Versachlichung der Diskussion über das Netz

16.10.2012
Das Internet sorgt für Debatten mit zum Teil kulturkampfartigen Zügen. Hier leisten Kathrin Passig und Sascha Lobo mit ihrem Buch "Internet – Segen oder Fluch" Vermittlungsarbeit. Ganz ohne Polemik erörtern sie die zentralen Streitpunkte und räumen mit einigen Mythen auf.
Es gibt tatsächlich Menschen, die leiden am Internet. "Wir ahnen gar nicht, was wir uns damit aufgehalst haben", klagte kürzlich auf einer Konferenz ein Professor für Mediengestaltung – obwohl von Seiten der Wissenschaft deutlich mehr Gelassenheit zu erwarten gewesen wäre. Genau solchen Skeptikern kann das neue Buch von Kathrin Passig und Sascha Lobo dabei helfen, die schlimmsten Ängste zu lindern. Doch auch Technikoptimisten kann man es empfehlen. Denn anders als die vielen aktuellen Publikationen, die aus dem Nachdenken über Wohl und Wehe digitaler Technologien einen Glaubenskrieg machen, wollen Lobo und Passig mit "Internet – Segen oder Fluch" Vermittlungsarbeit leisten und oft fruchtlose Debatten auf eine neue Stufe heben.

Die Idee geht auf. Auch wenn der gewohnt ironische Unterton der Autoren manch einen nerven mag und auch wenn man am Ende noch immer nicht weiß, wohin das nun führt "mit diesem Internet": Dem Buch gelingt es zumindest, die Diskussion über das Netz wohltuend zu versachlichen. Das überrascht. Gerade bei Lobo und Passig, die in der Szene als Berater und Autoren einen Namen haben, hätte Technikeuphorie durchaus nahe gelegen. Darauf haben sie aber komplett verzichtet. Stattdessen nehmen sie sich die wichtigsten Streitpunkte rund ums Internet vor – Schutz der Privatsphäre, Urheberrecht oder Überforderung durch die digitale Datenflut –, vergleichen sie mit Technikdebatten aus früheren Jahrhunderten und räumen mit einigen hartnäckigen Mythen auf. Etwa dem, dass Andersdenkende einfach nur keine Ahnung haben: Hätten sie nur die richtigen Informationen, würden sie rasch zum Optimisten oder Pessimisten konvertieren – je nach Ausgangslage. Diese Annahme jedoch ist falsch. Solche polemischen Argumente dienen meist den eigenen Interessen, zeigen Lobo und Passig – und plädieren dafür, genau hinzuschauen. Jede Technologie hat Gewinner und Verlierer, ebenso, wie sie Lösungen hervorbringt, die gleichzeitig neue Herausforderungen enthalten. Nur wer das berücksichtigt, kommt weiter in der Diskussion.

Zum Teil bekannt, aber dennoch äußerst unterhaltsam, sind die Beispiele, die zeigen, wie sehr wir es heute mit einer Neuauflage alter Probleme zu tun haben. Phänomene wie "Beschleunigung" oder "Informationsüberflutung" werden schon seit langer Zeit diskutiert (und vieles spricht dafür, dass dies so bleibt). Schon im 14. Jahrhundert gab es Klagen über den Buchmarkt, weil nun jeder alles schreiben konnte, was er wollte. Der Buchdruck wurde als zu hektisch kritisiert, und später sorgte man sich um die physische Unversehrtheit wegen des aufkommenden Autoverkehrs: Probleme, nach denen sich heute manch einer zurücksehnt.

Bleibt die Frage, worüber man jetzt noch diskutieren soll, wo doch alles schon mal da war und jeder aus seiner Sicht Recht hat. Hier halten sich Sascha Lobo und Kathrin Passig mit einer Antwort zurück. Nur vereinzelt geben sie wage Anregungen etwa zu Datenschutz oder zum Urheberrecht. Sie sehen ihr Buch zuallererst als eine Gebrauchsanweisung für die Diskussion – die Antworten auf die wichtigen Fragen müssen andere finden.

Besprochen von Vera Linß

Kathrin Passig, Sascha Lobo: Internet – Segen oder Fluch.
Rowohlt Berlin 2012, 304 Seiten, 19,99 Euro
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