Via Lewandowsky in der Kieler Kunsthalle

Die Verführung des Blicks

Der Künstler Via Lewandowsky in der Kieler Kunsthalle in seiner Ausstellung "Hokuspokus"
Der Künstler Via Lewandowsky in der Kieler Kunsthalle in seiner Ausstellung "Hokuspokus" © dpa / picture alliance / Carsten Rehder
Von Anette Schneider · 02.10.2015
Eine Uhr mit sich rückwärts drehendem Ziffernblatt oder ein schwankender Hochsitz: Via Lewandowsky verwandelt vermeintlich bekannte Gegenstände in etwas völlig Neues. Der Künstler täuscht unsere Wahrnehmung - und rüttelt so an eingefahrenen Glaubenssätzen. Zu erleben in der Kieler Kunsthalle.
Es herrscht Unruhe in der Kieler Kunsthalle. Eine Leuchtschrift flackert auf, eine Stimme liest den Text vor. Stück für Stück fällt die Leuchtschrift aus, die Stimme liest die Überbleibsel, stotternd, hackend, unverständlich. Via Lewandowsky bot die Arbeit "Au Au" einem Offizierskasino der Bundeswehr an. Das lehnte dankend ab.
Ein Hochsitz, Inbegriff deutscher Jagdkultur, schwankt gefährlich hin und her. Ein altes Transistorradio spuckt Fetzen von Kirchenmusik aus, während an seiner Antenne ein Rosenkranz wackelt. Der Abgesang von Radio Vatikan? Oder die Verklärung des einst verehrten Mediums Radio?
Via Lewandowsky verwandelt uns vermeintlich bekannte Gegenstände in etwas völlig Neues. Durch die Art ihrer Inszenierung, durch mechanische Bewegungen, Geräusche oder Musik provozieren sie beim Betrachter Geschichten, die oft irritieren, die aber auch komisch und ironisch sein können. All das ist natürlich viel mehr als Hokuspokus.
"Ich habe ja mit den Zauberern nur so viel gemein, dass ich Künstler bin. Und der Künstler ist ja in gewisser Art und Weise auch jemand, der das Publikum verführt. Der Dinge zu etwas erklärt, was sie nicht sind. Der mit Schein und Wahrnehmung arbeitet und mit Täuschung. Das ist auch das Schöne daran: Den Blick zu verführen, ja? Ihn in eine Richtung zu lenken, wo plötzlich der Betrachter erschrickt und denkt: Moment mal, das habe ich jetzt aber nicht erwartet! Warum ist das jetzt so? Wo er anfängt, darüber nachzudenken."
Via Lewandowsky zerlegt unsere Werte
Das beginnt schon im Foyer. Dort spielt die Uhr des Museums verrückt: Während die Zeiger die exakte Zeit angeben, läuft das Zifferblatt in irrsinnigem Tempo rückwärts. "Beschleunigte Zeit" heißt die Arbeit, die das vermeintlich Fortschrittliche als unmenschlich und rückwärtsgewandt entlarvt. So wie das Wort SIEG, das in großen Leuchtbuchstaben im ersten Saal hängt, und angesichts der militärischen Einmischungen der deutschen Außenpolitik wie eine unheilvolle Drohung wirkt.
Merkwürdig menschlich erscheint dagegen die Straßenlampe, die wenige Schritte weiter auf dem Boden liegt, und deren Kopf verdeckt wird von einem weißen Bauzelt, aus dem einlullende Musik erklingt.
"Da hat’s vermutlich irgend einen ganz blöden Unfall gegeben. Man weiß es nicht so genau. Eine wie ein gefällter Baum daliegende Lampe, deren Kopf auch noch mit einem Bauzelt abgedeckt ist. Und das macht man nur, wenn es ganz heikel ist, also wenn wir wissen: Das wird jetzt länger dauern an der Stelle."
Tatsächlich scheint der Fall aussichtslos, denn der Lampenkopf ist zerflossen und fast erloschen. Und plötzlich - mit dem verheerenden SIEG-Schild im Rücken - gleicht diese verlöschende Lampe dem Zustand der Aufklärung in unserer Gesellschaft.
Doch Lewandowsky sperrt sich gegen den Abgesang der Vernunft. Und so präsentiert er seine Arbeiten als einen abgründigen Rundgang durch vorherrschende bürgerliche Glaubenssätze, Werte und Verhaltensweisen, die er ebenso ätzend wie genussvoll zerlegt. Da steht zum Beispiel ein gedeckter Vierertisch, Inbegriff bürgerlichen Familienlebens. Allerdings ist er abgefackelt. "Tischgebet. Verbrenne, was du angebetet hast und bete an, was du verbrannt hast" heißt die Arbeit, die einen 1200 Jahre alten Satz aus der Zeit der gewaltsamen Christianisierung des Ostens zitiert.
Verstörende und beunruhigende Arbeiten
"Das ist ein hochaktueller Spruch heute, wenn man an die vielen Konvertiten oder an die Radikalität, mit der bestimmte Leute ihre politischen Interessen durchsetzen, denkt. 'Das Tischgebet', so ist der Haupttitel, ist nichts anderes als ein eingedeckter Tisch, bei dem quasi nichts mehr übrig ist außer schwarzer rußiger Pizzabrei."
Ob der 53-Jährige einen deckenhohen Stapel schwarzer Plastikpaletten spaltet wie durch einen Blitz und damit einen bösen Kommentar liefert zu den von Industriestaaten diktierten globalen Handelsregeln, oder ob er - während andere lauthals Rassismen herausschreien - über ein Räuspern nicht hinauskommt, das ab und an aus einem Megaphon ertönt - Lewandowsky blickt wohltuend kritisch auf das, was uns umgibt. Wie programmatisch für diesen Anspruch an Kunst wirkt das ausgestopfte Hinterteil einer Ente, das auf einem schwarz lackierten Tisch senkrecht in die Höhe ragt, als würde das Tier gerade im trüben Wasser nach Nahrung suchen und gleich wieder auftauchen.
"Deswegen heißt die Arbeit auch 'Oben und Unten - Horizontverschmelzung zwischen Wahrnehmungshorizont und Erkenntnishorizont'. Also die Erkenntnis ist: Das, was sie da gerade unten aufgesammelt hat, ist vielleicht doch nicht so ganz genießbar gewesen."
"Selbstporträt als Ente" könnte die Arbeit auch heißen. Denn wie diese sammelt Lewandowksy die ungenießbaren Dinge unserer Zeit, aus denen er verstörende und beunruhigende Arbeiten entwickelt, die oft einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen.

Die Ausstellung "Via Lewandowsky - Hokuspokus" ist vom 3. Oktober 2015 bis 31. Januar 2016 in der Kunsthalle zu Kiel zu sehen. Mehr Informationen auf der Webseite der Kunsthalle.

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