Verteufelt und doch hoch begehrt

Von Margarete Blümel · 29.03.2010
Australien hat jede Menge Kohle, von hoher Qualität und häufig so dicht an der Erdoberfläche gelegen, dass ein großer Teil in Tagebaubetrieben mit vergleichsweise wenig Aufwand abgebaut werden kann. Dass die Bergwerke die Umwelt verschandeln und die Minenarbeiter in unwirtlichen Siedlungen entlang der Anlagen leben müssen, nehmen die meisten unter diesen Bedingungen hin. Andernorts macht sich allerdings auch in Australien Unmut über die Belastungen für die Umwelt breit, die der Bergbau mit sich bringt.
Michael Camden: "Ich arbeite bei Angus Place. Die Mine gehört einem der größeren Betreiber - einer Firma, die der Regierung vor ein paar Jahren insgesamt 13 Kohleminen abgekauft hat. Sie haben sie alle mit der Zeit wieder flott gemacht. Und obwohl der Rohstoffpreis im Moment nicht ganz so berauschend ist, wie früher, stehen wir insgesamt ziemlich gut da. Wir fördern in diesem Jahr sogar mehr Kohle als im Jahr zuvor."

Michael Camden wohnt in Portland, eine zweieinhalbstündige Autofahrt von Sydney entfernt. Zu seinem Arbeitsplatz fährt er dagegen gerade mal zehn Minuten.

Wohin das Auge blickt, hat der Kohleabbau die Landschaft in Besitz genommen: Die lang gestreckten Verwaltungsgebäude, die Aufenthaltsräume und Duschen für an die zweihundert Arbeiter wirken fast schon winzig gegenüber den Transportbändern, die vierundzwanzig Stunden am Tag in Umlauf sind. Vom Pinienwald, der Portland und Umgebung dominiert, ist hier weit und breit nichts mehr zu sehen.

Neben der Mine steht ein Kraftwerk, dessen unablässig rauchende Schornsteine einen beißenden, schweren Geruch verursachen. Hier und im Umfeld der Mine sind allenthalben Warnschilder angebracht, die den unbefugten Besucher dazu ermahnen, das Gelände nicht zu betreten. Auf der von Planierraupen und Schaufelradbaggern platt gewalzten Ebene werden in einem fort Lastwagen beladen.

Mehr als 75 Prozent seiner Energie generiert das Land aus Kohle. Außerdem macht Kohle den Löwenanteil der australischen Exporte aus.

Etwa die Hälfte der australischen Minen sind Tagebaubetriebe. Der Abbau ist simpel: In den meisten Fällen genügen ein oder zwei Bagger und eine Flotte von Lastwagen zum Abtransport. In Angus Place etwa wird der Brennstoff aus gerade einmal acht Metern Tiefe gefördert. Die zwischen zwei– bis dreihundert Meter dicken Flöze erstrecken sich über viele Kilometer hinweg.

Michael Camden: "Ernsthaft verletzt habe ich mich noch nie. Zugegeben, ein paar Mal war da durchaus ein Quäntchen Glück im Spiel. Die Stollen sind zwar nur wenige Meter unter der Erde. Aber - aber ab und an, wenn wir die Decke ein bisschen erweitern müssen, kann schon mal einiges in Bewegung geraten. Ich rede von zehntausend Tonnen und mehr, im schlimmsten Fall. Wenn sich da ein großer Brocken löst, kann einem das ganz schön Angst machen!"

Aber, setzt Michael Camden nach. Auch wenn es die Furcht vor einem schlimmeren Unfall nicht mindere: Im Hier und Jetzt, angesichts einer sechsköpfigen Familie, beruhige die Aussicht auf die monatliche Gehaltszahlung ungemein.

Michael Camden: "Wir verdienen gutes Geld. Wenn, sagen wir, ein Baggerfahrer sechs -, siebenhundert Dollar in der Woche erhält, dann bekommen wir, als Minenarbeiter, doppelt soviel."

Dementsprechend begehrt sind die Jobs in den Minen. Der attraktiven Gehälter wegen verlassen Angestellte ihre Arbeitsplätze und Landwirte ihre Höfe, um im Kohleabbau tätig zu werden. Und doch: Der Widerstand gegen den Kohleabbau wächst. Weite Landstriche des ohnehin trockensten Kontinents der Erde erleben eine Jahrhundertdürre. Wer in Australien heute Zusammenhänge zwischen dem Verbrennen fossiler Energien und Klimaveränderungen sieht, gilt längst nicht mehr als Öko-Spinner.

