Versorgung

"Rente mit 63" ist ein Zukunftsproblem

Moderation: Nana Brink · 03.04.2014
SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles hat ein Ziel fest im Auge: die Rente mit 63. Doch die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sieht darin nur eine Last für die junge Generation.
Nana Brink: Nach dem Mindestlohn – der ist ja nun durch – hat SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles ein Ziel im Auge: die Rente mit 63, und das bitte schön schnell! Schon im Juli soll, wer mindestens 45 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt hat, ohne Abschläge mit 63 in Ruhestand gehen können. Bisher gab es ja nur eine Rente für besonders langjährig Versicherte ab 65. Widerstand regt sich vor allen Dingen bei den Spitzenverbänden der Wirtschaft und beim CDU/CSU-Mittelstandsverein, sie fürchtet eine Frühverrentung. Also, die Koalitionspartner sind sich durchaus uneins, wenn heute im Bundestag über die Rente mit 63 debattiert wird. Dabei sind sicher auch die Grünen, für die diese Regelung ebenfalls ein falsches Signal ist. Katrin Göring-Eckardt ist Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, schönen guten Morgen!
Katrin Göring-Eckardt: Schönen guten Morgen, ich grüße Sie!
Brink: Warum sind Sie gegen die Pläne der großen Koalition für eine Rente mit 63?
Göring-Eckardt: Ja, auf der einen Seite gönnt man das natürlich jedem, der lange und hart gearbeitet hat. Auf der anderen Seite muss man wissen: Das betrifft nur ganz wenige, letzten Endes nur ganz wenige Jahrgänge, die tatsächlich in diesen Genuss kommen. Und wer älter ist und wer jünger ist, hat nichts davon. Vor allen Dingen ist es, glaube ich, die falsche Priorität. Wenn man sich mal anschaut, was müsste man eigentlich in dieser Zeit in der Rentenversicherung verändern, dann würde mir zuerst einfallen, dass man die Altersarmut bekämpfen muss. Und das trifft die Rente mit 63 in keiner Weise. Von Altersarmut betroffen sein werden vor allen Dingen Frauen aus Westdeutschland, die Kinder erzogen haben, wo es keine Kinderbetreuungsmöglichkeiten gab, die also gar nicht arbeiten konnten, die niemals auf diese 43 Jahre kommen und denen leider eben auch die Mütterrente dabei nicht hilft, die aus unserer Sicht falsch finanziert ist.
Brink: Aber bleiben wir noch mal bei der Rente, weil Sie gesagt haben, es trifft viele Frauen nicht: Nun muss man ja sehen: Gerade Arbeitsministerin Andrea Nahles hat ja gesagt, Zeiten von Kindererziehung, Pflege, Weiterbildung sowie Arbeitslosigkeit sollen angerechnet werden, auch Minijobs. Das trifft schon mehr Leute, ungefähr ein Viertel!
Göring-Eckardt: Richtig, und trotzdem trifft es nur wenige Jahrgänge. Das ist ja der Punkt. Danach geht das …
Brink: Warum gönnen Sie denen das nicht?
Göring-Eckardt: Ich habe ja schon gesagt, ich gönne denen das sehr. Ich sage nur, das ist aus meiner Sicht nicht die richtige Priorität, dass man für diejenigen, die eh eine relativ gute Rente haben, jetzt als Erstes sagt, die kriegen die Rente mit 63. Die Leute, die jünger sind, die werden wieder bis 67 arbeiten müssen, das ist dann selbstverständlich, die bezahlen das im Übrigen auch. Das hat also auch mit Generationengerechtigkeit nichts zu tun. Wir werden eine Frühverrentungswelle haben, statt dass wir in den Ruhestand flexible Übergänge haben, dass man teils arbeiten kann, dass man teils schon in Rente ist. Wir werden eine Situation haben, wo Leute, die wirklich auf Hilfe angewiesen sind, mit einer Erwerbsminderungsrente abgespeist werden, die gerade mal zehn Prozent der Summe ausmacht, über die wir hier reden. Also, die meisten, die heute in Erwerbsminderungsrenten sind, die kriegen gerade mal 600 Euro. Das ist unter dem Existenzminimum. Dann kriegen sie da noch 40 dazu, dann ist es immer noch nicht drüber. Und das betrifft aber auch nur diejenigen, die nach dem 1. Juli in Rente gehen. Also, ich hätte gesagt, Altersarmut bekämpfen, denen, die Erwerbsminderung brauchen, was wirklich oben drauf geben, weil: Die haben echt gearbeitet, bis sie nicht mehr konnten, bis sie krank waren und nicht mehr weiterkonnten. Und ich finde, die haben Priorität.
