Vom Banker zum Tagebuchschreiber

07.10.2011
Erst hat er in der Finanzkrise seinen Job verloren, dann geht seine Beziehung in die Brüche: Der Isländer Markús, Hauptfigur des Romans "Bankster", stürzt in eine Sinnkrise. Bis er beginnt, Tagebuch zu schreiben und auf Gedankenreise durch die alarmierenden Zustände in seiner Heimat zu gehen.
Herbst 2008: Die internationale Finanzkrise erschüttert Island, viele Banker verlieren ihren Job. So auch Markús und seine Freundin Harpa. Während sie sofort eine Stelle als Lehrerin annimmt, beginnt Markús, ein Tagebuch zu führen. Darin kommentiert er die Lage seines auf eine Staatspleite zuschlingernden Landes, und er reflektiert sein Leben, seine Beziehung zu Harpa und die neuen Möglichkeiten, die ihm ein bürofreier Tagesablauf bietet. Als Harpa ihn verlässt, scheint er zunächst in eine tiefe Sinnkrise zu stürzen, aber seine Tagebuchaufzeichnungen geben ihm neuen Halt.

Die äußere Handlung in Gudmundur Óskarssons Debütroman "Bankster" ist damit schon erzählt – das Buch ist geradezu arm an Geschehnissen, dafür ist es reich an Einfällen. Höchst geschickt hat es der Autor verstanden, scheinbare Gegensätze in Einklang miteinander zu bringen. Ein junger Börsen-Banker, der ein kontemplatives Tagebuch schreibt? Wer hätte gedacht, dass es so etwas gibt. Ein einstiger Yuppie, dem hausgemachte Leberwurst ebenso gut schmeckt wie Gänseleberpastete mit Champagner? Gibt es anscheinend nicht nur in Island. Dass da jemand, der gestern noch den Börsenkursen hinterherhechelte, nur mit den Achseln zuckt, weil der Verfügungsrahmen seiner Kreditkarte beschnitten wurde, macht aus einem traurigen Jemand einen charakterfesten Helden. Gudmundur Óskarsson hat für "Bankster" auf Anhieb den Isländischen Literaturpreis bekommen – vollkommen zu Recht.

Statt seinen Helden Markús händeringend einen neuen Job suchen zu lassen, ihn überstürzt in heruntergekommene Viertel seines Landes zu entsenden, lässt Óskarsson ihn eine Gedankenreise durch die alarmierenden Zustände machen. Es ist fast so, als wäre da ein junger Mensch aus einem immer schneller drehenden Karussell hinausgeschleudert worden. Fatal, ja, aber dieser junge Mensch erkennt die Chance auf einen Neuanfang. Dennoch vermeidet es Óskarsson, die heilsbringende Lösung einer allzu heilen Welt zu finden – einen neuen Job gibt er seinem Helden nicht.

Negativbeispiele führt Óskarsson aber durchaus an: Ein früherer Kollege von Markús ergeht sich in jämmerlichem Lamento, seine Freundin Harpa gesteht ihm erst nach Wochen, dass ihr neuer Job nicht von längerem Bestand war, ein anderer Freundeskreis wiederum redet sich die Umstände schön. Markús hingegen wird zum geläuterten Menschen: indem er sich nicht rasant bemüht, wieder in den fragwürdigen Kreislauf einzutreten, indem er ein liebenswürdiges Individuum bleibt beziehungsweise wird. Er streitet nicht herum, fremd geht er nur in Gedanken, er lehnt es ab, den Irrsinn, wie er es nennt, allzu schnell unreflektiert wieder mitzumachen.

Das treibt zwar Markús' Freundin Harpa aus der gemeinsamen Wohnung, doch am Ende ist sie die Verliererin dieser Partnerschaft, Markús geht erhöht aus dem Schlamassel heraus. Auch sein Tagebuch gewinnt: Die Wortwahl wird mit zunehmender Seitenzahl treffender, die Form literarischer und die Themen werden zusehends komplexer. Greifbarer ist die Entschleunigung eines Menschen wohl kaum beschrieben worden.

Auch den Begriff "Bankster" erläutert Óskarsson: In einem Café trifft Markús auf vier Männer, die sich an genau diesem neuen Begriff ergötzen – sei er doch gleichbedeutend mit einem Wort, dass wohl jeder kennt: Gangster.

Besprochen von Roland Krüger

Gudmundur Óskarsson: Bankster
Roman. Aus dem Isländischen von Anika Lüders.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2011
253 Seiten, 22,90 Euro