Verteidigungsministerium

"Sicherheitspolitik ist keine Geheimwissenschaft"

Moderation: Matthias Hanselmann · 16.12.2013
Die neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sei eine ausgesprochen gute Wahl, meint die Politologin Sylke Tempel. Man müsse keine Waffe in der Hand gehalten haben, um zu wissen, wie man dieses Ministerium führe.
Matthias Hanselmann: Mit Ursula von der Leyen bekommt die Bundesrepublik Deutschland die erste Verteidigungsministerin ihrer Geschichte. Gerade die Sicherheitspolitik gilt ja als klassische Männerdomäne, aber seit einigen Jahren ändert sich das. Frauen erobern sich sozusagen das Feld und haben dabei gegen diverse Widerstände zu kämpfen, wie meistens. Bei uns ist Sylke Tempel, sie ist seit fünf Jahren die Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik", herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und frisch gebackene Präsidentin von WIIS, Women in International Security, dem globalen Netzwerk. Schönen guten Tag, Frau Tempel, schön, dass Sie hier sind!
Sylke Tempel: Guten Tag!
Hanselmann: Wieso hat das so lange gedauert, bis eine Frau zur Verteidigungsministerin gemacht wurde?
Tempel: Sie haben es gerade selber gesagt, es hat eine ganze Weile gedauert, bis Frauen sich in diesen Bereiche vorgearbeitet haben, und die Widerstande waren ja nicht unbeträchtlich. Man hat ja lange den Frauen Kompetenz in dem Bereich abgesprochen, gesagt, wer nicht gedient hat, der kann ja auch nicht wissen, was Sicherheitspolitik ist. Und in Zeiten des Kalten Krieges war der große Bereich des Raketenzählertums doch sehr noch auf die Männer beschränkt. Das Zweite ist, dass es natürlich genau auch immer ein Grund ist, warum man ein Verteidigungsministerium nicht mit jemandem besetzt, oder sagen wir so, es ist am einfachsten, Kompetenzen abzusprechen, kommt ja auch jetzt, was versteht die Frau tatsächlich von Verteidigungspolitik.
Und dann kommt ja gerne mal, war die überhaupt in der Bundeswehr, wissen wir, ist auch nicht so lange her, dass Frauen in der Bundeswehr sind. Das Argument ist auch nicht besonders stichhaltig, aber da können wir später noch mal drauf kommen. Und das Dritte ist, man braucht für solche Dinge auch Mentoren. Es hat bislang einfach keine Kanzler gegeben, die fanden, dass man so eine Personalie mal anders besetzen kann. Jetzt haben wir eine Kanzlerin, die das findet, und eine Frau, die in dieses Ministerium passt, das hat sich gut gefügt.
Hanselmann: Und das bewerten Sie, wie ich dem entnehme, positiv?
Tempel: Ich finde es aus zwei Gründen positiv, erstens ist es wirklich ein Signal, weil es gut ist, wenn man sagt, das kann man. Nicht, weil es eine Frau ist, das wird ja dann ganz gerne immer mal gesagt, jetzt kommt die neue Denke und als Mutter ist sie natürlich auch gegen den Krieg. Ich hoffe ja doch auch, dass es Väter ab und an auch sind und, dass wir, egal ob Mutter oder nicht Mutter, ob Vater oder nicht Vater, gute Gründe finden, wenn es schon bewaffnete Auseinandersetzungen geben muss , aber ich glaube, sie ist auch enorm geeignet, weil es nicht darauf ankommt, ob sie gedient hat oder nicht, sondern weil es darauf ankommt, ob sie ein ganz schwieriges, sehr komplexes Haus führen kann, in dem es erst mal von Beamtenseite gern mal darum geht, einem Minister zu sagen, was alles nicht geht.
Und ich glaube, Frau von der Leyen, da haben wir alle keine Zweifel, hat Durchsetzungsvermögen, sie ist konsequent, sie kann zuhören, sie kann auf Leute zugehen, das ist etwas, was der Bundeswehr sehr guttun wird, und ich halte sie für sehr kompetent für dieses Ministerium, finde ich sehr erfreulich, ja.
Peter Struck war auch kein Experte
Hanselmann: Zum Thema Kompetenz: Wir haben vorhin eine Diskussion gehabt in unserer Debatte hier, in Deutschlandradio Kultur, wie jeden Tag zu einem aktuellen Thema. Es sind zum Beispiel zwei Meinungen gekommen von Männern, als Verteidigungsministerin halte ich sie für völlig deplatziert, nicht aufgrund ihres Geschlechts, wir leben ja im 21. Jahrhundert, aber aufgrund ihrer Kompetenz für diesen ohnehin sehr exponierten und diffizilen Aufgabenbereich, die eine Meinung.
Die andere, von einem Herrn Helmut: Als ich meiner Frau heute Morgen mitteilte, dass Frau von der Leyen nun das Verteidigungsministerium innehat, lachte sie laut auf, weil sie dachte, ich mache einen guten Witz. Das spiegelt ja etwas wider, das ist ja sicherlich ein Teil der Stimmung, die in dem Land auch herrscht. Oder, wie Frau von der Leyen gestern bei Günter Jauch auf die Frage, was sie denn davon verstünde, mit welchen Vorkenntnissen sie denn käme, sie klipp und klar gesagt hat, ich habe noch keine Ahnung.
