Verlegerin Inci Bürhaniye

Türkisch-deutscher Transfer wird reich belohnt

Die Buchverlegerin Inci Bürhaniye steht im Treppenhaus des Deutschlandradio-Funkhauses in Berlin
Die Berliner Verlegerin Inci Bürhaniye © Deutschlandradio / Maurice Wojach
Inci Bürhaniye im Gespräch mit Anke Schaefer · 14.03.2017
Der Berliner Verlag Binooki bringt türkische Literatur in die deutsche Sprache − und bekommt jetzt einen mit 75.000 Euro dotierten Kulturpreis. Die Arbeit von Verlegerin Inci Bürhaniye leidet schon seit Jahren unter der politischen Situation in Erdoğans Türkei.
Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei stecken in einer tiefen Krise – besonders in solchen Zeiten brauchen wir Menschen, die Brücken bauen. Solche Brückenbauerinnen sind die beiden Übersetzerinnen Inci Bürhaniye und Selma Wels.
Die beiden sind Schwestern und haben den Binooki Verlag gegründet, der sich als einziger Verlag ganz ausdrücklich der Übersetzung von türkischer Literatur ins Deutsche widmet.
Für diese Arbeit bekommen die beiden jetzt den Kairos-Preis der Alfred Toepfer Stiftung. Er ist mit 75.000 Euro dotiert und damit einer der höchstdotierten Kulturpreise in Europa.
Beeinflussen die Wahlkampfauftritte der türkischen Politiker in Europa die Arbeit der beiden Binooki-Verlegerinnen?
Inci Bürhaniye: "Wir stellen immer wieder fest, dass die Autoren, mit denen wir in engem Kontakt stehen, natürlich nicht frei davon sind, die ganze Stimmung im Land mitbekommen, auch bedrückt sind, nicht wissen, wie es weitergehen soll und Ängste haben. Das bekommen wir mit, das ist ein Einfluss, den wir spüren. Ein weiterer Einfluss, den wir aber schon seit einigen Jahren spüren, insbesondere nach den Gezi-Protesten, das ist: Wir bekommen keine Förderungen mehr, unsere Übersetzungsförderungsanträge werden nicht bewilligt. Das ist etwas, das sich konkret auf den Verlag auswirkt."
Inwieweit hilft der Kairos-Preis dem Binooki Verlag bei seiner Arbeit?
"Der Kairos-Preis ist für uns wichtig, weil er uns ermöglicht, ein breiteres Publikum zu erreichen, mit der Literatur, die wichtig ist. Für die Autoren, für die dort lebenden Menschen, für die Gesellschaft, die auch zwiegespalten ist. Und es muss für beide Seiten eine Stimme da sein. Und der Verlag schafft die Möglichkeit, die Stimme, die dort nicht genug zur Geltung kommt, ins Ausland und hierher zu tragen. Und das hier zu verbreiten, das ermöglicht die breite Wahrnehmung durch den Kairos-Preis."

Das Interview im Wortlaut:
Anke Schaefer: Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei stecken in einer tiefen Krise, und besonders in solchen Zeiten brauchen wir Menschen, die Brücken bauen. Solche Brückenbauerinnen sind die beiden Übersetzerinnen Inci Bürhaniye und Selma Wels. Die beiden Schwestern haben ja den Binooki-Verlag gegründet, der sich eigentlich als einziger Verlag ganz ausdrücklich der Übersetzung von türkischer Literatur ins Deutsche widmet. Für diese Arbeit bekommen die beiden Schwestern den Kairos-Preis der Alfred-Töpfer-Stiftung. Der ist mit 75.000 Euro dotiert und damit einer der höchstdotierten Kulturpreise in Europa. Hier im "Fazit"-Studio ist jetzt Inci Bürhaniye. Erst mal herzlichen Glückwunsch!
Inci Bürhaniye: Herzlichen Dank!
Schaefer: Die Preiskuratoren sagen, Sie seien tatsächlich Brückenbauerinnen. Sie verwenden dieses Wort. Und sie ebnen den Weg für ein Zusammengehörigkeitsgefühl, welches die politischen Grenzen der EU überschreite und die Türkei als europäischen Staat – als europäischen Staat – ins Bewusstsein hebe. Was sagen Sie dazu?
Bürhaniye: Die Begründung ist großartig, und es spiegelt genau das wider, was wir als Motivation für unsere Tätigkeit auch von Anfang an hatten. Wenn man uns kennt, unsere Biografie kennt, dann weiß man, wir sind türkischstämmige Deutsche, Eltern sind türkischer Herkunft, und diese Vielseitigkeit oder beide Kulturen haben wir immer gelebt und leben sie weiterhin, und für uns ist beides wichtig. Und genau das, was wir selbst erlebt haben und erleben, wollten wir ganz gern auch unseren Freunden und Bekannten und natürlich eben allen Deutschen auch vermitteln, und da war uns klar, das geht eigentlich am besten über die Literatur des Landes, in der sich natürlich die Kultur und die Gedanken der Menschen widerspiegeln und wiederfinden.

