"Viele Diktatoren müssen da sehr aufpassen"

Mark Kaigwa im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 07.05.2013
Handys und das mobile Internet verbreiten sich in Afrika immer weiter, aber es gibt eine riesige digitale Kluft. Dennoch, meint der kenianische Blogger Mark Kaigwa, verhelfen die Mobilverbindungen zu mehr Meinungsfreiheit.
Stephan Karkowsky: Afrika überspringt derzeit einen technologischen Entwicklungsschritt, und zwar die Festnetze in Telefonie und Internet. Afrika setzt voll auf Mobilfunk. In Ländern wie Uganda soll es angeblich mehr internetfähige Handys geben als Glühbirnen. Über die digitale Revolution auf dem afrikanischen Kontinent informiert auch dieses Jahr wieder ein junger kenianischer Blogger die Besucher der Social-Media-Messe "re:publica" in Berlin. Wir haben ihn afk gestellt, also away from keyboard. Mark Kaigwa, guten Tag!

Mark Kaigwa: Guten Tag!

Karkowsky: Sind denn Funknetze und schnelle Internetverbindungen flächendeckend ausgebaut oder gibt es auch in Afrika diesen digitalen gap, also einen riesigen Abstand zwischen den wenigen gut Vernetzten, meist auch besser Verdienenden und den vielen vom Netz Abgeschnittenen?

Kaigwa: Ich glaube, da gibt es wirklich eine Kluft, und um ehrlich zu sein, wenn man sich die Statistiken anschaut, dann sind über 75 Prozent des Kontinents – haben niemals im Internet gesurft, die haben keinerlei Erfahrung. Was die Möglichkeit betrifft, ins Internet zu kommen, ist das Potenzial unglaublich groß, aber man hat noch einen weiten Weg zu gehen. Was wirklich aufregend ist derzeit, ist die Wachstumsrate. Die ist enorm. Und das geht weit über unsere Erwartungen hinaus. Wir haben jetzt 700 Millionen Handys in Afrika. In 2016 wird es eine Milliarde Menschen in Afrika geben mit einem Handy. Also die mittlere soziale Kaste schon wichtiger als in Indien. Und wir Afrikaner bekommen plötzlich Möglichkeiten, auch mehr zu verdienen.

Es gibt also Produkte, die plötzlich erreichbar sind, und wie hier in Deutschland oder in Asien gibt es Firmen, die nur für den afrikanischen Markt produziert werden. Das würde hier gar nicht funktionieren, weil Technik hier anders funktioniert. Aber dann funktioniert eben ein Handy, was nur für Afrika produziert wird, nur in Afrika und hat trotzdem wunderbare Funktionen und ist technisch auch ziemlich ausgereift. Aber es ist extra für Afrika produziert. Und es sieht auch aus wie ein Statussymbol dort und hat einen großen Wert. Und man hat dann das Gefühl, dass man was erreicht hat, wenn man so ein Handy besitzt. Und es gibt eben viele Firmen, die auf den afrikanischen Markt ganz anders schauen und versuchen, eine afrikanische Lösung für die afrikanischen Konsumenten zu finden.

Karkowsky: Auch in anderen Teilen der Welt benutzen die User gerne Smartphones, gerne auch als Statussymbole, aber auch dort werden sie noch immer durch teure Datengebühren am Surfen gehindert. Denn Flatrates kann sich längst nicht jeder leisten. Wie läuft das denn in Afrika?

Kaigwa: Es ist schon erstaunlich, wenn man das beobachtet. Ehrlich gesagt, in den letzten fünf Jahren haben wir wirklich die größte Veränderung erlebt. Das war in den letzten fünf Jahren – in Kenia beispielsweise gibt es drei große Breitbandnetze und zwischen 2004 und 2014 sind Billionen von Dollars ausgegeben worden für die Infrastruktur, und wenn man an die Küste unseres Landes geht, dann muss das noch sozusagen ins Innere des Landes vordringen. Und es gibt noch nicht genug Mobilfunknetze, aber es gibt viele ermutigende Zeichen. Weil es gibt wirklich auch eine Konkurrenz unter den Telekommunikationsfirmen und das hat in Kenia zu unglaublich hohen Kosten geführt und es ist streckenweise einfacher, sich dort einzuloggen, als in anderen Ländern. Das finde ich schon sehr interessant.

Weil, es gibt unglaublich viel Data, den man dafür bekommt, was man bezahlt, und das ist eigentlich ein gesunder Ausdruck für eine Form des Wettbewerbes. Und die Infrastruktur muss sich eben noch in die Mobilfunknetze verlagern, und das ist die große Herausforderung. Wenn Fernsehsignale digital werden, dann werden plötzlich natürlich für Hochgeschwindigkeitsnetze auch Plätze frei. Darauf warten wir noch. Und Afrika kann vielleicht auch dem Rest der entwickelten Welt noch Lektionen erteilen in der Beziehung.