Tempel: Ja, das ist doch sehr ehrlich!
Hanselmann: Das kann man sich bei einem Mann gar nicht vorstellen, oder?
Tempel: Ja. Und das heißt ja nicht, dass er es dann danach besser macht, wenn er nicht zugibt, dass er keine Ahnung hat, weil, er wird sich diese Ahnung genau wie alle anderen erarbeiten müssen. Nun gibt es auch für das Verteidigungsministerium keine ewigen Weisheiten, denn nichts hat sich so sehr verändert wie die Sicherheitspolitik, nichts hat sich so verändert wie die Aufgaben, die die Bundeswehr jetzt hat. Und am Ende geht es immer darum, ein großes Haus mit sehr vielen Beamten, das ein bisschen zweigeteilt ist zwischen tatsächlich der Politik, dem Politischen und dem Militärischen, gut zu führen, so.
Wenn Sie jetzt in der Lage sind, mir einen Verteidigungsminister in den vergangenen Jahren zu nennen, der das über seine gesamte Amtszeit ausgehalten hat und durchgehalten hat im Bundesverteidigungsministerium, dann sind Sie schon gut. Der erste, der das war, oder einer, der das Haus wirklich sehr gut geführt hat, ist Peter Struck. Er hatte keine Ahnung vom Militärischen, als er dort angetreten ist, und wenn Sie Leute heute fragen, dann sind sie immer noch voll des Lobes für Peter Struck.
Das, was natürlich kommt jetzt, ist, sie hat keine Ahnung, was weiß sie von Sicherheitspolitik. Das ist keine Geheimwissenschaft, in die kann man sich einarbeiten, und wie gesagt, man muss keine Waffe in der Hand gehalten haben, um zu wissen, wie man dieses Haus führt. Aber man muss zuhören können und man muss wissen können, worauf es in diesem Haus ankommt. Und dann kann man sich auch da einarbeiten.
Hanselmann: Und apropos Waffen in der Hand: Gregor Gysi sagte gestern Abend auch bei Günter Jauch, er wünsche sich, dass Frau von der Leyen eine Antikriegsministerin würde, sie habe schließlich sieben Kinder und keine Mutter schickt ihre Kinder gerne in den Krieg.
Tempel: Ich muss über solche Sachen immer lachen. Erstens finde ich es irgendwie ganz besonders charmant, wenn es von Gregor Gysi kommt, weil die DDR ja auch ein äußerlich pazifistischer Laden war, der aber nichts dabei fand, einen Einmarsch in der Tschechoslowakei zu unterstützen, so viel zum Pazifismus. Grenze war jetzt auch nicht so pazifistisch, möchte man mal sagen.
Das finde ich schon immer charmant. Das Zweite ist das Argument mit den sieben Kindern. Erstens, es kommt nicht darauf an, ob man Mutter ist oder nicht Mutter ist, es kommt auch nicht darauf an, ob man Vater ist oder nicht Vater ist. Für bewaffnete Auseinandersetzungen müssen in einer demokratischen Gesellschaft, die, wie wir es jetzt inzwischen wissen, postheroisch ist, wir wollen alle keine Helden mehr sein. Dieses Ehrenhafte, was jetzt, 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, noch eine Rolle spielt, das haben wir Gott sei Dank hinter uns gelassen.
Mutter oder nicht Mutter, es muss sehr gute Gründe geben, um an einen bewaffneten Konflikt sich zu beteiligen. Das macht eine Mutter im Zweifelsfall nicht besser als eine Nichtmutter. Ich hoffe doch, dass eine Nichtmutter genauso gute Gründe finden muss, wenn sie jemand findet. Abgesehen davon ist ein Verteidigungsministerium, kann kein Antikriegsministerium sein. Wir müssen uns – und das ist etwas, was in Deutschland doch auch fehlt – wirklich intensiver mit den Fragen auseinandersetzen, wo und unter welchen Umständen und als allerletztes Mittel ist bewaffnete Gewalt manchmal angebracht?
Frauen sind besonders stark beteiligt an Sicherheitspoltik
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, ich spreche mit der Politikwissenschaftlerin und Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik" Sylke Tempel über Frauen in der Sicherheitspolitik, denn wir werden die erste Verteidigungsministerin in Deutschland haben, Ursula von der Leyen. Sie haben es eben angedeutet, Sicherheitspolitik habe sich geändert. Und da habe sich auch im Sinne von mehr Frauen in der Sicherheitspolitik oder Möglichkeiten für Frauen in der Sicherheitspolitik verändert. Was hat sich denn da geändert?
