Vom Bauernsohn zum Kommunistenjäger

Von Kerstin Zilm · 29.06.2011
Der Journalist Lutz Hachmeister hat mit unveröffentlichtem Archivmaterial und neuen Interviews ein Doku-Drama über Joe McCarthy geschaffen. Der ehrgeizige Republikaner schaffte eine einzigartige Karriere - mit unrühmlichem Ende.
Joe McCarthy war ein Bauernsohn aus Wisconsin. Ehrgeizig und mit einem Gespür für Ängste und Patriotismus der Nachkriegszeit schaffte der Republikaner eine einzigartige Karriere, wurde durch seine Jagd auf Kommunisten zu einem der mächtigsten US-Senatoren der 50er Jahre. Diese Karriere und ihr unrühmliches Ende faszinierten den Journalisten und Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister. Er zeichnet mit nie veröffentlichtem Archivmaterial und neuen Interviews in seinem Doku-Drama ein aktuelles, umfassendes Bild McCarthys, das so bisher nicht gezeigt wurde.

Lutz Hachmeister: "Diese Abgründe, dass ihn seine eigene Partei stürzt - er ist ein republikanischer Shootingstar und wird erledigt von den beiden neuen Stars Richard Nixon und Dwight Eisenhower, ohne es am Anfang zu merken. Diese Abgründe eines politischen Auf- und Abstiegs haben mich zusehends fasziniert."

Bei der Premiere von "The Real American - Joe McCarthy" sind im Vorführsaal des Goethe-Institutes von Los Angeles fast alle Sitze besetzt. Unter den Zuschauern ist der jüdische Schauspieler Curt Lowens. Der 85-Jährige leistete aus dem Untergrund Widerstand gegen die Nazis und wanderte nach dem Weltkrieg in die USA aus. Lowens erinnert sich gut an die Zeit des fanatischen Kommunistenjägers McCarthy:

"Ich war damals schon in den USA und trat seit 1951 am Broadway auf. Die Situation wurde, wie wir in Deutschland sagen, sehr 'brenzlig' mit den Beschuldigungen gegen Menschen, von denen leider viele ihren Job verloren haben oder sich verstecken mussten."

Die 29-jährige Literaturstudentin Amy Neilson will mehr wissen über den kurzzeitig mächtigen Senator, der in ihrem Schulunterricht kaum mehr als eine Randnotiz war:

"Ich glaube es war in Sozialkunde, zehnte Klasse. Im Geschichtsbuch stand höchstens eine Seite über ihn. Er ist berüchtigt in der amerikanischen Kultur dafür, dass er viele Leben zerstört und eine Kultur der Angst geschaffen hat, in der Nachkriegszeit, die Ära der Roten Angst einleitete."

Hachmeister suchte in internationalen Archiven nach Fotos, Filmen und Gesprächsnotizen, die er in seinem Drehbuch für das englischsprachige Doku-Drama verarbeitete. Ehemalige Mitarbeiter McCarthys und Opfer seiner antikommunistischen Kampagne kommen ebenso zu Wort wie Journalisten und Politiker, die den kometenhaften Aufstieg und die gezielte Zerstörung des Senators miterlebten. Darunter der frühere US-Außenminister Henry Kissinger:

"Man könnte sagen: Das ist das Schicksal der Populisten. Sie leben vom Populismus und dann sterben sie am Populismus. Damals war ich überrascht, wie schnell es ging."

Hachmeister klärt verbreitete Missverständnisse auf. Er macht unter anderem klar, dass Senator McCarthy politisch bereits erledigt war, bevor Journalisten - allen voran Edward Murrow - ihm den Todesstoß gaben. Er zeigt, dass McCarthy nicht direkt mit der anti-kommunistischen Hexenjagd in Hollywood zu tun hatte. Der Senator konzentrierte sich dagegen auf Washington, genauer gesagt auf US-Außenministerium, CIA und Armee.

Dass McCarthys aggressive populistische Rhetorik Vorläufer war für aktuelle politische Entwicklungen in den USA, verdeutlicht im Film ein Interview mit der republikanischen Kolumnistin und Bestseller-Autorin Ann Coulter.

"Er hat seine Ziele erreicht. McCarthy immunisierte die Mittelklasse gegen den Kommunismus und entblößte die Demokratische Partei. McCarthy hat Amerika vor dem Kommunismus gerettet, 20 Jahre bevor Ronald Reagan kam, um die Welt zu retten."

Dieser Kommentar provozierte die Zuschauer in Los Angeles zu einer Diskussion über den Erfolg von Sarah Palin und die Tea Party sowie die zerstörerische Wirkung von politischem Populismus.

"Wir leben wieder in einem Zeitalter der Angst. Als Gesellschaft suchen wir immer nach jemandem, der uns verdächtig vorkommt."

"Den meisten Amerikanern ist klar, dass dieses Problem sich wie ein Krebs ausgebreitet hat. Ähnliche Persönlichkeiten werden heute mit Millionen gesponsort und sind keine Einzelkämpfer mehr. Auf seltsame Weise hat das, was McCarthyism war, gewonnen."

Literaturstudentin Amy Neilson ist beeindruckt, wie der deutsche Filmemacher bekannte Fakten in ein neues Licht setzt und einen Bezug zur aktuellen Politik schafft:

"Es ist wichtig, uns das noch mal vor Augen zu halten, wo eine neue Ära der Angst begonnen hat, eine Ära der Terror-Angst. Es war interessant, aus dieser Perspektive zu sehen, welche Folgen Paranoia haben kann, die von Politikern geschürt wird. Und manchmal von den Medien."

Angesichts der Fülle von Material und Stimmen, die Hachmeister präsentiert, verliert man manchmal den Überblick über den historischen Ablauf sowie die Relevanz von Ereignissen und Personen. "The Real American - Joe McCarthy" ist trotzdem ein faszinierender Blick auf Machtspiele, Intrigen und Atmosphäre hinter den Kulissen Washingtons am Beispiel von Aufstieg und Fall eines der mächtigsten Senatoren der Nachkriegszeit.
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