Viele deutschsprachige Leser interessieren sich für Binooki-Bücher

Schaefer: Und Sie haben das erste Programm im Frühjahr 2012 auf den Markt gebracht im Binooki-Verlag. Ist das denn jetzt eigentlich eine Erfolgsgeschichte? Lesen tatsächlich viele Menschen die Bücher, die Sie verlegen?
Bürhaniye: Ja, also wir können natürlich nicht wissen, wer genau unsere Bücher liest, wer in den Buchhandlungen kauft, wissen wir nicht. Aber wir haben ja auch einen Onlineshop auf unserer Webseite, und da sehen wir dann sehr viele deutsche Namen, und wir sehen, dass tatsächlich auch viele deutschsprachige Leser eben darauf zugreifen und die Bücher bestellen und lesen, und wir stellen auch immer wieder fest, wenn einer einmal ein Binooki-Buch gelesen hat, dann bleibt er dabei und liest auch die anderen. Und das ist natürlich sehr schön, das freut uns.
Schaefer: Wie kriegen Sie die Übersetzer denn? Wenn engagieren Sie, um das zu übersetzen, was Sie gern verlegen möchten?
Bürhaniye: Es gibt einen Pool an Übersetzern, die wir haben. Der ist nicht sehr groß, aber es sind gute Literaturübersetzer, und wir suchen aus diesem Pool immer Übersetzer heraus, die zu dem Buch passen und dem Autor natürlich eine Stimme geben können für dieses einzelne Werk. Und zum Teil übersetzt auch meine Schwester.

Die aktuelle Situation spiegelt sich in den Büchern wider

Schaefer: Die Zeiten haben sich ja nun wirklich sehr geändert seit 2012. Die Türkei ist, man muss es wahrscheinlich so sagen, auf dem Weg zur Autokratie, und Sie haben sich entschieden, einige der jungen, politisch aktiven Autorinnen und Autoren aus der Türkei auch zu publizieren, die sich trotz der Drohungen und der vielen Verhaftungen offen regierungskritisch äußern. Das bedeutet Mut, oder, dass Sie die gerade jetzt auch verlegen?
Bürhaniye: Hauptsächlich haben wir diese Autoren natürlich wegen ihrer Werke ausgewählt. Und wir beide, meine Schwester und ich, suchen gemeinsam die Bücher aus, und machen auch nur das, was uns gefällt und was uns auch selbst bewegt. Und zeitgenössische Literatur haben wir uns auf die Fahnen geschrieben, frei von Klischees, das wollten wir verlegen von Anfang an, und das tun wir. Und die Autoren, die wir verlegen, die dann auch noch zusätzlich politisch aktiv sind oder auch Titel und Werke verfassen, das ist fast ein Zufall, aber natürlich nicht ganz. Es ist auch ein bisschen gewollt von uns, dass wir Aktuelles auch widerspiegeln. Und aktuelle, auch politische Situationen finden sich natürlich in den Werken wieder, und die versuchen wir eben auch dem deutschen Leser bekannt zu machen.
Schaefer: Geben Sie uns mal ein Beispiel.
Bürhaniye: Also, zum Beispiel haben wir veröffentlicht Murat Uyurkulaks Buch mit dem Titel "Glut". Das spielt in Diyarbakir, die Kurdenproblematik kommt darin vor. Oder Emrah Serbes mit dem Buch "Deliduman", das ein Jahr nach den Gezi-Protesten entstanden ist. Und worauf wir ganz besonders stolz sind, ist die Gezi-Anthologie, die wir herausgebracht haben. Nach den Gezi-Protesten haben diverse Autoren speziell für uns ihre Eindrücke eingefangen und verfasst. Diese Anthologie gibt es eben nur auf Deutsch und nicht in der Türkei und nicht in türkischer Sprache veröffentlicht.

