderte sich gegen Ende des Jahrhunderts. Die Drogen gerieten in Verruf, was auch Sherlock Holmes zu spüren bekam – sein Erfinder befreite ihn weitgehend von seiner Kokainsucht.

Der Kulturhistoriker Mike Jay, ein Spezialist auf dem Gebiet der Drogengeschichte – als Kurator betreute er u.a. die in London gezeigte Ausstellung "High Society" –, legt mit seiner "Kulturgeschichte der Drogen" ein anschaulich geschriebenes und mit mehr als 100 farbigen Abbildungen exquisit ausgestattetes Buch vor. Kenntnisreich beschreibt er die Herkunft und die Verbreitung von Drogen. Angefangen von den Alltagsdrogen Kaffee, Tee, Tabak oder Alkohol bis zu jenen Drogen, die in der Medizin Verwendung finden, stellt Jay die alten und die modernen Drogen in ihrer Verbreitung und in ihrer Wirkung vor.

Als über die bewusstseinsverändernde Wirkung von Drogen noch wenig bekannt war, versuchten Forscher in Selbstversuchen herauszufinden, welche Bewusstseinszustände durch die Einnahme von Rauschmitteln hervorgerufen werden. Zu diesen Wissenschaftlern gehörte auch Humphrey Davy (1778-1829), der mit Distickstoffmonoxid (Lachgas) experimentierte.

Für das Gas, das eine stark euphorisierende Wirkung auslöste, interessierten sich auch Schriftsteller. Sie machten schließlich auf die sprachlichen Grenzen aufmerksam, an die stieß, wer versuchte, die Eindrücke zu beschreiben, die durch einen Drogenrausch ausgelöst wurden. Da die gängigen sprachlichen Mittel dafür nicht ausreichten, plädierten sie dafür, entweder neue Begriffe in die Sprache einzuführen oder die alten in ihrer Bedeutung zu erweitern. Nur über den Weg der Sprachreformierung schien es ihnen möglich zu sein, sich sinnvoll über die Wirkung von Drogen zu verständigen.
Als literarische Pionierleistung gilt in dieser Hinsicht Thomas de Quinceys Buch "Confessions of an English Opium Eater". In den 1822 als Buch erschienenen Bekenntnissen beschreibt de Quincey einen Drogensüchtigen, der Opium zunächst als Arznei benutzt, dann dem Genuss verfällt, bis er schließlich von der Droge abhängig wird. Das zur Schmerzbekämpfung eingenommene Opium entwickelte sich zum Fluch, als de Quincey von der Droge nicht mehr los kam.

Mike Jay stellt äußerst überzeugend das ambivalente Erscheinungsbild der Drogen dar, die in der alltäglichen Wahrnehmung überwiegend pejorativ konnotiert sind. Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Jay ist es zu danken, dass mit seinem Buch der Blick für die nüchterne Wahrnehmung beider Seiten geöffnet wird.

Besprochen von Michael Opitz

Mike Jay: High Society. Eine Kulturgeschichte der Drogen
Aus dem Englischen von Michael Haupt
Primus Verlag, Darmstadt 2011
192 Seiten, 29,90 Euro
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