Tempel: Ich gebe Ihnen mal drei Beispiele: Das erste ist, Frauen sind tatsächlich beteiligter an Sicherheitspolitik, und da müssen wir immer darauf achten, dass wir das nicht so sehr auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede runterbrechen. Denn es geht nicht darum, dass Frauen Dinge anders anpacken und unter Umständen konsensfähiger sind oder so, ich kenne auch viele nicht konsensfähige Frauen. Es geht darum, dass sie die Newcomer sind. Sie sind diejenigen, die als Neulinge auf etwas gucken, was eigentlich sehr lange Bereich war von einer ganz kleinen Gruppe von Leuten, und das tut immer gut. Neue Ideen von außen können eigentlich nur gut wirken.
Das Zweite ist: Konflikte sind komplexer geworden. Sie finden nicht mehr zwischen zwei Armeen statt, sondern sie finden in zivilen Umgebungen statt und dort sind in vielerlei Hinsicht Frauen betroffen. Es hat sich in Afghanistan als äußerst gut herausgestellt, dass wir Frauen in der Bundeswehr haben, weil es bestimmte Situationen gibt, in denen dürfen Männer gar nicht auftauchen. Also nicht nur als Vermittler, sondern auch durchaus in einer prekären militärischen Situation oder wenn es darum geht, eine Hausdurchsuchung zu machen und jetzt muss man in die Frauenräume rein. Da können Sie keinen westlichen Mann reinschicken. Das sind nur kleine Beispiele.
Das Dritte ist: Frauen sind in diesen sogenannten asymmetrischen Konflikten in einer viel größeren, viel schrecklicheren Weise auch Opfer von Kriegen. Gucken Sie in den Kongo, es sind Hunderttausende von Vergewaltigungen dort passiert. Asymmetrische Kriege betreffen in erster Linie die Zivilbevölkerung und dort sind die Schwächsten die Frauen und die Kinder. Und das muss dann hinterher auch – und das wäre noch ein vierter Punkt – in Konfliktresolutionen, also wenn es darum geht, Konflikte zu befrieden, auch mit berücksichtigt werden. Und es gibt eine ganze Menge Studien, die davon ausgehen, dass es gar nicht so ganz schlecht ist, wenn Frauen dort mit beteiligt sind, weil sie eben sehr viel stärker als die Männer auch mit im Hinterkopf haben, dass Frauen, wie Frauen Opfer von Konflikt sind, aber auch, wie man sie einbeziehen muss, um Strukturen zu ändern.
Und wenn es damit anfängt, Söhne anders zu erziehen, wenn es damit anfängt, der Familie wieder einen Rückhalt zu geben, wenn es damit anfängt, Kämpfer zum Beispiel in Rebellentruppen oder in Milizen wieder zu integrieren. Das sind alles ganz wichtige Punkte und da sind, glaube ich, Frauen ganz praktisch und gut verwendbar.
Mehr Anerkennung für die Bundeswehr
Hanselmann: Die Bundeswehr ist ja viele Jahre lang sozusagen neben unserer Gesellschaft hermarschiert, im wahrsten Sinne des Wortes. Und die Bundeswehr-Verantwortlichen wünschten sich immer wieder auch wirklich, dass die Bundeswehr als Teil der Bevölkerung gesehen wird, als Teil der Gesellschaft, als Bundeswehr des Volkes. Trauen Sie Frau von der Leyen zu, dass sie auch an dieser Stelle etwas verändert?
Tempel: Ich glaube, sie ist, und das hat man gestern so ein bisschen bei ihrem ersten Interview oder ihrer ersten Talkrunde wohl gesehen, sie ist jemand, der gut vermitteln und gut kommunizieren kann, sonst hätte man so schwierige Ministerien, wie sie sie bislang ja auch hatte, auch nicht führen können. Wir haben keine allzu großen Klagen aus den Ministerien geholt. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, den Sie gerade nennen. Die Bundeswehr hat einen zehnjährigen Einsatz in Afghanistan gefahren und dort sehr gute Arbeit, auch Aufbauarbeit geleistet. Sie fährt einen sehr erfolgreichen Einsatz an der Küste von Somalia mit der Atalanta-Mission. Und das wird hier in der Bevölkerung kaum wahrgenommen, es wird nicht wahrgenommen, das muss ich jetzt mal so sagen, welche Opfer dort gebracht werden.
Es sind Leute, die ihr Leben aufs Spiel setzen, unser Parlament hat sie dort hingeschickt, das heißt, unsere demokratisch gewählten Vertreter. Sie haben ein Recht darauf, wahrgenommen zu werden, sie sind ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft. Und ich traue es Frau von der Leyen schon zu, dass sie den richtigen Ton findet, um das zu vermitteln, weil es eben dann was Postheroisches hat. Wir sind empfindlich geworden, amusikalisch, was das betrifft, aus gutem Grund. Wir haben da eine ziemlich schreckliche Geschichte. Aber trotzdem sozusagen unsere Soldaten zu ehren, ohne dass man da in diesen Ehrenkult verfällt, ist eine wichtige Aufgabe, und ich glaube, das wird sie ganz gut machen.
Hanselmann: Sylke Tempel, Politikwissenschaftlerin, Präsidentin vom WIIS, Women in International Security, und nebenbei bemerkt auch Autorin von vielen klugen Büchern.
Tempel: Danke!
Hanselmann: … schön, dass Sie bei uns waren!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema