Vogelkunde

Eine Störchin namens Prinzessin

07.03.2014
Wenn Mauersegler über den Köpfen betender Juden kreischen, dann kann ein Mann nicht weit sein: Yossi Leshem. Der israelische Ornithologe gilt als Koryphäe in der Vogelwelt.
Viele Plätze gibt es nicht auf der Welt, an denen sich das Gekreische von Mauerseglern mit dem Gemurmel betender Juden mischt. Die Klagemauer in Jerusalem ist so ein Ort. 88 Brutpaare dieser schwarzen schwalbenartigen Vögel nisten in den Fugen zwischen den Steinquadern - manche nur wenige Zentimeter über den Köpfen der Betenden. Es ist Enthusiasten wie dem Ornithologen Yossi Leshem zu verdanken, dass die Mauersegler alljährlich zu ihren Brutplätzen zurückkehren.
Bereits Ende Februar kehren Mauersegler aus ihren afrikanischen Winterquartieren nach Israel zurück. Während hierzulande noch klirrender Frost herrscht, machen Mauersegler für rund 100 Tage in Israel Halt, um ihre Eier auszubrüten. Viel braucht es dazu nicht: Ein paar Halme, die auf dem nackten Boden zusammengekratzt werden, um darauf die Eier abzulegen. Aber auch, wenn die Küken geschlüpft sind, geht es spartanisch zu. Die Jungen bleiben, bis auf die Zeit der Fütterung, sich selbst überlassen.
Erst wenn sie sich mit einem kühnen Sprung aus der Nesthöhle in die Lüfte erheben, geschieht Unglaubliches: Ab dann bleiben Mauersegler ganze drei Jahre lang in der Luft – und zwar pausenlos. Sie trinken beim Fliegen und sie schlafen beim Fliegen. Und sie kopulieren sogar beim Fliegen. Erst nach drei Jahren, wenn sie ihr eigene Bruthöhle beziehen, haben sie erstmals wieder Bodenkontakt. Was bis dahin geschieht – man weiß es nicht genau. Aber Yossi Leshem ist diesem Mysterium auf der Spur. Er hat Vögel mit Transpondern versehen, um herauszufinden, was der halbstarke Mauersegler so alles treibt.
Drei Jahre in der Luft
Mauersegler sind nur eines von vielen Steckenpferden von Yossi Leshem. Auch wenn es darum geht, dem Nationalvogel von Israel, dem seltenen Wiedehopf, geeignete Brutmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, dann ist der findige Ornithologe zur Stelle: Kurzerhand werden ausgediente Munitionskisten zu Brutkästen umfunktioniert. Wundern Sie sich also nicht, wenn sie beim Spazieren militärisches Material in Baumkronen sehen, aus dem ein Federbausch lugt.
Ein weiteres Steckenpferd ist die Wiederansiedelung der Schleiereule, die in Israel selten geworden war. Was zunächst ein wenig kauzig klingt, macht in wissenschaftlicher Hinsicht durchaus Sinn, denn Eulen und Turmfalken mindern den Einsatz von gesundheitsgefährdenden Pestiziden.
"Wir haben schon 3000 Nistkästen gebaut. Und jedes Brutpaar vertilgt 2000 bis 6000 Nagetiere wie Ratten oder Mäuse pro Jahr. Das Projekt funktioniert derart gut, dass wir inzwischen auch mit Jordaniern und Palästinensern zusammenarbeiten. Vor kurzem hatten wir ein Schleiereulenpaar in Beit She'an an der Grenze zu Jordanien. Das Männchen war ein Israeli und das Weibchen eine Jordanierin und sie hatten sieben Küken. Ein Spaßvogel von der Regierung hat uns gefragt: Was sind diese Küken denn nun: Moslems oder Juden? Den Vögeln ist das natürlich piepegal!"
Pestizide sind, neben der Vernichtung der Habitate, eine der schlimmsten Feinde des Artenreichtums in Israel. Durch den Einsatz des inzwischen verbotenen DDT sind etliche Spezies ausgestorben, weil ihre Eierschalen brüchig geworden waren, darunter auch verschiedene Geierarten.
"Unser Präsident Schimon Peres ist nach dem Bartgeier benannt. Als er nach Palästina kam, wollte er in die Negevwüste erkunden. Weil er dafür von den Briten offiziell keine Erlaubnis bekam, behauptete Peres, er wolle eine zoologische Expedition machen. Peres, der damals noch seinen polnischen Namen Perski trug, ging also mit dem Berliner Naturforscher Professor Heinrich Mendelssohn in die Wüste, als plötzlich ein Bartgeier mit einer Spannweite von drei Metern dicht über ihren Köpfen kreiste. Woraufhin der Professor schrie: Peres! Peres! Und da Peres ohnehin auf der Suche nach einem hebräischen Namen war, dachte er sich: Okay, das wird mein Name sein!"
