Vom Beginn des emotionalen Lagerfeuers der Nation

Von Brigitte Baetz · 02.06.2013
Es war die erste länderübergreifende Liveübertragung der Fernsehgeschichte: Am 2. Juni 1953 verfolgten Millionen Menschen die Krönung von Elizabeth II. zur Königin Großbritanniens. Die beteiligten Rundfunkanstalten sendeten elf Stunden - eine technische und logistische Meisterleistung.
Es ist das Ereignis des Jahres 1953. Das Fernsehen hat seinen Siegeszug noch vor sich. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es nur einige Hundert angemeldete TV-Nutzer. Und doch verfolgen Millionen Menschen in Westeuropa und im Commonwealth die erste länderübergreifende Liveübertragung der Fernsehgeschichte: die Krönung der neuen Königin von Großbritannien und Nordirland. Sie versammeln sich vor den Schaufenstern der Gerätehändler oder sitzen in den Gaststätten, die einen Apparat aufgestellt haben. Auf besonderen Wunsch Elizabeths II. und gegen den Widerstand britischer Traditionalisten sind in der Kathedrale von Westminster Kameras zugelassen. Die Salbung als sakrale Handlung darf allerdings nicht gezeigt werden.

Der Erzbischof von Canterbury erbittet Gottes Segen für die erst 27-jährige Monarchin. Die Peers des Vereinigten Königreiches erheben sich, und Erzbischof Geoffrey Fisher setzt Elizabeth die St.-Eduards-Krone auf.

"”God save the Queen, God save the Queen, God save the Queen.”"

Plötzlich konnte man die Queen auch sehen
Zum ersten Mal in der Geschichte der British Broadcasting Corporation übertraf die Zahl der Fernsehzuschauer die der Radiohörer.

"”No doubt, historians will look back and see this royal event of June 1953 a watershed in the affairs of the BBC… ""

Kein Zweifel - das königliche Ereignis vom Juni 1953 wird von Historikern dereinst als Wendepunkt in der Geschichte der BBC betrachtet werden. Plötzlich konnte man die Queen auch sehen. Das Radio als Medium der Massen wird langsam aber unwiderruflich vom Fernsehen abgelöst.
So der renommierte britische Radiojournalist Rene Cutforth 20 Jahre später.

Die damals elfstündige Übertragung aus London war eine technische und logistische Meisterleistung der beteiligten Rundfunkanstalten, unter anderem des Nordwestdeutschen Rundfunks. Dieses länderübergreifende Gemeinschaftsprojekt legte den Grundstein zur Eurovision, einem technischen Netzwerk, dessen Fanfare – ein Ausschnitt aus dem Te Deum von Marc-Antoine Charpentier - bald zum Symbol eines immer stärker zusammenwachsenden Westeuropa wurde:

Als erste "richtige" Eurovisionssendung gilt die Ausstrahlung des sogenannten Narzissenfestes 1954 aus Montreux. Und auch der nächste Höhepunkt einer internationalen Liveübertragung kam aus der Schweiz. Die der Eurovision angeschlossenen Staaten brachten die Fußballweltmeisterschaft auf die Bildschirme – und verschafften dem Fernsehen nochmals einen Popularitätsschub, vor allem in Deutschland. Die Übertragung selbst wurde allerdings nicht – wie später üblich – mitgeschnitten. Wenn also heute im Fernsehen historische Aufnahmen der damaligen WM gezeigt werden, so stammen sie aus dem offiziellen Weltmeisterschaftsfilm des Veranstalters. Und unterlegt sind sie nicht mit dem Fernsehton, sondern mit dem legendären Radiokommentar Herbert Zimmermanns.

"Eine Fußball-Weltmeisterschaft ist alle vier Jahre und wann sieht man ein solches Endspiel, so ausgeglichen, so packend. Jetzt Deutschland am linken Flügel durch Schäfer."

Zwei Jahre nach dem "Wunder von Bern" ging dann der erste Grand Prix d´ Eurovision in Locarno über die Bühne, inzwischen besser bekannt als Eurovision Song Contest. Das bekannteste Lied des Wettbewerbs von 1958 klingt bis heute wie eine Hymne auf die aufstrebenden Nachkriegsgesellschaften der sich konstituierenden europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.

Zur "mentalen Verstädterung" der Bundesrepublik beigetragen
Der Fernsehapparat wird zum Statussymbol und immer mehr Menschen sitzen abends vor der Kiste, um ein und dieselbe Sendung zu sehen. Wie der Medienwissenschaftler Knut Hickethier schreibt, hat das Fernsehen damit einen wichtigen Beitrag zum Ausgleich des Land-Stadt-Gegensatzes geleistet – sprich: zur "mentalen Verstädterung" der Bundesrepublik beigetragen. Und obwohl das TV-Angebot immer größer geworden ist, scheinen die Bürger dieser Fernsehnation bis heute nichts mehr zu lieben als Fußball und – Demokratie hin, Demokratie her – königliche Ereignisse jedweder Art. Allein vier Millionen Deutsche verfolgten an einem ganz normalen Arbeitsnachmittag die Zeremonie, in der Willem Alexander den niederländischen Thron von seiner Mutter Beatrix übernahm.
"Ich bin glücklich vorstellen zu dürfen: Euren neuen König Willem Alexander."

Das Fernsehen, es ist und bleibt das emotionale Lagerfeuer der Nation.