Karkowsky: Sie hören den kenianischen Blogger Mark Kaigwa, der zu Gast ist auf der "re:publica", der großen Social-Media-Messe in Berlin. Herr Kaigwa, welche Möglichkeiten haben Afrikaner in autoritär regierten Ländern mit sozialen Medien und Twitter die Zensur zu unterlaufen.

Kaigwa: Ich glaube, es hilft den Leuten, sich miteinander zu verbinden, darum geht es ja in sozialen Medien. Es geht ja nicht um die Frage, was das ist, sondern wie man es benutzt. Und das hat ja etwas mit einer sozialen Norm zu tun, an was man sich gewöhnt hat dank dieser Technologie. Und an Orten wie Uganda gibt es diese neuen Startups, weil dieses Regime doch sehr spezifisch ist. Also man kann jede SIM-Karte, die wirklich so viele Menschen haben, man kann aus einer SIM-Karte fast eine Plattform machen, die etwas veröffentlicht. Und selbst wenn ich keine SMS schicken kann oder 300 Wörter schicken kann, kann ich es auf die SIM-Karte laden und das einfach verschicken, physisch. Und da, wo sich eine Regierung einmischt in die Telekommunikation, zum Beispiel in Ägypten vor einigen Jahren, da wurden die Mobilnetze plötzlich abgeschaltet. Was machen Leute dann?

Oder, wenn das Internet abgeschaltet wird, dann gibt es Offline-Möglichkeiten, sich miteinander zu verbinden. Und das Spannendste in Afrika zurzeit ist – das ist, glaube ich, Mo Ibrahim, der das gesagt hat – die mobile Verbindung erreicht eine Schwelle, wo jedes diktatorische Regime in einen Konflikt gerät, weil die Leute plötzlich die Möglichkeit haben, sich frei auszudrücken mit persönlichen Mitteln. Und das befreit die Leute. Und viele Diktatoren müssen da sehr aufpassen oder sich da gegen all diejenigen verbünden, die Neues erfinden, auch, um sich frei zu äußern. Und soziale Medien wie Twitter oder Facebook – wir haben das in Afrika und die Leute werden immer miteinander in Verbindung bleiben und sie werden auch agieren.

Karkowsky: Der Berliner Netzaktivist Markus Beckedahl hatte auf netzpolitik.org vor den Wahlen in Kenia das Problem der Hate Speeches thematisiert. Es gibt da die Befürchtung, dass die Nutzer sozialer Medien verschiedene Ethnien leichter gegeneinander aufstacheln können bis zum Ausbruch realer Gewalt. Wie sehen Sie das?

Kaigwa: Ja, ich glaube, wenn man sich die Wahlen von 2007 anschaut und die von 2008, und danach gab es ja diesen Aufruhr, weil man das anzweifelte. Alles, was das Land gespalten hat und was dazu geführt hat, dass Leute zu Gewalt gegriffen haben, dass sie verschleppt wurden, umgesiedelt wurden, das hing mit Politikern zusammen, die eine Gruppe fanden und sich gegen sie aussprachen, aber das hat sich so ausgebreitet durch die SMS damals unter gewissen Gruppen. Und da wurden dann einfach Dinge behauptet und per SMS verbreitet. Und damals haben soziale Medien noch nicht diese Rolle gespielt. Wir waren noch nicht so vernetzt. Es gab auch noch nicht so viele Handys. Aber wenn wir vorspulen auf heute und unsere letzten Wahlen haben ja dazu geführt, dass die sozialen Medien den großen Unterschied gemacht haben. Und wie Sie sagten, Hasstiraden haben da eine große Rolle gespielt. Das ist wirklich neu. Und die Frage ist, ob man das online oder offline verfolgt. Und das ist der große Unterschied zu 2007.

Traurigerweise haben viele Leute beschlossen, dass die sozialen Medien ihn Kenia die Leute spalten. Wir hatten eine friedliche Wahl, den ganzen Prozess, den haben wir überstanden, aber bei den sozialen Medien, da, wo man Aktivismus vermutet, da gab es leider auch diese ethnisch geprägten Hassmeinungen und aggressiven Äußerungen. Und man weiß nicht genau, was man dagegen tun soll. Das kann einem überall passieren. So, dieses Mal geschieht es online, und wie verfolgt man diese Onlinekriminalität? Was wir dabei entdecken, ist, es gibt auch positive Formen, wie man zu seiner Ethnie steht. Aber wir haben so viel über den Hass und über die negativen Folgen geredet, dass das eine Debatte ist, die wir in unserem Land noch zu führen haben.

Karkowsky: Über die digitale Revolution in Afrika der kenianische Blogger und Berater Mark Kaigwa. Übersetzt hat Jörg Taszman. Noch bis morgen diskutiert Kaigwa mit auf der Social-Media-Konferenz "re:publica" in Berlin. Sobald Sie diese Webseite aufzurufen zur "re:publica", sind Sie schon mittendrin im Geschehen, denn selbstverständlich werden die Live-Konferenzen in Echtzeit gestreamt und Sie können sich direkt per Twitter mit einmischen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.