Völklingen

Millionen bei Meeresfischzucht versenkt

Im Februar 2013 wurden die ersten 400 Störsetzlinge in die Becken der Fischzuchtanlage Völklingen gesetzt.
Im Februar 2013 wurden die ersten 400 Störsetzlinge in die Becken der Fischzuchtanlage Völklingen gesetzt. © imago / Becker & Bredel
Von Alois Berger · 21.04.2015
In Völklingen im Saarland sollte eine Meeresfischzuchtanlage der ehemaligen Kohle- und Stahl-Region Hoffnung geben. Die Stadtwerke, Initiator und Besitzer, träumten von Ruhm und Reichtum. Doch daraus wurde nichts. Der Schuldenberg ist inzwischen auf über 20 Millionen Euro gewachsen. Wie kommt es zu solchen Fehlplanungen?
Strahlend blauer Himmel, das Wochenende steht bevor, Grillwetter im April. Besser könnten die Bedingungen für den Werksverkauf vor den Toren der Meeresfischzuchtanlage in Völklingen nicht sein.
Kunden: "Frischer geht's nicht mehr. Kurze Wege. Ich will keinen Fisch von wo weiß ich woher. Es sind ja wunderbare Fische, frische Fische... ."
Von den nicht eben kundenfreundlichen Preisen von 18 bis 19 Euro für das Kilo Wolfsbarsch oder Dorade sei man längst weggekommen, sagt Fischverkäufer Axel Benz. Die Fische gehen zum Stückpreis über den Tresen.
Axel Benz: "Die kleinen für sechs Euro, die mittleren für acht Euro und die großen verkaufen wir dann zu zehn Euro. Wir haben Fische dabei 900 Gramm, ein Kilo, die verkaufen wir dann für zehn Euro."
An Axel Benz, dem freundlichen Fischverkäufer im Wohnwagen liegt es sicher nicht, dass es mit der Vermarktung der Fische nicht klappt.
Benz: "Das macht mir so viel Spaß, man kann mit der Kundschaft reden, es ist fast familiär."
Heute muss er die wenigen getreuen Kunden erstmals so richtig enttäuschen.
Benz: "Habe nur Wolfbarsch heute, keine Dorade. Ah! Ich war ganz überrascht, es ist so, ja. An mir liegt es bestimmt nicht ... "
Die Kunden sind irritiert:
"Dass ich jetzt hier her komme und es ist keine Dorade da, das hätte ich beim besten Willen nicht erwartet. Das erste Mal, im Moment war ich ganz enttäuscht, nachdem ich mich vorbereitet habe auf die Dorade, jetzt ist nur Wolfbarsch da, na ja, da kann man nichts machen."
Bürgermeister will die Hoffnung nicht aufgeben
Die Szene ist symptomatisch für all das was mit dem Projekt Meeresfischzuchtanlage schief gelaufen ist. Die Stadtwerke Völklingen, die es vor sieben Jahren aus der Taufe gehoben hatten, haben sich nicht um den Vertrieb ihrer Ware gekümmert. Sie betrauten Hans Agostini, den Präsidenten des saarländischen Einzelhandelsverbandes mit dieser Aufgabe. Der Völklinger Schuhverkäufer gab sich selbstbewusst. Er könne auch hunderte Tonnen Fisch im Jahr verkaufen.
Hans Agostini: "Ich denke, dass man Verkauf nicht an einem Produkt festmachen muss. Und eine Ware, die gut ist, die kann ich auch gut verkaufen."
Ein Trugschluss mit Folgen. Die Ware war und ist gut, das geben selbst die Kritiker der Anlage zu. Aber es wurde versäumt, Vertriebskanäle aufzubauen und das Produkt am Markt einzuführen und zu bewerben. Bis heute hat die Stadt kein schlüssiges Vertriebskonzept entwickelt, obwohl sie ihre unfähigen Stadtwerke-Manager zwischenzeitlich gefeuert und sich personell verstärkt hat. Trotzdem will CDU- Bürgermeister Wolfgang Bintz die Hoffnung noch immer nicht aufgeben.
Wolfgang Bintz: "Wenn es uns gelingt, den Vertrieb darzustellen, wie ich mir das vorstelle, dann sieht die Situation anders aus. Dann ist genau das, was wir an Schwächen haben, keine Verarbeitung, keine Schlachtung und keine Handelswege, wenn wir diese Schwäche durch einen Partner weg bekommen, dass er die Ware an der Rampe abnimmt, dann wäre das eine lohnenswerte Geschichte, dann hätten wird die Meeresfischzucht für weitere Interessenten durchaus spannend hingestellt."
