Volksbühne

Blick zurück im Spott

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Die Schauspieler Marc Hosemann (als Harvard Solness, l), Jeana Paraschiva (als Kaja Fosli, M) und Daniel Zillmann (als Aline Solness) spielen eine Szene des Stücks «Baumeister Solness» nach Henrik Ibsen. © dpa picture alliance/ Britta Pedersen
Von André Mumot · 28.05.2014
Ibsens "Baumeister Solness" ist eigentlich ein Grübler. Bei Frank Castorf an der Berliner Volksbühne mutiert er zur hysterischen Knallcharge. Ganz in seiner Tradition präsentiert der Regisseur völlig überdrehtes Theater.
Wer ist das eigentlich, dieser Baumeister Solness? Eine Monomane, ein Künstler, der für den Erfolg über Leichen geht, der die Zerstörung seiner Familie in Kauf nimmt, um ganz nach oben zu kommen, einer, der die nachfolgende Generation wegbeißt und wegintrigiert, den aber die Höhenangst quält und der deshalb nie so hoch steigen kann, wie er baut. So ist er bei Ibsen, ein Grübler auch, einer der immer wieder aufs Neue mit Gott persönlich paktiert und von seinem schlechten Gewissen schwer gepeinigt wird.
Aber das hier ist die Volksbühne, und bei Regisseur Frank Castorf wird aus Ibsens strengem, subtil verunsicherndem Naturalismus postdramatisches Boulevardkomödientheater. Und so darf Marc Hosemann den Baumeister zur hysterischen Knallcharge machen, zu einem erotomanen Kurt Krömer, der seine Geliebte auf dem Bügelbrett flachlegt und sich zwischendurch nur mit Arztserienwiederholungen beruhigen kann.
Einer, der ab und an im Hitler-Tonfall Kommandos gibt, das Heinz-Rühmann-Säuseln anstimmt und Freddy-Quinns Anti-68er Songs plärrt, um sich von den vollbärtigen Nachfolgern abzusetzen, die schon auf seiner Schwelle warten. Beziehungsweise auf der Volksbühnenschwelle, denn manchmal schreit er bloß, stellvertretend für seinen Regisseur: "Tod den Hospitanten!"
Lebensgroße Henry-Hübchen-Puppen und Castorf-Veteranen
Einen Jux will er sich machen, der Frank Castorf, der sich an diesem Abend in halbwegs selbstironischer Trotz-Stimmung präsentiert und mit dem Baumeister immer auch sich selbst zu meinen scheint. Sein Name jedenfalls fällt oft, auch der von Kollegen wie Sebastian Hartmann. Und die ganze erste Reihe ist besetzt mit lebensgroßen Henry-Hübchen-Puppen, die sich die wie immer fabelhaft nölende Kathrin Angerer am Kragen schnappt und auf der Bühne in die Mangel nimmt. Es sind Späße für und über Eingeweihte, ein recht persönlicher Blick zurück im Spott.

Dazu gehört auch, dass im ersten Akt die Castorf-Veteranen Volker Spengler und Horst Lebinsky kurze Auftritte haben. Sie scheinen hier für diejenigen zu stehen, die der auf Jugend ausgerichtete Betrieb bereits aussortiert hat, doch geben sie eine weniger rührende als vielmehr betroffen machende Vorstellung ab, sind kaum zu verstehen und kommen ohne Dauereinsatz der Souffleuse keine zwei Sätze weit.

Nach den dunkel komplexen, wild gefährlichen Castorf-Abenden der letzten Zeit, nach seinen Céline- und Tschechow- und Balzac-Adaptionen, fällt hier alles schmaler, wenn auch mit gut vier Stunden Länge nicht unbedingt kürzer aus. Das Ganze ist wohl eine absichtlich nicht in Form gebrachte Komödienetüde, mehr nicht. Dementsprechend ist auch kein komplettes Haus von Bert Neumann auf die Bühne gestellt worden, und die charakteristischen Videoprojektionen fallen ebenfalls weg. Das kombinierte Architekten-Wohn-und Arbeitszimmer samt Dusche und Teeküche ist schlicht bis an die Rampe geschoben worden: Hier wird Frontalgroteske gespielt. Das ist, wie der ganze Abend, vor allem vordergründig.
Bewährte Schauspieler sorgen für gute Laune
Zum Glück sind Hosemann, der hechelnde, schwitzende Klamauk-Profi und die immer leicht beleidigte und kindlich-würdevolle Angerer ein Komödiantenpaar, das seine Endlos-Dialoge mit sportlicher Kondition und professionellem Schwung absolviert. Auch Daniel Zillmann, der die betrogene Solness-Gattin als schwergewichtig donnernde Drag-Queen gibt, sorgt für gute Laune, während jeder tiefere Gedanke in der exzessiv parodierenden Alberei untergeht. Wie immer aber gilt: Castorfs unermüdliche Ausdauer, sein anarchisches Bedürfnis, noch eine Idee und noch eine Idee hinterherzuschicken, gegen jede Publikums- und Spielerschöpfung Schluss auf Schluss zu zu setzen, nervt und imponiert zugleich.

Solange noch gespielt wird, solange noch Marc Hosemann am Ende in die Höhe gezogen werden kann, um ein Banner mit dem Wort "Krise" in den Schnürboden zu hängen, solange Castorf und seine Verbündeten noch weiterjuxen, weiterkrakeelen, weiterfaseln dürfen, ist - zumindest für sie selbst - nichts verloren. Da können noch so viele Hospitanten auf ihre große Chance warten: Dieser Theaterbaumeister denkt gar nicht daran, sich vom Thron stoßen zu lassen.
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