Bisher keine Kritik aus der Türkei, aber...

Schaefer: Und wenn Sie jetzt auf kommende Programme blicken, haben Sie ein bisschen eine Schere im Kopf, dass Sie sich fragen, was können wir wirklich publizieren, wenn das mit diesem autokratischen Regime in der Türkei noch schlimmer wird?
Bürhaniye: Wir versuchen, uns frei zu machen davon. Wir wollen weiterhin eigentlich das tun, was dort die Menschen bewegt, und diese Literatur auch weiterhin veröffentlichen. Es mag politisch sein, es gibt aber auch viele unpolitische Bücher, die wir dabei haben. Man darf sich da nicht ganz so sehr einnehmen lassen und nicht selbst beschränken. Und diesem Motto bleiben wir auch treu.
Schaefer: Und sind Sie aus der Türkei schon mal kritisiert worden für Ihr Programm?
Bürhaniye: Nein, bisher sind wir da nicht kritisiert worden. Das ist auch ganz schön. Wir wurden gefragt, warum wir nicht auch noch anderes verlegen, aber es ist …
Schaefer: Anderes in welcher Hinsicht?
Bürhaniye: Anderes im Sinne von etwas mehr religiös …
Schaefer: Oder klassischer?
Bürhaniye: Oder klassischer. Passte einfach bisher nicht ins Programm oder – ja, wollten wir einfach nicht tun.

"Wir bekommen keine Förderungen mehr"

Schaefer: Jetzt gerade, ganz aktuell ist es so, dass die türkischen Politiker Wahlkampf machen möchten für das Präsidialsystem in Deutschland, und dass es da eben diesen großen Streit darum gibt. Inwiefern beeinflusst das Ihre Arbeit, jetzt gerade, ganz aktuell?
Bürhaniye: Einen konkreten Einfluss hat das nicht auf uns. Wir stellen nur immer wieder fest, dass natürlich die Autoren, mit denen wir in engem Kontakt stehen, natürlich nicht frei davon sind, die ganze Stimmung im Land mitbekommen und auch bedrückt sind und nicht wissen, wie es weitergehen soll und Ängste haben. Das bekommen wir mit. Insofern ist das ein Einfluss, den wir dort spüren. Ein weiterer Einfluss, den wir aber jetzt schon seit einigen Jahren spüren, insbesondere nach den Gezi-Protesten, ist, wir bekommen keine Förderungen mehr, oder die Förderungen werden nicht bewilligt. Unsere Übersetzungsförderungsanträge, das ist etwas, was dann konkret tatsächlich sich auch auf unseren Verlag auswirkt.
Schaefer: Fördergelder auch von der EU, weil sozusagen das türkisch-europäische Abkommen nicht unterzeichnet wurde?
Bürhaniye: Ist nicht unterzeichnet worden, genau. Deswegen, die Förderung aus der EU ist weggefallen, aber auch die Übersetzungsförderung aus der Türkei, aus dem TEDA-Programm wird einfach nicht mehr bewilligt.

Eine Möglichkeit, ein breiteres Publikum zu erreichen

Schaefer: Und inwieweit hilft Ihnen jetzt der Kairos-Preis in dieser Arbeit?
Bürhaniye: Der Kairos-Preis ist für uns insofern wichtig, weil es noch mal ermöglicht, ein breiteres Publikum zu erreichen mit der Literatur, die wichtig ist für die Autoren, für die dort lebenden Menschen, für die Gesellschaft, die auch zwiegespalten ist. Das muss man einfach auch so sagen, und das erleben und sehen wir auch. Und es muss für beide Seiten eine Stimme da sein. Und der Verlag schafft die Möglichkeit, diese Stimme, die vielleicht dort nicht genug zur Geltung kommt, auch ins Ausland und hierher zu tragen und dies hier zu verbreiten, ermöglicht natürlich auch die breite Wahrnehmung über den Kairos-Preis.
Schaefer: Inci Bürhaniye sagt das. Sie hat mit ihrer Schwester Selma Wels den Binooki-Verlag gegründet, der türkische Literatur ins Deutsche übersetzt. Und für diesen Verlag, für diese Arbeit bekommen die beiden den Kairos-Preis der Alfred-Töpfer-Stiftung. Vielen Dank für das Gespräch!
Bürhaniye: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema