Verliebt in eine Villa

Von Toms Ancitis und Maximilian Grosser · 03.08.2013
Alte Herrenhäuser und Schlösser zählen in Lettland zum beachteten Kulturerbe des Landes, doch die Baltenrepublik hat zu wenig Geld, um die Gebäude zu sanieren. Die meisten architektonischen Juwele verfallen - doch einige Villen finden Liebhaber, die sie vor der Verrottung schützen.
Wer über das Parkett im Herrenhaus von Kuksa schreitet, wandelt auf den Spuren deutsch-baltischer Barone, wie etwa denen von Otto Wilhelm von Tiedewitz. Der heutige Besitzer heißt Daniel Jahn. Stolz führt er seine Gäste durch die restaurierten und prunkvollen Räume mit russischen Empire-Stühlen, Gemälden baltischer und russischer Maler und freigelegten Wandmalereien. Jahn deutet dann auch auf eines der Herzstücke seiner Sammlung: edles Tafelgeschirr, ursprünglich bestimmt für ein lettisches Barockschloss.

Daniel Jahn: "Hier der Teller an der Wand, ist kulturhistorisch sehr interessant. Das Speiseservice heißt Kurland aufgrund der Tatsache, dass dieses Service zum ersten mal bestellt wurde von den Herzögen von "Kurland" für Schloss Rundale. Das ist ein Original-Teller aus diesem Service. "Kurland" wurde hergestellt in Berlin, in der königlichen Porzellan-Manufaktur. "Kurland" ist eines der schönsten klassizistischen Service, die in Deutschland produziert wurden. Das ist eine besondere kleine Rosine."

Rosinen, so bezeichnet Daniel Jahn all die Gegenstände aus den vergangenen Jahrhunderten, die den Gutshof an ein Museum erinnern lassen. Dass das alte deutschbaltische Herrenhaus in altem Charme erstrahlt und interessierten Kulturtouristen als noble Herberge offensteht, daran wäre vor 14 Jahren noch nicht zu denken gewesen. Damals entdeckte Jahn das Anwesen.

"Von ferne hat das Haus wie ein Märchenschloss ausgesehen. Dann ist man nahe gekommen und dann hat man natürlich einen Schock bekommen. Die Fenster waren leere Löcher, das Dach war kaputt, Wände waren eingefallen."

Dennoch verliebte er sich sofort in diesen verfallene Märchenschloss, verkaufte das von ihm betriebene kleine Hotel in der lettischen Hauptstadt Riga und erwarb das Anwesen für gerade mal 30 000 Euro. Inzwischen hat er mehrere Millionen in die Restaurierung von "Haus Kuksa" gesteckt.

"In jedem Zimmer, in die Wände, wurden dreißig oder vierzig Sondierungsfelder vorbereitet. Auf Grund der gefundenen Vorgaben haben dann die Spezialisten einen Gesamtentwurf des Zimmers gemacht, wie es ausgesehen hat, und wie es zu restaurieren ist, jede Farbpigmente wurden analysiert und hat vorgegeben, wie es hinterher auszusehen hat und wie die Originale waren."

Nun dient das alte Haus nicht nur als Hotel, sondern erzählt zugleich die Geschichte Lettlands von den Kreuzrittern bis zu jener Zeit, da deutsche Kaufleute und Barone die Ländereien im heutigen Baltikum feudal beherrschten. Sieben Jahre hat es gedauert, bis "Kuksu muiza", so der lettische Name des Gutshofs, wieder im historischen Originalzustand erstrahlte.

"Die deutsche Ritterschaft hat ja hier Jahrhunderte lang regiert und das Land unterdrückt, das muss man sagen. Aber es ist auch ein Stück der Kultur und ich finde, dass die Letten diese Kultur als ihre Kultur akzeptieren, absorbieren und nicht negativ betrachten."

Tatsächlich setzt in Lettland langsam ein Umdenken ein, entdeckt man das kulturelle Erbe der Deutschbalten. Auch Dank des Engagements von mutigen Investoren wie Daniel Jahn. Das Problem: Der Baltenrepublik fehlt nicht nur das Geld für die Restaurierungen, sondern schon für die Sicherung der dem Verfall preisgegebenen Gebäude sowie Ideen für deren Nutzung. Und so wurden viele der alten Schlösser im Staatsbesitz an jeden verkauft, der zahlen konnte.

"Es gab hier in Lettland diesen Immobilienboom. Jeder hat geglaubt, mit den Gutshäusern kann man Business machen. Aber man muss gut überlegen, was man mit einem Gutshaus macht, wenn man es kauft. Man muss ein Konzept haben. Und bei vielen Gutshäusern gab es einfach jemand, der hat gesagt: Das kann ich günstig kaufen, und dann hat er das gekauft und nicht überlegt, was dann passiert."

Und so ist die Mehrheit der über 1.000 steinernen Zeugen der deutschbaltischen Kultur weiterhin dem Verfall preisgegeben. Erst jetzt erarbeitet Lettland einen Katalog für Investoren, ähnlich etwa jener Datensammlung, die die deutsche Treuhand nach dem Fall der Mauer über Schlösser und Landgüter auf dem Gebiet der DDR anlegte und hofft damit mehr internationale Investoren für die meist in den schönsten Naturlandschaften liegenden Anwesen interessieren zu können. Eine Sysyphos-Arbeit wie Daniel Jahn meint.

"Ich mache mir keine Illusionen über einen riesigen Gewinn mit dieser Immobilie, mit diesem Haus, mit diesem Konzept. Ich führe dieses Haus wie ein Privathaus, das macht natürlich den Unterschied zu den anderen Häusern aus. Aber man sollte sich nicht vorstellen, dass man reich wird durch so ein Anwesen. Weil die Folgekosten ziemlich hoch sind und Unterhaltungskosten auch."

Bei gerade einmal zehn der ehemaligen Landhäuser hat der Umbau zu Luxushotels funktioniert. Doch die Nachfrage nach solchen Übernachtungen ist überschaubar und der Konkurrenzdruck groß, sagt der Hotelbetreiber Daniel Jahn. Ein großes Problem sind russische Käufer. Die kaufen die Ruinen ohne die Absicht sie wieder herzurichten - vermutlich nur wegen eines Schengen-Passes, den ihnen Lettland bei der Investition gewährt. Und noch ein anderes Dilemma bedroht das deutschbaltische kulturelle Erbe: Rund 100, der ehemaligen Adelsgüter werden derzeit noch vom Staat erhalten, weil die Gebäude als Dorfschulen genutzt werden. Doch mit der Abwanderung der Jugend, droht den meisten dieser Schulen jetzt die Schließung und weiteren deutschbaltischen Herrenhäusern ein ungewisses Schicksal.