Virologe über das Zika-Virus

"Es ist bald wieder vorbei"

Einsatzkräfte desinfizieren das Sambadrom in Rio wegen des Zika-Virus.
Einsatzkräfte desinfizieren das Sambadrom in Rio wegen des Zika-Virus. © picture-alliance / dpa / Marecelo Sayao
Jonas Schmidt-Chanasit im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 01.04.2016
In Atlanta tagen internationale Wissenschaftler zum Zika-Virus. Die Gefahr ist noch nicht gebannt, dennoch warnt der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit vor Panikmache: In Brasilien werde sich das Virus bald ausgetobt haben, und ein Impfstoff werde in wenigen Jahren verfügbar sein.
41 Länder haben in den vergangenen neun Monaten Fälle von Zika-Infektionen gemeldet. Am stärksten betroffen ist Brasilien, wo gehäuft Fälle von schwerer Schädelfehlbildung bei Neugeborenen auftreten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte im Zusammenhang mit dem Virus den globalen Notfall ausgerufen. In Atlanta findet heute eine Gipfelkonferenz zum Zika-Virus und Aktionsplänen dagegen statt.
Die WHO habe zu Recht Alarm geschlagen, findet Jonas Schmidt-Chanasit, Virologe am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg. Denn nur indem die Aufmerksamkeit auf die Krankheit, das hohe Infektionsrisiko und die Folgen gelenkt werde, würden auch staatliche Mittel für die Bekämpfung bereit gestellt. In Europa, auch in Deutschland, sei eine Infektion durch die Tigermücke ebenfalls möglich, wenn es in den kommenden Monaten zunehmend wärmer werde. Dennoch warnt Schmidt-Chanasit vor Panikmache und erteilt Vermutungen, der Klimawandel sei Schuld an der Ausbreitung der übertragenden Tigermücke, eine klare Absage:
"Das Virus ist auf einem Kontinent angekommen, also, Amerika, wo es vorher nicht war, das heißt, die Bevölkerung ist nicht immun gegen diesen Erreger... Und dann funktioniert das eben, dann gibt es diesen Waldbrand, und der rauscht jetzt einmal durch in Nord-, Mittel- und Südamerika, überall dort, wo die Mücke vorkommt und die Menschen empfänglich sind. Und dann ist es aber auch bald wieder vorbei."
Auch in Brasilien werde die Zika-Welle "in einigen Monaten mit dieser Intensität vorbei sein".
Schmidt-Chanasit hält es für realistisch, dass es nicht Jahrzehnte, sondern nur noch Jahre dauern werde, bis ein Impfstoff entwickelt wird. Der Mediziner rät dazu, eine solche Impfung wahrzunehmen - allein deshalb, um eine schwere Schädigung ungeborener Kinder zu verhindern.

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: 41 Länder haben in den vergangenen neun Monaten Fälle von Zika-Infektionen gemeldet. Am stärksten betroffen ist Brasilien, wo gehäuft Babys mit schweren Schädelfehlbildungen zur Welt kommen. Die WHO fürchtet da einen Zusammenhang mit dem Virus. Eine Impfung gibt es nicht. Was also tun? In Atlanta findet heute eine Gipfelkonferenz zu diesem Virus und Aktionsplänen dagegen statt. Wir sprechen jetzt mit Jonas Schmidt-Chanasit, er ist Leiter der Virusdiagnostik am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg. Schönen guten Morgen!
Jonas Schmidt-Chanasit: Guten Morgen!
Billerbeck: Laut WHO grassiert Zika derzeit außer in Kanada in Chile auf dem gesamten amerikanischen Kontinent, in der Europäischen Union gilt das Risiko einer Infektion als gering. Allerdings wurde das Fieber in den vergangenen Wochen von Reisenden nach Europa eingeschleppt. Wie gefährlich ist es dann für uns?

"Es kann zu vereinzelten Übertragungen im Sommer kommen"

Schmidt-Chanasit: Momentan bei den Temperaturen weniger gefährlich. Wenn es aber natürlich wärmer wird und wir uns dann im Sommer befinden und der Ausbruch weiter so geht, besteht natürlich ein Risiko, dass es hier zu lokalen Übertragungen kommt, weil die Überträgermücke auch in weiten Teilen Südeuropas, aber eben auch vereinzelt in Deutschland vorkommt. Insofern ist das Risiko natürlich insgesamt gering. Es wird so einen Ausbruch geben, wie in Brasilien, aber es kann zu vereinzelten Übertragungen im Sommer kommen.
Billerbeck: Zika ist als Erreger seit fast 70 Jahren bekannt. Erstmals war er, wahrscheinlich auch daher der Name, im Zika-Urwald in Uganda bei einem Affen entdeckt worden. Warum jetzt diese globale Ausbreitung? Hat das mit dem Klima zu tun?
Schmidt-Chanasit: Nein. Da gibt es zwei ganz einfache Gründe: Das Virus ist auf einem Kontinent angekommen, also in Amerika, wo es vorher nicht war. Das heißt, die Bevölkerung ist nicht immun gegen diesen Erreger, und die Überträgermücke ist weit verbreitet in Amerika, das ist die Gelbfiebermücke und die Tigermücke. Dann funktioniert das eben, dann gibt es diesen Waldbrand, und der rauscht jetzt einmal durch sozusagen Süd-, Mittel- und Nordamerika, überall dort, wo eben die Mücke vorkommt und die Leute empfänglich sind. Dann ist das Ganze aber auch wieder vorbei, und das sehen wir zum Teil auch schon in Brasilien. Das wird sich jetzt nicht die nächsten Jahre in dieser Intensität fortsetzen, sondern wird in einigen Monaten mit dieser Intensität dann auch vorbei sein.
Billerbeck: Im Kampf gegen solche hochgefährlichen Krankheitskeime, da gelten ab Mai, habe ich gelesen, in Deutschland neue Meldepflichten, auch für sogenannte Arboviren, und unter die fällt dieses Zika-Virus. Kann damit eine Infektion auch von Reiserückkehrern aus Brasilien zum Beispiel besser überwacht werden?

Jahrelang auf neue Meldepflichten hingearbeitet

Schmidt-Chanasit: Ja, das ist ganz, ganz wichtig. Da haben wir auch jahrelang darauf hingearbeitet, dass auch andere Arbovirusinfektionen gemeldet werden müssen an das Gesundheitsamt. Bisher war das nur für das Denguevirus der Fall. Somit haben wir dann genau die Möglichkeit, eine lokale Übertragung hier zu verhindern, wenn wir also ganz genau wissen, die Reiserückkehrer kommen in Gebiete, wo die Tigermücke vorkommt in Deutschland, dann sind wir also gewarnt, und im schlimmsten Fall muss dann also diese Tigermücke dort auch bekämpft werden. Genau dafür ist das gut.
Billerbeck: Manchmal hat man den Eindruck, wenn man die Zeitungen liest, dass da ganz schön viel Panikmache unterwegs ist. Wie schätzen Sie denn so die Berichterstattung ein?
Schmidt-Chanasit: Sicherlich am Anfang war das schon sehr dramatisch. In der Region selber ist es auch dramatisch. Das darf man auch nun nicht verharmlosen, nur, wie gesagt, für Deutschland ist das jetzt kein großes Problem. Man muss das sachlich sehen. Man muss natürlich sagen, das kann vereinzelt zu Infektionen kommen, aber man darf jetzt nicht Angst haben, dass es so eine Situation ist wie in Brasilien. Davon sind wir natürlich weit entfernt.
Billerbeck: Ich meinte natürlich die Berichterstattung über die Gefahr für uns. Nun hat diese ganze Geschichte um das Zika-Virus auch einen Forschungsaspekt, hat auch eine wirtschaftliche Dimension: Die USA, Frankreich und Großbritannien sind dem Virus auf der Spur. Die Europäische Union hat zehn Millionen Euro zur Erforschung dieser Erkrankung zur Verfügung gestellt. Ist das auch ein großer Markt?

"Der zweite Schritt ist sicherlich die Impfstoffentwicklung"

Schmidt-Chanasit: Nun gut, zunächst erstmal geht es um Teste, die entwickelt werden müssen, damit man die Erkrankung überhaupt richtig diagnostizieren kann, und da sind natürlich viele Firmen sehr aktiv, auch insbesondere in Deutschland auch sehr erfolgreich. Sehr gute Teste werden in Deutschland hergestellt. Das ist der erste Schritt. Der zweite Schritt ist sicherlich die Impfstoffentwicklung, die natürlich wesentlich länger brauchen wir, als die Entwicklung von guten Testen. Hier gibt es natürlich entsprechende Märkte, und Deutschland ist da, glaube ich, auch gut dabei.
Billerbeck: Rechnen Sie da bei dieser Entwicklung der Impfstoffe mit Jahren oder mit Jahrzehnten?
Schmidt-Chanasit: Da sind Voraussagen immer schwer, aber sicherlich mit Jahren.
Billerbeck: Die Frage ist bei solchen Dingen auch immer, da gibt es hier auch große ideologische Gräben im Lande, Impfung oder nicht Impfung. Müssen wir da eigentlich so ein bisschen von so einer Vollkasko-Mentalität abrücken und auch Restrisiken ertragen?
Schmidt-Chanasit: Nun gut, wenn es eine Impfung gibt, sollte man die natürlich auch anwenden. Das ist nun bei allen anderen Erregern, wo es sehr gute Impfstoffe gibt, auf jeden Fall empfohlen. Ich denke nur an die Röteln, an die Masern, also das sind Impfstoffe, die es seit Jahrzehnten gibt und die auf jeden Fall auch verwendet werden sollten. Diese Diskussion ist von unserer Seite natürlich eigentlich keine Diskussion, sondern eindeutig zu beantworten. Wenn es für das Zika-Virus auch einen sehr guten wirksamen Impfstoff geben sollte, dann ist der natürlich auch auf jeden Fall zu empfehlen, um diese schweren Missbildungen bei den kleinen Babys natürlich zu verhindern. Da führt dann gar kein Weg daran vorbei.
Billerbeck: Ich hatte es am Anfang gesagt: Die WHO hatte wegen der Ausbreitung dieses Virus, vor allem in Brasilien, den globalen Gesundheitsnotfall ausgerufen. Nach Ihren Einschätzungen, was bringt der, was hat der bisher gebracht?

Globaler Gesundheitsnotfall "absolut gerechtfertigt"

Schmidt-Chanasit: Absolut gerechtfertigt – er hat einfach noch mal auch das Augenmerk vieler Länder auf das Problem gerichtet. Es wurden gemeinsam Anstrengungen unternommen, um wirklich herauszufinden, gibt es diesen Zusammenhang, um Teste zu entwickeln, um einfach wirklich schnell zu reagieren, und um weitere Mittel auch zur Verfügung zu stellen. Wir sehen es ja jetzt in der EU mit diesen zehn Millionen, die dort bereitgestellt werden und weitere Mittel natürlich. Also insgesamt eine richtige Entscheidung, die sich jetzt immer mehr zeigt.
Billerbeck: Einschätzungen von Jonas Schmidt-Chanasit, er ist Leiter der Virusdiagnostik am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg. Ich danke Ihnen!
Schmidt-Chanasit: Sehr gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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