Vertriebene Juden aus Portugal

Zeichen der Wiedergutmachung

Das engen Straßen des jüdischen Viertels in Castelo de Vide.
Die engen Straßen des jüdischen Viertels in Castelo de Vide © dpa / picture alliance / Mark Read
Von Tilo Wagner · 15.05.2015
Ähnlich wie in Spanien waren die Juden zu Beginn des 16. Jahrhunderts aus Portugal vertrieben worden. Die portugiesische Regierung hat nun ein Gesetz verabschiedet, das den Nachkommen das Recht auf einen portugiesischen Pass zuspricht.
Das Lissabonner Viertel Alfama war schon im Mittelalter ein lebendiges Stadtzentrum. Hier, wo Trinkwasser und heiße Quellen aus dem Berg fließen, siedelten sich erst die Mauren an, und später, nach der Rückeroberung Lissabons durch die Christen im 12. Jahrhundert, auch viele Sepharden – die Juden der iberischen Halbinsel. Eine Synagoge soll hier 1379 erbaut worden sein, sagt Florbela Frade, eine Historikerin, die sich auf die jüdische Geschichte Portugals spezialisiert hat. Wohlhabende jüdische Geschäftsleute hätten die großen Entdeckungsfahrten der Portugiesen nach Afrika mitfinanziert, erzählt sie, und viele übten bürgerliche Berufe aus als Ärzte oder Gelehrte. Aber das friedliche Miteinander der Religionen in Lissabon fand sein Ende, als der portugiesische König Manuel I. 1497 eine spanische Prinzessin heiratete:
"Die katholischen Könige von Kastilien und Aragonien erlaubten die Heirat nur unter einer Bedingung: Portugal musste versprechen, dass so wie in Spanien alle Juden und Muslime aus dem Königreich verbannt würden. Der portugiesische König willigte zwar ein, aber tatsächlich gab er den Juden gar keine Möglichkeit, das Land zu verlassen."
Die Juden, die in Portugal blieben, wurden bereits nach kurzer Zeit zwangsgetauft, und in der aufgehetzten Stimmung kam es 1506 zu einem Massaker an der jüdischen Bevölkerung Lissabons. Die Inquisition wurde offiziell 1536 eingerichtet. Es lag nun in den Händen der katholischen Kirche, die Juden in Portugal zu verfolgen, zu bestrafen und zu vertreiben. Die Juden flohen. Nach Amsterdam, Thessaloniki oder Hamburg. Und sie bewahrten sich über die Jahrhunderte ihre portugiesischen Wurzeln:
"Die Juden sind aus Portugal vertrieben worden und waren Opfer von Diskriminierung und Gewalt, und trotzdem haben sie ihre portugiesische Identität nie abgelegt. Sie erhielten sich ihre sprachlichen und kulturellen Wurzeln und gründeten in ihrer neuen Heimat jüdische Gemeinden, die sie 'portugiesische Nation' nannten. Es waren zwangsgetaufte Neuchristen, die ihren jüdischen Glauben behielten und ihn nun im Exil wieder frei ausüben konnten."
Opfer von Diskriminierung und Gewalt
In Portugal durften Juden erst ab 1821 wieder ihre Religion ausüben. Nach dem offiziellen Ende der Inquisition und dem Beginn der Glaubensfreiheit kehrte das Land nur langsam zu einem toleranten Nebeneinander der Religionen zurück. Die Lissabonner Synagoge, die vor 110 Jahren gebaut wurde, musste ihre Fassade noch hinter einem Eisentor verstecken. Die Vizepräsidentin der jüdischen Gemeinde in Lissabon, Esther Musznik, stammt aus einer polnischen Familie, die mit dem Beginn der Pogrome und Diskriminierungen in Ost- und Mitteleuropa noch vor dem Zweiten Weltkrieg nach Portugal gekommen war. Musznik hat den politischen Prozess begleitet, der jetzt in einem Gesetz gemündet ist: Die Nachfahren der Sepharden können die portugiesische Staatsangehörigkeit beantragen.
Istanbul, Izmir, Israel. Esther Musznik zählt die Orte auf, aus denen sie in den vergangenen Wochen Post bekommen hat. Juden aus der ganzen Welt wollen wissen, ob sie Anrecht auf einen portugiesischen Pass haben. Die jüdische Gemeinde in Portugal entscheidet, wer von Sepharden abstammt und wer nicht, und gibt ihre Empfehlung dann an die zuständigen Behörden weiter. Seit dem Beginn der Inquisition sind fast 500 Jahre vergangen. Die Rekonstruktion der familiären Wurzeln beschränke sich deshalb nicht nur allein auf einen lückenlosen Stammbaum, sagt Esther Musznik:
"Ideal wäre es natürlich, wenn die Kandidaten einen Stammbaum vorlegen, der bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht. Aber das wird nur bei den wenigsten der Fall sein. Für uns ist auch die emotionale Bindung ganz entscheidend. Es gibt sehr viele Juden, die immer wieder gehört haben, dass sie Portugiesen sind, oder die sogar noch ein paar Wörter Ladino zu Hause gesprochen haben. Deshalb werden für uns bei der Prüfung der Anträge nicht nur Schriftdokumente zählen, sondern auch die mündlich übermittelte Familiengeschichte. Und diese emotionale Verbindung ist auch im Gesetz explizit verankert."
Jüdische Neu-Portugiesen sind mehr als willkommen
Esther Musznik hält sich mit Schätzungen zurück, wenn sie gefragt wird, wie viele Sephardennachkommen einen portugiesischen Pass beantragen könnten. Ob Hunderte oder Tausende – das werde nur die Zukunft zeigen, sagt sie. Dabei gibt es einen entscheidenden Unterschied zu einem ähnlichen Gesetz, das im Nachbarland Spanien im vergangenen Jahr in Kraft getreten ist. Dort hat die Regierung den Nachkommen der spanischen Juden maximal drei Jahre Zeit gegeben, um die Staatsangehörigkeit zu beantragen. In Portugal gibt es dagegen kein Zeitlimit. Und viele Experten außerhalb der jüdischen Gemeinde begrüßen diesen Schritt. Schließlich hat Portugal in der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise Hundertausende von Staatsbürgern verloren, die ins Ausland ausgewandert sind. Auch vor diesem Hintergrund sind die jüdischen Neu-Portugiesen mehr als willkommen.
Zurzeit leben in ganz Portugal etwa 3500 Juden. Die jüdische Gemeinde in Portugal hofft deshalb auch darauf, dass das neue Gesetz zu einer Belebung der jüdischen Kultur führen werde. Viel wichtig ist für Esther Musznik jedoch, dass Portugal nun für die schwerwiegenden Folgen der Inquisition endlich Verantwortung übernimmt:
"Die Geschichte können wir nicht ändern und auch nicht vergessen, gerade weil die Konsequenzen so weitreichend sind. Aber wir können ein neues Kapitel dieser Geschichte schreiben. Der portugiesische Staat verfolgt wahrscheinlich eine Reihe von Absichten mit diesem neuen Gesetz. Doch die zentrale Botschaft ist symbolisch und heißt: Wir Portugiesen haben einen Fehler gemacht. Denn den Vorfahren der Juden, die jetzt nicht mehr in Portugal leben und vielleicht nie wieder zurückkommen, wurde damals gewaltsam ihre portugiesische Staatsangehörigkeit weggenommen. Und mit diesem Gesetz will Portugal ihnen das Recht auf einen portugiesischen Pass wieder zurückgeben."
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