"Soziales Gewissen der Grünen ist bei den Ärmsten"
Brink: Ja, aber das haben viele ja auch, die dann mit 63 in Rente gehen und 45 Jahre gearbeitet haben. Was ich nicht verstehe, ist: Man kann ja das eine tun und muss das andere nicht lassen. Also, man kann auf der einen Seite denen die Rente gönnen und natürlich für Altersarmut sorgen. Wo ist denn da das soziale Gewissen der Grünen?
Göring-Eckardt: Das soziale Gewissen ist genau bei denen, denen es am schlechtesten geht. Und man muss ja, wenn man sagt, man gibt 160 Milliarden Euro aus und dann bleibt für die Erwerbsgeminderten gerade mal zehn Prozent übrig, dann bleibt für die Bekämpfung der Altersarmut bei den Frauen gar nichts übrig. Denen hilft es nämlich auch nichts, dass Zeiten angerechnet werden, weil die weit darunter liegen. Dann sage ich: Da muss eine Garantierente her, da müssen flexible Übergänge her, und das wäre meine Priorität. Und wenn man sich dieses Paket anguckt mit den 160 Milliarden, dann sagt die Regierung ja heute schon: Das werden wir in Zukunft nicht mehr aus der Rentenversicherung bezahlen können. Heute nimmt man das aus den Reserven und verschiebt damit ein riesiges Problem in die Zukunft.
Und die Zukunft ist nicht so weit hin, das ist das Jahr 2018. Dann wird es neue Reformen geben müssen, dann wird man in der Rentenversicherung dastehen und nichts mehr haben, um denen, die etwas jünger sind, auch weiterzuhelfen, und dann wird man die Steuermittel erhöhen müssen. Und das ist eine Situation, wo ich sage: Da hat man sehr kurz gedacht, hat an eine kleine Gruppe gedacht und hat an diejenigen, die wirklich Hilfe brauchen, das Gerechtigkeitsauge dann plötzlich ausgeschaltet.
Brink: Aber man hat ja trotzdem ein bisschen weiter gedacht, denn es gibt ja den Vorschlag aus der Union – apropos Frühverrentung, Sie haben es angesprochen: Für Rentner über 65, die wieder arbeiten wollen, und das sind ja viele in unserer Gesellschaft, müssen Unternehmen keine Beiträge mehr abführen. Das wäre dann doch in Ihrem Sinne eine clevere Idee?
Göring-Eckardt: Ja, das ist keine clevere Idee, weil das vielleicht den Unternehmen hilft, aber nicht den Leuten. Die brauchen ja viel mehr flexible Übergänge.
Brink: Wieso hilft das den Rentnern nicht, wenn man mit über 65 arbeiten möchte und die Chance hat, eingestellt zu werden?
Göring-Eckardt: Den Unternehmen hilft es ja, wenn sie dann keine Rentenbeiträge bezahlen müssen, was ich übrigens falsch finde in der Sache. Weil, wenn die keine Rentenbeiträge bezahlen, dann fehlt wieder weiteres Geld in der Rentenversicherung. Und insofern ist das ziemlich einseitig gedacht. Aber es hilft den Leuten nicht, die gar nicht sagen, ich möchte unbedingt mit über 65 arbeiten, sondern die vielleicht eher in der Situation sind, wo sie noch was dazuverdienen müssen. Und denen müsste man sagen können: Ihr könnt teilweise arbeiten, ihr könnt teilweise in Rente gehen, dafür gibt es eine anständige, eine gute Finanzierung, das machen wir flexibel und nicht so starr, wie das jetzt ist. Ich glaube, das hilft noch mal denen, die wirklich Hilfe brauchen, eben leider gar nicht.
Brink: Aber es wäre doch ein Anreiz für Unternehmen, Leute über 65, die – wie Sie sicher sagen – es nötig haben zu arbeiten, die dann auch einzustellen!
Göring-Eckardt: Der Anreiz, der würde für meine Begriffe dann geschaffen, wenn man die Unternehmen in die Pflicht nimmt, auch tatsächlich für so was wie eine Kultur der Altersarbeit zu sorgen. Wenn man die Gewerkschaften in die Pflicht nimmt dafür zu sorgen, dass sich Arbeitsbedingungen gerade für Ältere auch verbessern. Und dieser Anreiz zu sagen: Da zahlt man keine Sozialversicherungsbeiträge, ist nicht die Möglichkeit, die den Leuten wirklich hilft. Das hilft dann den Unternehmen, die haben dann günstige Arbeitskräfte über 65, aber es hilft eben den Leuten nicht, die dann auch wieder schuften müssen, weil sie eben so eine niedrige Rente haben, dass ihnen die 63er-Regelung nicht hilft.
Brink: Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, schönen Dank für das Gespräch! Und der Bundestag debattiert heute über den Gesetzesvorschlag zur Rente mit 63.
Göring-Eckardt: Ich bedanke mich auch, wünsche einen schönen Tag!
Brink: Ja, danke, tschüss! Schönen Tag für Sie!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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