Die Mehrheit im Stadtrat aber hat keine Hoffnung mehr. Sie glaubt nicht daran, dass sich für das Projekt noch ein zahlungskräftiger privater Investor finden lässt. Die Suche läuft seit Jahren ohne Erfolg. Die Stadträte haben deshalb Anfang April beschlossen, die Anlage Ende Juni, wenn die Becken leer gefischt sind, still zu legen. Paul Ganster, Stadtverordneter der Linken.
Paul Ganster: "Die grundlegend falsche Entscheidung war, die Anlage zu bauen. Und wir müssen gucken, wie wir mit möglichst geringem Schaden da rauskommen, wie wir die gesamten Stadtwerke vor der Insolvenz retten."
CDU-Parteifreunde schlagen Warnungen in den Wind
Das Abenteuer Meeresfischzucht hat sich als Millionengrab erwiesen. Sie wurde mit öffentlichem Geld für über 20 Millionen Euro errichtet und produziert nur Verluste, weil den hohen Betriebskosten kaum Einnahmen gegenüber stehen. Die Meeresfischzuchtanlage Völklingen hat auch die Muttergesellschaft, die Stadtwerke, ins Trudeln gebracht. Notkredite der saarländischen Landesbank mussten bereitgestellt werden, um den Weiterbetrieb von Fischzuchtanlage und Stadtwerken zu gewährleisten. Andere Geldgeber stehen nicht mehr zur Verfügung. Zukünftig sind weitere Kredite nötig, um die geordnete Abwicklung der Fischzucht und den Restrukturierungsprozess der Stadtwerke abzufedern.
Bürgermeister Wolfgang Binz: "So wie es aussieht, werden wir den Rahmenkredit bei der Saar LB beantragen in Höhe von 21, 4 Millionen."
Die Idee, Seefische zu züchten, stammt vom Völklinger Oberbürgermeister Klaus Lorig. 2007 sucht der CDU-Mann nach Möglichkeiten, seine vom Niedergang der Montanindustrie geprägte Stadt zu beleben. Auf brach liegenden Bergbauflächen soll Neues entstehen. In dieser Situation begeistert sich Lorig für ein Projekt, das bislang noch keiner gewagt hat: Die Aufzucht von Meeresfischen im Binnenland fernab der Küste. Keine Versuchsanlage, nein, erstmals sollte die für Aquarien genutzte Technik in großindustriellem Maßstab angewendet werden. Eine Pioniertat mit weitreichenden ökologischen Folgen, die Völklingen ins Rampenlicht bringen würde, war Lorig überzeugt.
Oberbürgermeister Klaus Lorig: "Für mich war das wirklich ein zukunftsweisendes Projekt, wo man sagt, damit kann man den Strukturwandel schaffen, ein absolut innovatives Projekt."
Lorig begeistert seine CDU-Parteifreunde. Diese schlagen sämtliche Warnungen in den Wind. Die Zurückhaltung privater Investoren hält die CDU für unbegründet. Die CDU-Stadtratsfraktion unterstützt den Bau der Meeresfischzuchtanlage deshalb nach Kräften, erinnert sich der Fraktionsvorsitzende Stefan Rabel.
Stefan Rabel: "Weil es keine Privaten weit und breit gab, die bereit gewesen wären, das Risiko auf sich zu nehmen. Und wir waren überzeugt, dass, wenn wir das Projekt auf den Weg gebracht haben und alle Welt sieht, dass es funktioniert , dann auch diejenigen sich darum reißen werden, die aus der privaten Wirtschaft Geld verdienen wollen, das war die Ausgangssituation."
Rabel gibt zu.
Rabel: "Letztlich konnte niemand ernsthaft wissen, wo es hingeht, als er den Beschluss gefasst hat."
Die CDU habe darauf vertraut, dass diejenigen, die mit der Umsetzung betraut waren, es auch hinkriegen würden. Heute sei er schlauer, so Rabel.
Rabel: "Ich glaube, dass es noch immer ein tolles Projekt ist, wenn es von jemandem anderen gemacht wird, der Ahnung hat."
