Vogelperspektive

Die Welt von oben

Blick auf die Gebäude des Germanischen Nationalmuseums mit dem Haupteingang (r), aufgenommen am 17.03.2008 in Nürnberg (Mittelfranken). Die Säulen gehören zu der Straße der Menschenrechte die an dem Museum verläuft. Foto: Daniel Karmann
Blick auf das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg © dpa / Daniel Karmann
Von Thomas Senne · 19.11.2014
Angesichts der Niederungen des politischen Alltags, mag ein Blick von oben helfen. Wie reizvoll die Betrachtung der Welt aus der Vogelperspektive sein kann, zeigt jetzt eine Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg.
Weit schweift der Blick des Betrachters über Venedig mit seinen Inseln, Plätzen und Kanälen. Deutlich erkennt man von oben, in der Aufsicht, die Lagunenstadt mit der Rialto-Brücke und dem Canal Grande. Auf dieser Graphik ist er etwas breiter dargestellt als in der Realität und wird von mythischen Figuren flankiert. Die Vorlage für diesen um 1500 entstandenen Riesenholzschnitt, der jetzt im Germanischen Nationalmuseum zu sehen ist, stammt vom italienischen Künstler Jacopo de' Barbari. Die zu repräsentativen Zwecken angefertigte Ansicht sollte Ruhm, Ehre und Macht der „Serenissima" fördern und gilt heute als eine der ersten europäischen Darstellungen, in der die Vogelperspektive verwendet wurde. Dazu Ausstellungsleiterin Yasmin Doosry:
"Man muss davon ausgehen, dass ein Trupp von Geometer, Landvermesser, durch die Stadt gezogen ist, die Stadt vermessen hat, die ganzen Wegenetze, Kanalnetze etc. in einen orthogonalen Grundriss aufgenommen hat; dann ein Trupp von Zeichnern auf erhöhte Standorte gestiegen ist und die Häuser dreidimensional gezeichnet hat, die dann in diesen Stadtplan eingefügt worden sind. Und diese ganzen einzelnen Teile mussten zu einer einzigen großen Zeichnung zusammengeführt werden, was auch außerordentlich schwierig gewesen sein muss. Und diese Zeichnung ist dann auf Druckstöcke übertragen worden, die dann geschnitten worden sind, um die Abdrücke machen zu können."
Vom spätmittelalterlichen Altarbild bis zu Gerhard Richter
Die Nürnberger Ausstellung versammelt rund 200 Werke - darunter auch Bücher und seltene Stadtmodelle. Das Spektrum reicht vom spätmittelalterlichen Altarbild bis zu einem Digitaldruck Gerhard Richters. Große Namen wie Altdorfer, Breughel oder Dürer bürgen zusätzlich für Qualität. Idealansichten von Städten wie Jerusalem oder Karlsruhe zeigen, wie urbane Utopien mit Hilfe der Geometrie aus der Vogelschau zu Papier gebracht wurden. Eine Zeichnung von 1927 zu Fritz Langs legendärem Film „Metropolis" skizziert von einem erhöhten Standpunk aus die Vision einer vertikalen Zukunftsstadt mit Wolkenkratzern und steil abfallenden Hochhausschluchten: ein Schreckensszenario und eine Warnung vor einem neuen Turmbau zu Babel - in der Moderne.
Breiten Raum nimmt in der sehenswerten Schau auch die Erfassung der Welt mit Hilfe der Kartographie ein. Heißluftballons, die den Menschheitstraum vom Fliegen Wirklichkeit werden lassen, ermöglichen detailliertere Darstellungen der Erde von oben. Aber auch die Besteigung von Türmen bietet dazu Gelegenheit.
"Ende des 18. Jahrhunderts entwickelt sich eine Turmmanie, dass das Besteigen der Türme europaweit eine regelrechte Mode wird. Das berühmteste Beispiel ist natürlich Goethe mit der Besteigung des Münsterturms in Strassburg, das er ja auch beschreibt. Und die Leute suchen auf ihren Reisen, in ihren Heimatstädten Türme auf, um diesen Blick von oben einfach zu erfahren. Und er verbindet sich in der Zeit auch sehr stark mit Freiheitsgefühlen, wo man aus der Enge seiner Welt ausbricht und einen weiten Horizont bekommt."
Dass nun Dachlandschaften in Öl oder als Fotografien verewigt werden – etwa vom Wiener Stephansdom aus -, ist ebenfalls ein Resultat dieser Entwicklung. Einen weiteren Schub bekommt die Vogelperspektive durch das Flugzeug. Ihm verdanken die Militärs im Ersten Weltkrieg wichtige Luftaufnahmen, die abstrakte Kunst aber ebenfalls wesentliche Impulse, meint Kuratorin Yasmin Doosry:
"Je höher man aufsteigt, desto abstrakter stellt sich die Welt dar. Die normalen Felder sind nicht mehr als Felder zu erkennen, sondern ergeben Quadrate oder andere geometrische Formationen. Und daraus hat dann Malewitsch seine abstrakte Kunst, den Suprematismus entwickelt."

Von oben gesehen. Die Vogelperspektive
Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg
20.11.2014 - 22.02.2015
Website der Ausstellung