Viel verpackte Luft

Moderation: Stephan Karkowsky · 15.03.2013
Der Verpackungskünstler Christo ist zurück in Deutschland: Er hat den Gasometer in Oberhausen mit seinem "Big Air Package" gefüllt - einer Art begehbarem Luftkissen. Es ist die erste Arbeit, die Christo ohne seine verstorbene Frau Jean-Claude verwirklicht, berichtet sein Freund Wolfgang Volz.
Stephan Karkowsky: Und der Mann, der viele von Christos Ideen seit Jahren umsetzt und fotografiert, heißt Wolfgang Volz. Ich begrüße ihn in Oberhausen! Tag, Herr Volz!

Wolfgang Volz: Ja, hallo!

Karkowsky: Sie waren bereits 1999 technischer Direktor von Christos erster Arbeit im Gasometer und haben dort selbst seitdem mehrfach große Ausstellungen kuratiert. Normalerweise kehrt Christo ja nicht zwei Mal an einen Ort zurück, wo er bereits eine Kunstinstallation hatte. War das also Ihre Idee, nach Oberhausen zurückzugehen?

Volz: Also es war in der Tat meine Idee. Ich hatte ja in der Zwischenzeit seit 1999, als wir "The Wall" realisiert hatten, viele weitere Ausstellungen, die nicht mit Christo und Jeanne-Claude zu tun hatten, und dann dachte ich: Jetzt ist die Gelegenheit gekommen, noch mal nachzufragen. Er hat sich dann auch relativ schnell begeistert und hat dann auch noch viel schneller die Idee gehabt zum "Big Air Package", das jetzt eröffnet wird.

Karkowsky: Was fasziniert Sie und vor allen Dingen auch was fasziniert Christo so an diesem Gebäude, am Gasometer?

Volz: Na ja, man muss berücksichtigen, dass der Gasometer natürlich wirklich ein absolut einzigartiges Gebäude an sich schon ist, der größte Gastank in Europa. Es ist ja so, dass diese Höhe allein schon eine große Herausforderung darstellt, eine wirklich spannende Ausstellung im Gasometer zu machen, aber die werden dann auch umso höher belohnt.

Karkowsky: Christo setzt nun zum zweiten Mal in Oberhausen auf eine Inneninstallation. Engen wir Christos Werk zu sehr ein, wenn wir ihn Verpackungskünstler nennen und dabei nur an Außenverpackungen denken wie beim Reichstag?

Volz: Na ja, er hat also - und auch Jeanne-Claude - im Prinzip die letzten 50 Jahre versucht, diesen Stempel Verpackungskünstler oder Verhüllungskünstler loszuwerden, denn nur ein ganz kleiner Teil der Arbeiten aus den 60er- und frühen 70er-Jahren sind eigentlich Verhüllungen oder Verpackungen. Danach, wenn man an "Umbrellas" denkt, wenn man an "Surrounded Islands" denkt, hat der gemeinsame Nenner eigentlich immer nur etwas mit Stoff und mit Gewebe zu tun gehabt, aber war eigentlich an sich keine Verhüllung.

Karkowsky: Christo wollte eigentlich keine Hülle verhüllen, sondern wollte sie füllen in diesem Fall?

Volz: Ja. Also es ist hier ja so, dass das "Big Air Package", das heute eröffnet wird, einer langen Tradition in der Arbeit von Christo und Jeanne-Claude folgt, nämlich ein Luftpaket. Frühere Luftpakete, zum Beispiel das Air Package zur documenta IV, waren immer im Freien, haben damit dann auch durchaus die Probleme beziehungsweise die Grenzen mit sich gebracht. Das "Big Air Package", wie es hier jetzt im Gasometer Oberhausen steht, könnte man unter keinen Umständen im Freien verwirklichen. Es hat 177.000 Kubikmeter Luft in sich und würde dem Wind wohl kaum widerstehen können.

Karkowsky: Und ist fünf Tonnen schwer, wie ich gelesen habe.

Volz: Genau.

Karkowsky: Luft kann ganz schön schwer sein. Wie aufwändig ist diese neue Installation? Was war für Sie das technisch Schwierige daran?