Bedingungen wie in einem Ozean
In Völklingen war weder Personal noch Know-How vorhanden. Die zuständige Kommunalaufsicht hätte einschreiten müssen. 2007 war das CDU-Innenministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die heutige Ministerpräsidentin. Aber sie legte das Projekt nicht auf Eis, sondern ließ die Parteifreunde vor Ort gewähren. Ein schweres Versäumnis, sagt Paul Ganster, Mitglied der Linken im Stadtrat.
Paul Ganster: "Es ist ja überall so, dass Kommunalpolitiker, Bürgermeister, Oberbürgermeister sich mit einem mehr oder minder tollen Projekt gerne irgendein Denkmal setzen und da ist man halt auf den Glanz der goldenen Dorade hereingefallen."
Die CDU geführte Landesregierung tat sogar noch mehr. Sie verhalf dem Projekt zu später Legitimation. Denn die Meeresfischzucht verstieß gegen das geltende KSVG, das Kommunalselbstverwaltungsgesetz. Dieses beschränkt das wirtschaftliche Tun einer Gemeinde im Grundsatz auf die öffentliche Daseinsvorsorge. Das heißt, unter anderem: Schulen, Straßen, Verkehr, Wasser- und Energieversorgung. Weil die Züchtung von Seefisch nicht dazu gehörte, wurde das KSVG nachträglich geändert. Die CDU-Landesregierung tat sogar noch mehr. Sie sorgte für wissenschaftliche Begleitung. Sie berief den Meeresbiologen Uwe Waller an die Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes.
Junge Kingfische schwimmen in einem Becken in der Forschungsstation der Meeresfischzuchtanlage in Völklingen.
Junge Kingfische schwimmen in einem Becken in der Forschungsstation der Meeresfischzuchtanlage in Völklingen.© Imago / Becker & Bredel
Uwe Waller: "Was wir hier machen, ist die Antwort eines Meeresbiologen sozusagen auf die Problematik in den Ozeanen."
Waller hat ein komplexes System geschaffen. In einer riesigen schmucklosen Halle, schwimmen in mehreren mit Salzwasser befüllten Becken hunderte Tonnen Fisch. Die Bassins sind etwa 30 Meter lang, ebenso breit und 1. 80 Meter tief.
Waller: "Wir haben 18 Jahre an diesen Anlagen entwickelt, wir haben angefangen im 2000 Liter-Maßstab zu arbeiten und haben uns langsam hochskaliert, was sie hier sehen, ist eine normale Größe einer Aquakultur, das ist für einen Ingenieur eine Standardgröße. Es gibt keine Frage, dass es funktioniert."
Das maritime Milieu in dem sie sich bewegen, komme den Bedingungen, die in einem sauberen Ozean herrschen ziemlich nahe, so Waller.
Waller: "Wir haben hier sogar den Vorteil, dass wir die Wasserqualität viel besser kontrollieren können, wir haben keinen Außeneinfluss."
Bürger zahlen die Zeche
Es hat zwar auch Rückschläge gegeben, ein Teil der eingesetzten Störe hat nicht überlebt, aber grundsätzlich funktioniert die technische Seite des Projektes. Das Versagen liegt auf Seiten der Politik. Linke und SPD fordern den Rücktritt von Oberbürgermeister Lorig. Selbst eine Bürgerinitiative macht sich dafür stark.
Megaphon Marc Reinstein: "Es ist an der Zeit, dass derjenige, der an oberster Stelle sitzt, endlich die politische Verantwortung übernimmt, Herr Lorig."
Marc Reinstein ist Unternehmer und ist mit einer Handvoll Leuten vor das Völklinger Rathaus gezogen, um seinem Ärger Luft zu machen.
Reinstein: "Wir haben verschiedenste Risiken zu schultern in der freien Wirtschaft und wenn irgendetwas nicht stimmt, geht es um Kopf und Kragen. Von daher ist es nicht einzusehen, dass sich eine Stadt privatwirtschaftlich engagiert, mit öffentlichem Geld herumzockt, und wir Bürger die Zeche zahlen für die Misserfolge und die Verantwortlichen überhaupt keinen Haftungsregeln unterliegen."
Der Völklinger Oberbürgermeister ist direkt gewählt. Er will nicht gehen. Und für ein Abwahlverfahren, das vom Stadtrat in die Wege geleitet werden könnte, bedarf es einer Zwei-Drittel-Mehrheit. Das heißt, auch die CDU-Parteifreunde müssten sich daran beteiligen. Doch die halten zu ihrem Oberbürgermeister, zumindest noch.
Mehr zum Thema