Per Motorgleiter den Vögeln hinterher
Yossi Leshem hat erst später gelernt, selbst zu fliegen, und zwar mit einem Motorgleiter. Eine recht praktische Erfindung, wenn man beispielsweise eine Störchin mit Namen Prinzessin begleiten will. Ihr Vogelzug führt Prinzessin jährlich vom Dorf Loburg nahe Berlin via Israel in ihr Winterquartier in Südafrika.
Mit seinem Flugvehikel hat Leshem tausende von Stunden unter Vögeln verbracht. Ein Kindheitstraum. Denn eigentlich wollte Leshem Jet-Pilot werden. Aber als der 1947 in Haifa geborene Zoologe in der Pubertät eine Brille bekam, platzten seine Piloten-Träume. Doch Leshem hat dann doch noch mit der Fliegerei zu tun bekommen.
"Dann habe ich nach einem Promotionsthema gesucht. Ich beschloss, damit zur Luftwaffe zu gehen. Das war 1983, als noch alles streng geregelt war. Ich habe eine Forschungsarbeit organisiert, bei der die Anzahl an Greifvögeln im Herbst über Israel erfasst werden sollte. Wir haben herausgefunden, dass es sich um eine enorme Menge handelte, was bis dato gar nicht bekannt war. Gleichzeitig konnte ich in einem Logbuch sehen, dass das Militär jeden einzelnen Zusammenstoß mit einem Vogel zwischen 1972 und 1982 gezählt hatte: Fünf Jets waren abgestürzt. Und ein Pilot wurde wegen eines Pelikans getötet. 35 Kollisionen hatte es mit Sachschaden von rund einer Million Dollar gegeben und viele von mehreren Hunderttausend aufgrund von Vogelschlag."
Kein Wunder also, dass die Luftwaffe größtes Interesse an Yossi Leshems Forschung zeigte. Er fand heraus, dass 74 Prozent der Kollisionen durch Zugvögel verursacht werden. Die meisten durch große Thermiksegler wie Greifvögel, Pelikane und Störche. Also zeigte Leshem durch Radarmessungen, in welcher Höhe diese Vögel fliegen und welche Route sie nehmen – woraufhin die Flugschneisen verändert und Vogelzug-Karten erstellt wurden. Mit der Konsequenz, dass die Militärjets zwischen Anfang März und Anfang Mai an bestimmten Arealen nicht mehr fliegen sollten: Man kann sich vorstellen, dass viele Piloten dachten, Yossi Leshem habe – wie man so schön sagt – einen Vogel.
Doch nachdem im ersten Jahr die Kollisionen um satte 88 Prozent zurückgegangen waren, änderten die Skeptiker ihre Meinung. So ist seit 1984 der Vogelschlag um 76 Prozent zurückgegangen. Der israelische Staat konnte dadurch rund eine Milliarde Dollar einsparen.
Geschickter Lobbyist in Sachen Naturschutz
Verständlicherweise genießt Yossi Leshem in seiner Heimat größtes Ansehen. Und nicht nur dort. Als geschickten Lobbyist in Sachen Naturschutz gelingt es ihm immer wieder, Politik und Industrie für seine Projekte zu begeistern. Selbst die Deutsche Lufthansa oder die deutsche Bundesregierung unter Klaus Töpfer und später Angela Merkel hat Leshem schon ins Boot geholt. Da scheint es fast folgerichtig, dass der Professor aus Tel Aviv 2012 auch mit dem renommierten Bruno H. Schubert-Wissenschaftspreis ausgezeichnet wurde. Ausgerechnet in Frankfurt. Von dort kam auch Yossi Leshems Mutter.
"Der Frankfurter Bürgermeister hat alle geflohenen Juden für eine Woche in die Mainmetropole eingeladen. Zuerst wollte meine Mutter nicht. 1988 ist sie dann doch hingeflogen. Als sie die Rolltreppe herunterstieg, sah sie ein Orchester und einen Mann mit Blumen. Es war der Frankfurter Bürgermeister. Sie verstand nicht, was das sollte, bis der Mann sagte: 'Frau Löffelholz' – ihr deutscher Name war nicht Leshem, sondern Löffelholz – 'Frau Löffelholz, sie sind Gast Nummer 1000 von Frankfurt am Main.'"
Die anschließende Festveranstaltung hat im Kaisersaal stattgefunden, an eben jenem Ort, an dem Yossi Leshem Jahre später auch den Schubert-Preis verliehen bekam. Doch mit Frankfurt, der Partnerstadt von Tel Aviv, verbindet Yossi Leshem noch viel mehr. Natürlich geht es auch dabei um Vögel. Genauer gesagt um Mauersegler, die für Yossi Leshem das Paradebeispiel für Weltenbürger und Friedensstifter sind.
Diese Vögel nisten nicht nur in Frankfurt, wo bereits 1500 Brutkästen und Lockruf-Anlagen installiert wurden. Sondern sie brüten auch an der Geburtskirche in Bethlehem, der König Abdullah-Moschee im jordanischen Amman und natürlich auch an der Klagemauer in Jerusalem. Wohin sie hoffentlich noch in Jahrtausenden zurückkehren werden.