Verteilung des globalen Reichtums

Lässt sich Gerechtigkeit mathematisch bestimmen?

Der Aktienhandel verlagert sich immer mehr in die virtuelle Welt.
Der Aktienhandel hat sich in die virtuelle Welt verlagert: Finanzjongleure verfolgen dabei Partikularinteressen. © picture alliance / dpa / Foto: Ritchie B. Tongo
Von Jochen Stöckmann · 25.01.2015
Ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt mehr als die Hälfte des Wohlstands. Diese Nachricht entnehmen wir der aktuellen Oxfam-Studie über die ungleiche Verteilung des globalen Reichtums. Aus diesem Anlass geht es im philosophischen Wochenkommentar um unterschiedliche Perspektiven auf den Begriff Gerechtigkeit.
Es ist unfassbar: "Ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt mehr als die Hälfte des Wohlstands." Oder: "Ein Prozent der Menschheit hat so viel Vermögen angehäuft wie die restlichen 99 Prozent." Diese Zahlenspiele könnten einen um den Verstand bringen, wäre da nicht die Infografik, das Tortendiagramm: Die Hälfte des globalen Kuchens geht an ein winzig kleines Hundertstel.
So wird die Sache anschaulich – und zum Skandal. Denn die jüngste Oxfam-Studie präsentiert kein Datum, sondern ein Faktum. Lateinisch "facere" – etwas Gemachtes. Es bleibt allerdings offen, ob dahinter böser Wille steckt – etwa individuelle Raffgier – oder die strukturelle Gewalt anonymer Finanzmärkte.
Vor Augen steht die riesige Torte, mal aus "Wohlstand", dann gefüllt mit "Vermögen". Ganz gleich, mit welchem Begriff Reichtum umschrieben wird: Er beschränkt sich in dieser quantitativen Visualisierung auf eine krude Mengenlehre. Danach muss jeder Gewinn der Wenigen zwangsläufig auf Kosten der Mehrheit gehen. Diese Bilanz überzeugt moralisch, doch sie fußt auf allzu simplen Modellrechnungen.
Aber es geht ja auch nicht um Zahlen, sondern um Personen. Alles dreht sich um Privatbesitz, nicht um Staatshaushalte, mit denen Spielräume, Gestaltungsmöglichkeiten für die Allgemeinheit finanziert werden. Diese öffentlichen Budgets sind Peanuts im Vergleich zu den Geldmengen, die Finanzjongleure in eigenen Rechenzentren nicht einfach nur verwalten: George Soros etwa setzt seine Milliarden gezielt ein, um das britische Pfund zu attackieren, um einen Staat und dessen Währung zugunsten eigener Spekulationen zu schwächen. Andererseits stiftet jemand wie Bill Gates erhebliche Summen für soziale Zwecke. Auch das ist nicht ohne Probleme: Über die Verwendung bestimmt alleine der Mäzen. Der Geldsegen wird nach Gusto des Wohltäters verteilt. Nicht gerade ein demokratisches Verfahren.
Uneinigkeit über die Definition von Gerechtigkeit
Ob moralische Empörung oder politische Strategie, das Ziel heißt Gerechtigkeit, Verteilungsgerechtigkeit. Darunter allerdings verstehen Mathematiker etwas anders als Politologen. Und auf eine gemeinsame Definition werden sich etwa neoliberale Ökonomen und Befreiungstheologen nie und nimmer verständigen. Jede Wissenschaft pflegt ihren ganz eigenen Denkstil.
Bleibt also die Philosophie. Schon Aristoteles erkannte, dass ein Problem wie die Verteilungsgerechtigkeit nicht arithmetisch zu bestimmen ist, sondern mehrdimensionale, geometrische Lösungen verlangt: Schon im einfachsten Fall stehen zwei Güter C und D im gleichen Verhältnis zueinander wie zwei Menschen A und B. Dieser stadtrepublikanische, durch ethische Werte wie auch von ökonomischen Faktoren strukturierte Mikrokosmos der Antike lässt sich natürlich nicht einfach im Weltmaßstab hochrechnen. Aber auch in der Ära der Globalisierung muss immer noch gelten: Was einem jeden gebührt, hängt von seinem Verdienst ab. Gemeint ist natürlich nicht "der Verdienst" im Sinne von Lohn, Gehalt, Gewinn oder Profit. Sondern "das Verdienst", etwa um das Gemeinwesen, das Allgemeinwohl.
Die Situation ist sehr viel komplizierter als mit Schau- und Sprachbildern dargestellt. Aber – und das ist die gute, kaum publizierte Nachricht: Je unübersichtlicher die Lage, desto größer und vielfältiger werden auch die An- und Eingriffsmöglichkeiten. Und zwar ganz im Sinne des griechischen Philosophen – also auf Kosten einer unverdient reichen Minderheit.
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