Verrat an der Meinungsfreiheit

Von Matthias Küntzel · 05.09.2012
Die Frankfurter Buchmesse trägt eine gesellschaftliche Verantwortung, meint der Politologe Matthias Küntzel. Es sei daher völlig unverständlich, dass die Veranstalter dem iranischen Zensurregime eine Plattform gewähren.
Wenn in wenigen Wochen die größte Buchmesse der Welt in Frankfurt ihre Tore öffnet, wird sich ein Land besonders selbstbewusst präsentieren: die Islamische Republik Iran. Ausgerechnet! Iran ist das Land mit der höchsten Quote inhaftierter Journalisten weltweit. Teheran verbietet Zeitungen, schließt Galerien, verhaftet Kritiker und lässt Künstler auspeitschen. Tausende Buchmanuskripte liegen im "Ministerium für Kultur und islamische Führung" und scheitern an der Zensur. "Wir können den Buchmarkt nicht freigeben und damit zulassen, dass schädliche Bücher auf den Markt kommen", erklärt Ali Khamenei, der Führer des Regimes.

Natürlich ist hierüber auch der Veranstalter der Bücherschau, die Frankfurter Buchmesse GmbH, informiert. So finanziert sie seit Sommer dieses Jahres das Exil des zensierten iranischen Autors Mohammed Baharlo, der Zuflucht in Frankfurt fand. Das "Eintreten für die Freiheit des Wortes" gehöre zu den Aufgaben der Messe, gab Jürgen Boos, der Direktor der Messe, bekannt. Doch warum wird dann denen ein Auftritt gewährt, die die Freiheit des Wortes bekämpfen?

Im Herbst werden nicht nur systemkonforme Iran-Verlage wie der "Arische Denker-Verlag" oder die "Verlagsgemeinschaft 'Heilige Verteidigung'" ihre Produkte vorführen. Zusätzlich bereitet die iranische Botschaft in Deutschland eine, wie es heißt: "wirkungsvolle [und] zielgerichtete Präsenz" in Frankfurt vor. Mehr noch: Diesmal - man mag es kaum glauben! - will auch das iranische Zensurregime unter der Leitung von Mohammad Azimi, dem ehemaligen Vizeminister des "Ministeriums für Kultur und Islamische Führung", die Werbetrommel rühren. Man habe in Verhandlungen mit den Messeverantwortlichen erreicht, dass der Nationalstand des Regimes einen bevorzugten Platz erhalten und seine Fläche von 80 auf 96 Quadratmeter steigern wird, berichtete Azimi stolz und kündigte für die Buchmesse eine Vortragsreihe über Irans Kulturpolitik an.

Hier wird deutlich, dass es dem Regime nicht um Bücher, sondern um einen Prestige-Auftritt geht. Es will offenkundig beweisen, dass es die westliche Isolationsstrategie mit deutscher Hilfe durchkreuzen kann - trotz seiner Atompolitik, trotz seines Einsatzes für Assad, trotz seines Terrors gegen Künstler in Iran.

Die Buchmesse hat in der Vergangenheit bewiesen, dass sie durchaus in der Lage ist, die "Freiheit des Wortes" zu verteidigen. 1989 rief Ayatollah Khomeini zur Ermordung des britischen Schriftstellers Salman Rushdie auf. Damals setzte die Buchmesse ein Zeichen: Jahrelang blieb Iran für die Messe gesperrt. In diesem Sommer wurde erneut eine Todesfatwa erlassen - gegen den in Deutschland wirkenden Dichter und Sänger Shahin Najafi. Und was passiert? Diesmal wird die Messe für die Verfechter dieses Mordaufrufes nicht verschlossen. Diesmal öffnet man ihnen Tür und Tor.

Auch damit setzt die Buchmesse ein Zeichen: ein Zeichen der Nachgiebigkeit gegenüber dem Terror; ein Zeichen des Verrats an der Meinungsfreiheit; ein Zeichen gegen jene Länder, die das Regime durch vereinten Druck von der Fortsetzung seiner Atompolitik abbringen und einen Krieg noch verhindern wollen.

So wie man zu Neonazis keine entspannte Freundschaft pflegen kann, kann man mit einem Regime wie dem iranischen keine entspannten Geschäftsbeziehungen unterhalten. Wenn dies schon für jeden Kleinbetrieb gilt, dann doch wohl besonders für die größte Buchmesse der Welt.

Dr. Matthias Küntzel, geboren 1955, ist Politikwissenschaftler, Pädagoge und Publizist in Hamburg. Sein Buch: "Die Deutschen und der Iran. Geschichte und Gegenwart einer verhängnisvollen Freundschaft", erschien 2009 im wjs-Verlag, Berlin. Weitere Informationen und Kontakt im Internet.
Dr. Matthias Küntzel, Politikwissenschaftler, Pädagoge und Publizist
Dr. Matthias Küntzel, Politikwissenschaftler© Privat
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