Verpasste Chance

Von Winfried Sträter · 20.03.2012
Wir sehen Friedrichs Totenmaske, wir sehen Reiterstandbilder, Friedrich in Uniformen, auf Gemälden, in Karikaturen, wir sehen Devotionalien, Werbe- und Propagandaplakate, Bildikonen und Filmsequenzen. Wir sehen nicht, wie unsere östlichen Nachbarn ihn geschichtlich verarbeitet haben, die Bürger jenes Staates, der Opfer von Friedrichs Machtpolitik geworden ist: Polen.
Das Deutsche Historische Museum zeigt eine Ausstellung über die Perzeption des Preußenkönigs in den letzten 200 Jahren. Eine Ausstellung, die sich im wesentlichen auf die Perzeption in den deutschen Landen beschränkt. Welch eine verpasste Chance.

Es hat diverse Friedrichsjahrestage gegeben, in denen man die eine oder andere Seite dieses schillernden Herrschers beleuchtet hat. Das letzte richtig runde Gedenkjahr war 1986, sein 200. Todestag. Der Eiserne Vorhang rostete damals schon, aber er trennte noch die Welten, Deutschland und Europa waren geteilt, der Kalte Krieg war noch nicht überwunden.

2012 ist das erste richtig runde Friedrichsjahr nach dem Ende des Kalten Krieges. Und das Deutsche Historische Museum ist das deutsche Geschichtsmuseum: Von dieser Institution dürfen wir erwarten, dass ihre Ausstellungen auch eine besondere kulturpolitische Aussagekraft haben, indem sie einen nicht alltäglichen, aber für unsere Nation und Europa aufschlussreichen Blick auf die Geschichte werfen.

Friedrich 2012 zu thematisieren, indem seine Verehrung, Verklärung und Verdammung chronologisch aufgereiht werden, mag ein oberflächliches Publikumsinteresse befriedigen. Aber es ist im wahrsten Sinne des Wortes – gedankenlos.

Der naheliegende, kulturpolitisch wichtige Gedanke hätte den Blick nach Osten gerichtet: Wie sahen und sehen eigentlich die Polen diesen Preußenherrscher? Friedrich hatte mit seinen Kriegen jene Dynamik in Europa entfaltet, die sein Land zu einer Großmacht machte, während Polen geteilt und zum Spielball europäischer Mächte wurde, schließlich zum Schauplatz von Krieg und Vernichtung. Die Polen sehen in ihm den Totengräber ihres Staates. "Friedrich II. – ein Räuber feiert Geburtstag", heißt es in polnischen Medien in diesem Jahr.

2012 hätte die ideale Gelegenheit geboten, die sehr unterschiedliche deutsche und polnische Perzeption Friedrichs in einer großen Ausstellung zu thematisieren. In Berlin und vielleicht sogar auch in Warschau. Eine Ausstellung, die das Ende des Kalten Krieges genutzt hätte, um den Blick freizumachen für die Erfahrungshintergründe, von denen aus heute Politik gemacht und Geschichte verstanden wird.

Beim Ausstellungsrundgang fragte ich einen der Kuratoren, ob mit polnischen Institutionen zusammengearbeitet worden sei, um die polnische Perzeption einzubeziehen. Nein, war seine Antwort, das wäre dann ja eine ganz andere Ausstellung geworden.

Genau das aber wäre an der Zeit gewesen. Es wäre der einzig bedeutende neue Aspekt gewesen, unter dem die Friedrichsgeschichte in diesem Jahr ausgestellt worden wäre. Welch eine verpasste Chance!

Mehr zum Thema auf dradio.de:
Bürgerliches Preußen - Sind wir vielleicht zu sehr auf Könige fixiert? (DKultur, Politisches Feuilleton vom 16.3.2012)
Sammelportal - Friedrich der Große
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