Vier Wege zum ewigen Leben

01.01.2013
Der Philosoph Stephen Cave sieht in dem Wunsch nach Unsterblichkeit den Motor jeder Zivilisation. Er sporne nicht nur die Medizin zu Höchstleistungen an, sondern zeige sich auch in dem einfachen Bedürfnis, in der Erinnerung der Kinder weiterleben zu wollen.
Der Tod ist unausweichlich. Aber niemand kann sich vorstellen, nicht mehr zu existieren. Das ist das Sterblichkeitsparadoxon. Logisch auflösen lässt es sich nicht, wohl aber mit Geschichten umdeuten. Diese Geschichten, so der britische Philosoph Stephen Cave, sind der Motor jeder Zivilisation. Denn das Streben nach Unsterblichkeit hat erstaunliche Fortschritte in der Wissenschaft, in der Kunst und der Religion hervorgebracht.

In seinem Buch "Unsterblich" stellt Cave vier Wege vor, die zum ewigen Leben führen sollten. Pharao Echnaton steht für den ersten Weg. Er wollte nicht sterben, sondern mit Hilfe von magischen Elixieren weiterleben. Heute will man das mit den Mitteln der moderner Hochleistungsmedizin erreichen, aber auch das ist letztendlich zum Scheitern verurteilt. Zwar gewinnt man ein paar Jahre, aber oft verbringt man die gewonnene Zeit auf einer Intensivstation oder im Pflegheim.

Weg zwei akzeptiert den Tod, will ihn aber durch Auferstehung besiegen. Es ist der Weg des Apostel Paulus. Dieser gab ihm zwar die Kraft, das Christentum zum Erfolg zu führen. Doch genauer durchdacht, so Cave, würden sich so nur Wiedergänger oder Kopien aus den Gräbern erheben. Bleibt Weg drei: Weiterleben als Seele. Darauf hoffte der Dichter Dante und auch die östlichen Traditionen schicken die Seelen nach dem Tod auf das Rad der Wiedergeburt. Das Bewusstsein jedes Einzelnen ist damit von großer Bedeutung.

In Weg drei sieht Stephen Cave deshalb auch einen wichtigen Anstoß für die Entwicklung Individualismus und letztlich auch für die Demokratie. Trotzdem überzeugt ihn auch dieser Weg nicht vollständig. Das menschliche Bewusstsein, so Cave, ist nicht für die Ewigkeit geschaffen, denn wenn es sich entgrenzt, ins Nichts übergeht, dann kann man eigentlich nicht von einem individuellen Weiterleben sprechen. Das gilt auch für das Versprechen des vierten Weges, in seinen Kindern weiter zu existieren, in seinen Taten oder in Kunstwerken. Alexander der Große steht für diesen Weg, des Heroismus, des Vermächtnisses und der Kultur. Doch auch wenn die Erinnerungen Bestand haben mögen, das eigene Leben endet.

Stephen Cave ist Philosoph durch und durch. Er denkt jeden Aspekt konsequent zu Ende und führt seine Leser und Leserinnen zu unbequemen Wahrheiten. Dabei bleibt er immer dicht am Leben, erzählt Geschichten, zieht überraschende Querverbindungen - allerdings vor allem im westlichen Kulturkreis. Die ganze Zivilisation möchte Stephen Cave aus dem Wunsch nach Unsterblichkeit ableiten.

Das gelingt ihm ein gutes Stück weit, aber nicht vollständig. Wie die meisten Menschen haben auch Helden, Forscher und Künstler nicht ständig Angst vor dem Tod. Unbewusst folgen viele Menschen der Weisheitserzählung, die Cave am Ende seines Buches erzählt: Danach ist der Tod unausweichlich, gleichzeitig aber eine Illusion. Nach dem Sterben kann man gar nicht tot sein, schließlich ist man ja einfach nicht mehr da. Die Sterblichkeit gibt dem Leben seinen Wert: Es motiviert jeden Tag zu genießen und auch den kleinen Dingen Bedeutung zu verleihen.

Besprochen von Volkart Wildermuth

Stephen Cave: Unsterblich - Die Sehnsucht nach dem ewigen Leben als Treibkraft unserer Zivilisation
Übersetzt von Michael Bischoff
S. Fischer Verlag, Berlin/Frankfurt am Main 2012
368 Seiten, 22,99 Euro