"Viele haben gehofft, dass gestern eine Ära zu Ende geht"

Laura Garavini im Gespräch mit Gabi Wuttke · 15.12.2010
Die Ausschreitungen nach der für Ministerpräsident Silvio Berlusconi glimpflich ausgegangenen Vertrauensabstimmung seien Ausdruck einer großen Enttäuschung, sagt die Abgeordnete Laura Garavini. Sie selbst zeigte sich enttäuscht über die Uneinigkeit der Opposition.
Gabi Wuttke: Wer frohlockte, Silvio Berlusconi würde stürzen, der sah sich gestern so enttäuscht wie überrascht: Obwohl dem Misstrauensantrag von Widersacher Fini beste Erfolgschancen vorausgesagt worden waren, konnte sich Berlusconi am Ende auf die eigene Schulter klopfen, was aus friedlichem Studentenprotest in Rom eine Straßenschlacht mit der Polizei machte, bei der über 100 Menschen verletzt wurden. Am Telefon ist jetzt Laura Garavini von der oppositionellen demokratischen Partei. Guten Morgen nach Rom!

Laura Garavini: Schönen guten Morgen!

Wuttke: Glauben Sie, die Gemüter dieser vernachlässigten Generation werden sich wieder abkühlen, oder droht da ein gewalttätiger Flächenbrand wie in Griechenland?

Garavini: Es ist zu denken, dass die Wut einfach die Antwort ist auf die Wahlergebnisse gestern im Parlament. Viele haben gehofft, dass gestern eine Ära zu Ende geht, die Ära Berlusconi. Viele Italiener, die Mehrheit der Italiener warten seit 16 Jahren auf diesen Tag, und die Tatsache, dass es leider nicht geklappt hat und vor allem Tatsache, dass Berlusconi dieses Ergebnis gekauft hat, ist meiner Meinung nach der Grund, warum man gestern solche Ausschreitungen in der Stadt erlebt hat. Solche Krawallen hat man in Rom seit 30 Jahren nicht mehr gesehen. Ich denke, es ist einfach eben ein Zeichen von der Entfernung des Landes zu dem, was im Parlament passiert.

Wuttke: Dass eine Mehrheit der Italiener Berlusconi abwählen würde, das ist eine optimistische Einschätzung Ihrerseits, aber trotzdem die Frage: Kann das anhalten und sich ausbreiten, oder war es der Abend nach der Entscheidung?

Garavini: Ich vermute, es war der Abend nach der Entscheidung, wobei es nicht auszuschließen ist, dass es morgen auch wieder zu solchen ähnlichen Krawallen kommen könnte, weil das Gesetz zur Unireform im Senat ist, und das, gerade weil es auch ein Gesetz ist, das mit den neuen Generationen zu tun hat, auch zu solchen Krawallen bringen könnte. Das ist leider nicht ausgeschlossen.

Wuttke: Vor der Abstimmung gingen gestern Abgeordnete gegenseitig sich so heftig an die Gurgel, dass das Parlamentsfernsehen sich aus der Übertragung ausklinkte. Gehört auch dieser Sender Silvio Berlusconi?

Garavini: Leider ist es so, dass selbst die öffentlichen Sender öfter Informationen geben, die nicht objektiv dargestellt werden oder lassen gewisse Informationen zurück. Leider ist es schon öfter vorgekommen, selbst bei den Nachrichten, bei den öffentlichen Nachrichten kommt das manchmal sogar vor. Und das ist bestimmt einer der Gründe, warum es Berlusconi immer wieder gelingt ,auch zu gewinnen.

Wuttke: Sie waren ja gestern dabei. Wie haben Sie diese Tumulte persönlich erlebt?

Garavini: Im Parlament, meinen Sie?

Wuttke: Genau.

Garavini: Im Parlament haben wir das leider schon öfter erleben müssen. Ich denke, wir sollen alles unternehmen, damit das nicht passiert. Die beste Methode ist, dass wir das Gesetz, das Wahlgesetz ändern, weil bis jetzt werden die Kandidaten von fünf, sechs Parteichefs gewählt, und die Gefahr, dass dann solche Menschen ins Parlament landen, ist natürlich da, ist natürlich groß.

Aber abgesehen davon: Wir dürfen solche Vorfälle nicht überbetonen, weil leider ist das ein Zeichen des Systems Berlusconi. Ein Ziel Berlusconis ist, die Institutionen, die Politik, die Parteien negativ darzustellen. Das Ziel Berlusconis ist, die Institutionen zu delegitimisieren, also zu sagen, die Institutionen brauchen wir nicht, die Institutionen sind überhaupt nicht nötig, die Institutionen sind Dreck, und da müssen wir das Spiel nicht mitmachen, weil das wäre die größte Gefährdung der Demokratie.

Wuttke: Nun, leichte Handgreiflichkeiten zumindest hat es ja auch in der Ära vor Berlusconi gegeben, und deshalb, Frau Garavini, meine Frage, ob D'Alema oder Prodi – Berlusconi kann sich so ziemlich alles leisten, nur linke intellektuelle Regierungschefs werden von den Italienern ohne mit der Wimper zu zucken abgewählt. Das kann doch nicht nur am fehlenden Glamour-Faktor liegen?

Garavini: Wir waren gestern die einzige Oppositionspartei, die hundertprozentig gegen Berlusconi gestimmt hat, und das mit so einer Kraft und so einer Stärke, wo es nur wünschenswert wäre, dass auch die anderen Oppositionsparteien dasselbe machen würden. Wenn beispielsweise Italia dei Valori, also eben die andere Oppositionspartei, wenn seine Leute mitgestimmt hätten und nicht zwei Tage vorher die Seite gewechselt haben, wenn die Anhänger von Fini, der vorher zur Mehrheit von Berlusconi gehörte, der jetzt eben versucht, da Berlusconi zu stürzen zusammen mit uns, wenn seine Leute auch nicht einige Minuten vor den Wahlen eine andere Meinung geäußert hätten, als sie sich verpflichtet hatten, dann hätten wir es geschafft.

Wuttke: Aber warum, Entschuldigung, aber warum heißt es in der italienischen Opposition immer ganz schnell: wenn, dann hätten wir?

Garavini: Wenn in Deutschland es einen Politiker gäbe, dem alle Medien gehören würden, der der reichste Mann des Landes wäre – versuchen Sie, sich vorzustellen, wie die Bedingungen wären, weil das die jetzige Lage ist in Italien, schon seit 16 Jahren. Also wir haben mit einem Medienmonopol zu tun, wir haben mit einer wirtschaftlichen Macht zu tun, die einfach die Grundlagen sind für eine politische Macht. Deswegen ist auch ... also Position sehr, sehr schwierig, diese Machtposition zu stürzen.

Wuttke: Silvio Berlusconi nach dem überstandenen Misstrauensvotum, eine Stimme aus der Opposition von Laura Garavini von der demokratischen Partei. Ich danke Ihnen, wünsche Ihnen trotz allem einen schönen Tag in Rom. Vielen Dank!

Garavini: Ich bedanke mich!