Volz: Na ja, die technische Schwierigkeit ist eigentlich bei den Projekten durchgehend immer die Tatsache, dass man in keinem Bedienungsanleitungsbuch nachschauen kann, wie baue ich ein "Big Air Package", sondern man muss im Prinzip ja alles von null entwickeln. Und in diesem Fall war die große Herausforderung eigentlich die, dass 20.000 Quadratmeter Gewebe natürlich auch in den Gasometer hineinpassen mussten, nämlich durch das Nadelöhr der relativ kleinen Tür. Und deswegen mussten wir das Air Package in sieben Teile teilen, die im Gasometer dann über eine Zeit von 21 Tagen zusammengesetzt wurden, und dann erst konnte das Package aufgeblasen werden. Wir haben also sozusagen im Gasometer die Endmontage gemacht.

Karkowsky: Und das hätte auch schiefgehen können?

Volz: Tja, schiefgehen kann immer was. Ich meine, das ist das Besondere an der Arbeit von Christo und Jeanne-Claude, dass alles auf dem Boden der wirklichen Realität passiert, und diese Wirklichkeit, die bringt natürlich auch Gefahren mit sich.

Karkowsky: Ich habe mich da schlau gemacht: Gasometer in Betrieb funktionieren mit einer riesigen Scheibe, die liegt oben auf dem Gas drauf und erzeugt dann einen konstanten Gasdruck. Ist das "Big Air Package" auch so eine Art Spiegel dieser Technik, oder hat Christo da gar nicht dran gedacht?

Volz: Nein, also diese Technik wird hier nicht widergespiegelt. Das ist wirklich … folgt eigentlich dem Prinzip, dass hier ein Kunstwerk geschaffen ist, das in seiner eigenen Qualität bestehen kann, und das Kunstwerk ist ein Kunstwerk.

Karkowsky: Sie haben Jeanne-Claude erwähnt, Sie arbeiten seit Jahren eng mit Christo zusammen. Ist dies sein erstes Projekt ohne seine verstorbene Frau?

Volz: Genau, das ist das erste Projekt, das wir realisieren mussten ohne ihre Hilfe und ohne ihren Charakter, der ein sehr kräftiger Charakter war. Jeanne-Claude hatte die große Qualität, alles, was man macht, immer infrage zu stellen. Es ging einem oft natürlich grauenhaft auf die Nerven, aber auf der anderen Seite hat das immer dazu geführt, dass man das, was man gerade machte, wirklich zum absolut Besten entwickelt hat.

Karkowsky: Wie erleben Sie Christo denn jetzt, wie geht es ihm?

Volz: Es geht ihm prima. Er hat ja versucht, das Beste aus der neuen Situation zu machen, und er fühlt sich mittlerweile doch sehr gut in seiner Rolle als Einzelkünstler. Wir haben, die nächsten Freunde, das sind eigentlich hauptsächlich drei, zu denen ich gehöre, versucht, die Arbeit von Jeanne-Claude bis zu einem möglichen Grad zu ersetzen, sodass wir also jetzt zu dritt die Aufgaben von Jeanne-Claude übernehmen. Da kann man schon alleine sehen, welche Stärke und Qualität sie hatte.

Karkowsky: Und stimmt es, was man lesen konnte: Dies soll sein letztes Werk in Deutschland sein?

Volz: Also das ist ein Missverständnis. Ich weiß nicht, wie das entstanden ist. Solche Festlegungen gibt es eigentlich in der Arbeit sowieso nicht. Und jetzt nun einfach zu sagen, wir machen das und dann nie wieder was anderes in Deutschland, wäre eine vollkommen unnötige Einengung.

Karkowsky: Das "Big Air Package" am Gasometer Oberhausen von Christo, zu sehen ist das ab morgen, 16. März, bis zum 30. Dezember 2013, und ich bedanke mich bei Wolfgang Volz. Wenn Sie eine Original-Christo-Fotografie ihr eigen nennen, dann hat dieser Mann sie höchstwahrscheinlich aufgenommen, der auch bei Christos "Big Air Package" im Gasometer Oberhausen der Projektleiter ist. Herr Volz, besten Dank!

Volz: Ich danke Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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