Verteidigung der Selbstoptimierung

Sich zu verbessern, ist elementar

Eine Frau trägt Fitness-Armbänder, die zum Beispiel Herzfrequenz, Kalorienverbrauch oder Schrittzahl messen.
Höher, schneller, weiter: Wie wir uns optimieren, kann jeder selbst entscheiden, meint Enno Park. © picture alliance / dpa / Michel Winde
Von Enno Park · 03.01.2017
"Selbstoptimierung" - schon die Endung dieses Worts fordert auf, es als künstlich abzulehnen. Doch der Autor und Journalist Enno Park findet das gar nicht. Er sagt: Das ständige Bemühen um Verbesserung und Selbstverbesserung gehört zum Kern des menschlichen Fortschritts.
Selbstoptimierung ist vielen suspekt. Wenn schon in der Arbeitswelt alles streng durchoptimiert ist, brauchen wir dann zusätzlich noch privat eine weitere Tretmühle aus Schrittzählern und Pulsmessern? Werden wir zu Sklaven unserer Daten, unterworfen von Algorithmen, die unseren Alltag strukturieren? Droht gar ein neues puritanisches Zeitalter der Verhaltensvorschriften? Und wie viele Pillen werfen wir nur ein, um im kapitalistischen Rattenrennen mithalten zu können?

Hinter der Selbstoptimierung steckt ein altes Ideal

Hinter solchen Fragen steckt legitime Kritik an der Selbstoptimierung, allerdings vergessen die Kritiker dabei, dass hinter der Selbstoptimierung ein altes Ideal steckt: Das Ideal der körperlichen und geistigen Bildung. Selbstverständlich gehen Kinder zur Schule und wer es es sich leisten kann schickt sie überdies noch zu Klavier- und Ballettunterricht. Darauf folgt dann lebenslanges Lernen und wenig scheint so erstrebenswert wie gute Gesundheit und ein langes Leben. Wer Kopfschmerzen hat, nimmt ganz selbstverständlich eine Pille dagegen. Ganze Branchen leben von Yoga und Meditation und niemand käme auf die Idee, das als Selbstoptimierung zu kritisieren. Wir suchen uns aus, wobei wir mitmachen wollen und wobei lieber nicht. Warum also finden wir es dann jemanden suspekt, der mit umgeschnalltem Schrittzähler durch den Wald joggt?

Sehnsucht nach einem natürlichen Urzustand

Aufklärung ist – so Immanuel Kant – der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Und nichts anderes als Aufklärung ist es, Daten über sich selbst zu sammeln und daraus Schlüsse für das eigene Handeln zu ziehen. Warum also dieses Unwohlsein an der Selbstoptimierung des Menschen? Ist es Technikfeindlichkeit und die Sehnsucht nach einem natürlichen Urzustand? Ist es der Stress, sich um noch mehr Dinge kümmern zu müssen? Oder steckt dahinter die Furcht, nicht mehr mithalten zu können und doch mitmachen zu müssen? Dabei läge es an uns, einen entspannten Umgang mit der Technik zu lernen. Wer nicht bei jedem Klingeln sofort ans Telefon geht oder jede Nachricht sofort liest, braucht später auch keine digitale Fastenkur.

Wir bewundern trainierende Menschen

Den Spitzensportler und den musikalischen Virtuosen bewundern wir – beides Menschen, die sich in lebenslangem Training selbst optimiert haben. Und doch ist uns klar, dass nicht alle Menschen Spitzensportler oder Musikvirtuosen werden können. Das sollte aber niemanden daran hindern, Sport zu treiben oder ein Instrument zu erlernen. Nicht anders sieht es mit den neuen technischen Möglichkeiten der Selbstoptimierung aus. Der Unterschied zwischen digitalem Schrittzähler und der Kalorientabelle mit Papier und Bleistift ist lediglich, sich von technischen Helferlein unterstützen zu lassen.
Die Frage ist am Ende: Wofür wollen wir uns optimieren und was ist eigentlich das Optimum? Darauf gibt es keine Antwort – oder so viele Antworten wie es Menschen gibt. Manche wollen gesund und fit sein. Andere überwachen Körperwerte, um den Eisprung berechnen zu lassen, was eine Empfängnisverhütung ohne Hormoncocktails ermöglicht. Und wieder andere implantieren sich Magnetpiercings in die Fingerkuppe, um einen zusätzlichen Sinn für die allgegenwärtigen elektromagnetischen Felder zu gewinnen.

Selbstoptimierung sollte man fördern

Wichtig ist nur, dass hieraus keine Zwänge entstehen. Oder dass so gesammelte Daten nicht missbraucht werden. Noch ist es beispielsweise den gesetzlichen Krankenkassen verboten, Gesundheitsdaten zu erheben um von vermeintlich ungesund lebenden Menschen höhere Tarife zu verlangen. Das kann sich schnell ändern. Hier liegen die eigentlichen Gefahren, die Gesellschaft und Gesetzgeber diskutieren müssen. Die Menschen aber sollten wir nicht daran hindern, an sich zu arbeiten. Im Gegenteil: Vielleicht sollten wir darüber reden, welche Formen der Selbstoptimierung wir sogar fördern sollten – wie heute schon Sport und Bildung.

Enno Park ist Journalist und Wirtschaftsinformatiker. Er beschäftigt sich mit den Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Gesellschaft bis hin zur Verschmelzung von Mensch und Maschine. Seit er Cochlea-Implantate trägt, bezeichnet er sich selbst als Cyborg und ist einer der Gründer des Cyborgs e.V. in Berlin.

© Deutschlandradio / Cara Wuchold
Am 2. Januar 2017 geißelte Felix Klopotek im Politischen Feuilleton die Selbstoptimierung als eine Dauerbeschäftigung mit uns selbst, die nur schade: "Immer besser geht nicht gut"
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