Nikki Williams sitzt an ihrem Arbeitsplatz im Lobby-Institut der australischen Bergbauindustrie, dem New South Wales Minerals Council in Sydney. Nur ein paar Stockwerke trennen sie vom geschäftigen Leben auf der Geschäftsstraße unter ihr. Wenn sie, wie gerade jetzt, ans Fenster tritt, sieht sie den Betreiber des Souvenirgeschäfts, der eben das Band mit den einpeitschenden Werbesprüchen eingelegt hat.

Autos stehen Stoßstange an Stoßstange, bis das Grün der Ampel sie wieder ein paar Meter weit voran kriechen lässt. Schwule Paare ziehen Hand in Hand vorbei und küssen einander. Zwei kichernde junge Japanerinnen halten ihre Handys im Anschlag und tun so, als fotografierten sie den Souvenirshop. Ein Zeitungsverkäufer hält den Passanten die neueste Ausgabe des " Sydney Morning Herald " entgegen. Nikki Williams hat die Zeitung heute Morgen in der Bahn bereits gelesen.

Was das angeht, möchte sich die Chefin nicht allein auf die PR–Leute ihrer Firma verlassen, zu deren Pflichten auch gehört, die Berichterstattung über die Kohleindustrie zu verfolgen. Für einige Journalisten, meint Nikki, habe es sich zu einer Art Sport entwickelt, am Tun und Lassen der Branche herumzumäkeln. Aber: Die meisten Australier wüssten eigentlich, wie wichtig gerade die Kohleindustrie für die Entwicklung des Landes – und damit für jeden Einzelnen sei.
"30.000 Menschen sind hierzulande in der Kohleindustrie beschäftigt. Indirekt sind es aber hundertfünfzigtausend Jobs mehr, die auf diese Weise entstehen. Kohle ist die Nummer eins, wenn es um Australiens Exporte geht. Wir produzieren effektiv und preisgünstig. Wartung, Belieferung, der nationale und internationale Transport sorgen dafür, dass einskommaeins Millionen Australier in Lohn und Brot stehen. Alles in allem, ist unsere Branche von enormer wirtschaftlicher Bedeutung."

Während die Wirtschaft mithilfe der Kohle wächst und neue Arbeitsplätze entstehen, haben Umweltschützer und einzelne Politiker damit begonnen, auf die negativen Konsequenzen des Kohle-Booms aufmerksam zu machen. Der Abbau hat die Landschaft um die Minen herum einschneidend verändert und er zieht ökologische Folgen nach sich. Bei der Verbrennung von Kohle entsteht Kohlendioxid, das in höheren Konzentrationen zur globalen Erwärmung der Erdoberfläche, dem Treibhauseffekt, beiträgt. Durch die zunehmende Diskussion hat die Kohleindustrie einiges an Gegenwind bekommen.
Wer sich beim New South Wales Minerals Council in Sydney zu einem Besuch angemeldet hat, muss sich nach Betreten des Gebäudes telefonisch rückmelden. Lift 1 hält nicht auf der Etage, in der die Vertretung der Bergbau-Industrie ihre Räume hat. Ein Mitarbeiter, der mit einer speziellen Chipkarte ausgestattet ist, fährt mit dem zweiten Aufzug ins Erdgeschoss, um den Gast zu empfangen und ihn mit hinaufzunehmen. Es hat Anschläge auf Büros gegeben.

Wer, wann und warum? Dazu will Nikki Williams sich nicht äußern. Sie weicht aus: Wenn wir aber schon die Kritiker der Kohlebranche ins Feld führten, sollten wir dann nicht auch die Bemühungen der Industrie zu Wort kommen lassen? Das Clean Coal, das "Saubere Kohle" Programm zum Beispiel, die Entwicklung von Techniken, die den Schaden begrenzen sollen, den das bei der Verbrennung entstehende CO2 anrichtet.

Nikki Williams: "Das ist ein Partnerschaftsprojekt von Bund und Ländern. Australiens bedeutendste Wissenschaftsinstitute, unsere besten Forscher sind daran beteiligt. Selbstverständlich trägt auch die Kohleindustrie logistisch und finanziell zu diesem Unternehmen bei. Das Ganze wurde vor mehr als zehn Jahren aus der Taufe gehoben. Es ist der Versuch, die Entwicklung umweltfreundlicher Kohletechnologien voranzutreiben."

Bob Sutor, der zu den Aborigines, den Ureinwohnern Australiens gehört, glaubt allerdings nicht daran.

Er steht an der Kasse des Minisupermarkts, der die knapp dreihundert Einwohner seines Heimatstädtchens versorgt. Hier, in einem Caravan im Buschland, lebt der Fünfundvierzigjährige seit ein paar Jahren. Früher hat Bob Sutor eine Wohngruppe für entwurzelte Aborigines geleitet. Dann ist er in den Bergbau gegangen. Er hat viel verdient, war einer von zwei Aborigines unter den 200 Minenbeschäftigten, fühlte sich völlig isoliert, kam mit den Wechselschichten nicht zurecht und begann zu trinken.

Bob Sutor: "Unsere Kultur lehrt uns, die Erde, wenn irgend möglich, nicht zu verletzen und ihr nur das zu entnehmen, was wir wirklich benötigen. Für die Weißen dagegen zählen in erster Linie völlig andere Dinge. Sie gehören zu einer Kultur des Nehmens. Eine ihrer wichtigsten Vokabeln ist das Wort Geld."

Aber es gibt Leitlinien für Verhandlungen, wenn eine Bergbau-Gesellschaft eine neue Mine eröffnen möchte, die sich auf Aborigine-Territorium befindet, ein exaktes Prozedere: Die minenverantwortlichen müssen Gespräche mit den Clanältesten führen. Wenn es dabei nur um Geld geht, ist der Einigungsprozess ein Handel, der vielleicht ein wenig dauern kann, aber am Ende für beide Seiten profitabel ist.

Befindet sich aber eine spirituell bedeutsame Stätte auf dem Grund und Boden, ist das schon schwieriger. Im Ernstfall können die Aborigine-Ältesten auch von ihrem Vetorecht Gebrauch machen. Aber – tun sie das? Bob Sutor zögert. Nun, sagt er keineswegs gerne, es seien nicht nur die Weißen, die ihren Vorteil über hehre Prinzipien und Überzeugungen stellten.

Bob Sutor: "Einige Stämme leben noch gemäß ihrer Tradition. Andere dagegen versuchen in erster Linie ihren Vorteil zu wahren. Sie sehen die Chance, einmal im Leben das große Geld einnehmen zu können. Die Unterhändler wiederum spielen die Stammesmitglieder hin und wieder gegeneinander aus, um den Preis zu drücken. Die Kohleindustrie bringt dem Land viel Geld. Sie ist sehr mächtig. Schon allein deshalb werden sich ihre Leute am Ende immer durchsetzen."

In seiner Zweitwohnung, eine halbe Stunde Bahnfahrt von Sydney entfernt, bereitet der Wissenschaftler Tim Flannery gerade die Einleitung einer Podiumsdiskussion vor. Es wird, wie so oft bei ihm, um alternative Energien gehen.

Tim Flannery ist ein Mensch, der sehr genau weiß, was er will, aber realistisch genug ist zu erkennen, dass er genau das nicht so bald erreichen kann. Trotzdem: Angesichts des Wissens über die schädlichen Folgen sei es für Australien nicht mehr lange vertretbar, Kohle zu exportieren, beharrt der Klimaschützer.

Egal, wie schön die Bilanzen der Kohleindustrie aussähen, auch die vielen Arbeitsplätze als Argument ins Feld geführt würden. Dann müsse sich die Regierung eben mehr darum bemühen, ihren Bürgern Jobs in zukunftsträchtigen Branchen zu bieten. Das Land habe ein riesiges Potenzial in den Bereichen Sonnen- und Windenergie. Und im Feld der Geothermik.

Tim Flannery: "Geothermische Energie ist eine viel versprechende Energiequelle. Sie stammt aus Wärme, die in der Erdkruste gespeichert wird. Ich muss allerdings hinzufügen, dass geothermische Energie bis jetzt nur zu einem sehr geringen Teil an unserer Versorgung beteiligt ist. Ähnlich, übrigens, wie die unter "Saubere Kohle" zusammengefassten Technologien. Wenn die Regierung aber mehr Geld in die Entwicklung von Erdwärme stecken würde, bestünde die Hoffnung, dass diese Art der Energiegewinnung einen Spitzenplatz einnehmen könnte."

"Einerseits hat die Regierung angekündigt, vermehrt in die Entwicklung alternativer Energieformen investieren zu wollen. Andererseits sind aber gerade in letzter Zeit wieder Kohleminen im Bundesstaat Victoria aufgestockt worden, die man fast schon als Dreckschleudern bezeichnen kann.

Und in Queensland sind sogar wieder neue Kohleminen nach altem Vorbild entstanden. Doch immerhin gibt es inzwischen schon mehr gasbetriebene Kraftwerke hierzulande. Insgesamt aber ist es leider immer noch so, dass der Anteil der erneuerbaren Energien am australischen Markt sehr gering ist."