Versöhnungswerk aus christlichem Impuls

09.04.2008
Vor 50 Jahren wurde die Aktion Sühnezeichen gegründet, um ein Zeichen der Versöhnung in den Ländern zu setzen, in denen die Deutschen im Zweiten Weltkrieg besonders schweres Leid angerichtet hatten. Gabriele Kammerer liefert nun einen Überblick über die Geschichte der Organisation und berichtet damit über ein wichtiges Kapitel Zeitgeschichte und Kirchenpolitik im Nachkriegsdeutschland.
"Aktion Sühnezeichen Friedensdienste" ist eine Friedensorganisation der besonderen Art, darauf deutet schon der Name hin. Als Deutsche ein Zeichen der Sühne setzen, Verantwortung für deutsche Kriegsschuld im Zweiten Weltkrieg setzen, das war die treibende Motivation für die Gründung von Aktion Sühnezeichen. Aktion Sühnezeichen Friedensdienste feiert in diesem Jahr 50-jähriges Bestehen. Rechtzeitig zum Datum der Gründungserklärung am 30. April 1958 ist nun die erste gründliche Geschichte der Aktion erschienen: Gabriele Kammerer hat unter dem Titel "Aber man kann es einfach tun" die Archive durchforstet.

Bisherige Untersuchungen beschäftigten sich vor allem mit dem charismatischen Gründer Lothar Kreyssig. Aktion Sühnezeichen ging auf seine private Initiative zurück. Am 30. April 1958 stellte er vor der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, deren Mitglied der Jurist war, seine Idee eines Versöhnungsdienstes in den Ländern vor, die besonders unter deutschen Verwüstungen während des Zweiten Weltkrieges zu leiden hatten. Frieden komme nur durch Versöhnung, und Versöhnung sei nichts Abstraktes, sondern aktives Handeln.

"Des zum Zeichen bitten wir die Völker, die Gewalt von uns erlitten haben, dass sie uns erlauben, mit unseren Händen und mit unseren Mitteln in ihrem Land etwas Gutes zu tun, ein Dorf, eine Siedlung, eine Kirche, ein Krankenhaus oder was sie sonst Gemeinnütziges wollen, als Versöhnungszeichen zu errichten."
Gabriele Kammerer stellt in ihrem Buch die Entwicklung dieses Versöhnungsdienstes vor. Entstanden ist es in enger Kooperation mit der jetzigen Geschäftsleitung von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, ohne denen allerdings nach dem Mund zu reden oder eine kritiklose Heldengeschichte zu betreiben.

Kammerer schreibt mit deutlicher Sympathie, aber auch, gestützt durch immenses Archivmaterial, das sie gesichtet hat, mit kritischer Distanz und dem Willen, liebgewordene Legenden auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. So zum Beispiel war die Vorstellung des Projekts bei der EKD-Synode Ergebnis langer Vorbereitung. Auch der Erfolg mit der Unterzeichnung durch eine deutliche Synodenmehrheit brauchte länger als nur einen überwältigten Tag.

Der Widerstreit zwischen Spontaneität und sorgfältiger Planung bestimmte vor allem die ersten Jahrzehnte der Aktion: Die Navigation zwischen ehemaligen Kriegsgegnern, zutiefst misstrauischen und verletzten Menschen, deutschen Regierungen in Ost und West und auch innerhalb der Kirchenstrukturen, aus denen vor allem die Anschubfinanzierung kommen musste, war schwierig und verlangte sorgfältige Planung. Gleichzeitig schob Lothar Kreyssig sein Werk unermüdlich an und scheute nicht vor höchstens halb geplanten und finanzierten Aktionen zurück, um nur die ersten Freiwilligen auf den Weg zu praktischer Versöhnungsarbeit zu schicken.

Die Autorin rekonstruiert aus Akten und Aufzeichnungen von Teilnehmern das wahrscheinlich nur im Rückblick amüsant anmutende Chaos, dem die jungen Botschafter aus einem zwischen Kriegsschuld, Verdrängung, kaltem Krieg und Wirtschaftswunder lavierenden Deutschland bei ihren ersten Einsätzen in Holland und Norwegen ausgesetzt waren.

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste verstand sich immer als ein Versöhnungswerk aus christlichem Impuls. Und schon immer war dieser Punkt unter den Teilnehmern besonders umstritten. Bisher war gängige Meinung, dass Aktion Sühnezeichen mit der deutsch-deutschen Teilung zerfiel in eine ostdeutsche Gruppe, die den spirituellen Impulsen des Gründers verbunden blieb, und einen westdeutschen Teil, der sich immer mehr einer pragmatisch begründeten allgemeinen Friedenspolitik annäherte und deswegen auch Mitte der 60er Jahre den Namen der Organisation mit "Friedensdienste" ergänzte.

Auch hier betreibt Gabriele Kammerer aktive Entmythologisierung: schon in den ersten Freiwilligengruppen Ende der 50er gab es Teilnehmer, denen die damals üblichen täglichen Andachten gegen den Strich gingen. Um das christliche Profil musste Aktion Sühnezeichen Zeit seines Bestehens ringen.

Die Debatten ziehen sich bis in die Gegenwart. Aktion Sühnezeichen hat sich schwergetan mit der deutschen Wiedervereinigung. Die besondere Solidarität mit Israel ist im Gefolge der Golfkriege deutlich auf die Probe gestellt worden.

Zwei entscheidende Wesenszüge arbeitet Gabriele Kammerer heraus, die sich in den 50 Jahren des Bestehens erhalten haben: zum einen die Überzeugung, dass die Folgen des Nationalsozialismus weiter wirksam sind und der aktiven Auseinandersetzung bedürfen. Zum anderen die Notwendigkeit, für Versöhnung auch wirklich aktiv einzutreten und zu handeln. Was sich von den ersten abenteuerlichen Aufbauarbeiten in kriegszerstörten Ländern zu einem modernen Freiwilligendienst gewandelt hat, beschrieb der Gründer Lothar Kreyssig einst so:

"Das Gesetz, nach dem wir angetreten, ist der Primat der Tat."

Gabriele Kammerer schreibt mit ihrer unbedingt lesenswerten Darstellung von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste auch ein wichtiges Kapitel Zeitgeschichte und Kirchenpolitik im geteilten und wiedervereinigten Nachkriegsdeutschland.

Rezensiert von Kirsten Dietrich

Gabriele Kammerer: Aktion Sühnezeichen Friedensdienste - Aber man kann es einfach tun
Lamuv Verlag 2008
272 S., 24,90 Euro