Verlag Hanser Berlin sieht gute Chancen für das gebundene Buch

Elisabeth Ruge im Gespräch mit Gabi Wuttke · 13.10.2012
Insbesondere handwerklich gut gestaltete Bücher sorgen nach Einschätzung des Hanser Verlages auch in der Zunkunft für eine treue Leserschaft des gedruckten Buches. Verlagsleiterin Elisabeth Ruge ist sich sicher, dass Printprodukte auch weiterhin neben den E-Books bestehen werden. Hinzu kommt nach Ruges Einschätzung, dass elektronische Bücher Behinderten, insbesondere Sehbehinderten, den Zugang zur Literatur erleichtern.
Gabi Wuttke: Noch immer lesen in Deutschland nur zwei Prozent mit einem E-Book, aber das neue Medium wirft große Schatten. Verlage rüsten für den Umbruch, Buchhändler sorgen sich, der sich selbst verlegende Autor geistert durch die Landschaft. Die Branche ist nicht nur auf der Frankfurter Buchmesse nervös. Elisabeth Ruge traut sich immer wieder Neues. Mitbegründerin des Berlin-Verlags, in dem Jonathan Littell sein Debüt in Deutschland veröffentlichte, Zeruya Shalev bekannt wurde und Richard Ford große Erfolge feierte. Der Amerikaner ist ihr jetzt gefolgt zu Hanser Berlin, der unter ihrer Leitung in diesem Herbst sein erstes Programm vorgestellt hat. Aber durch seine Verlegerin wurde der Einstieg schon zum Erfolg. Mit dem Bestseller "Ziemlich beste Freunde". Einen schönen guten Morgen, Frau Ruge.

Elisabeth Ruge: Ja, guten Morgen.

Wuttke: Sie gehen offensiv mit der digitalen Entwicklung um - welche Chancen liegen denn für Sie im Medienwandel?

Ruge: Ach wissen Sie, ich glaube, dass man nicht unbedingt Leser verliert, was ja manchmal als Bedrohung durch die verlegerische Welt geistert, dann durch das Digale, also dass man sich abwendet von dem Buch und letztlich auch eventuell auf lange Sicht doch zunehmend abwendet von der Literatur. Ich habe vielleicht doch oftmals jetzt die Erfahrung gemacht, mit Leuten zu reden, die Leser sind, die sich trotzdem einen Kindle zugeschafft haben und die oftmals sagen, sie kaufen inzwischen mehr Bücher. Also sie kaufen nach wie vor in ihren Buchhandlungen, in ihren angestammten Buchhandlungen, gebundene, gedruckte Bücher. Aber sie haben eben auch das Kindle, und oftmals kaufen sie sich auf die Schnelle etwas, was sie mal kurz anlesen wollen, ein Buch, das sie auch nicht unbedingt im Buchregal haben wollen. Sei es ein Krimi, sei es vielleicht ein Roman, der sie interessiert, aber den sie nicht unbedingt besitzen wollen, und einige sagen: Ja, wenn man so hinguckt, kaufe ich mir eigentlich 20 bis 30 Prozent mehr Bücher, durch diese Kombi sozusagen.

Wuttke: Wenn Sie sagen, Sie glauben, dass das echte Buch ergänzt werden wird durch das digitale Medium E-Book - sind Ihre Kollegen dann zu Unrecht nervös? Wie sehen Sie denn die Zukunft? Was ist verlegerische Klugheit zur Zeit?

Ruge: Ja, das ist ja immer schwierig, wenn die Zeiten sich wandeln - und sie wandeln sich radikal -, zu definieren, was Klugheit ist oder was kluges Handeln in einer solchen Situation ist. Ich glaube aber, man kann eines sagen: Man darf sich der Zukunft nicht verschließen. Also dass das Digitale zur Zukunft gehört, da führt kein Weg dran vorbei. Und statt sich dagegen in eine Bastion zurückzuziehen und das zu verteidigen, was ist, sollte man doch schauen, was man aus dem traditionellen Verlegen in die Zukunft mit hineintragen kann.

Wuttke: Das wäre?

Ruge: Also was können wir retten? Und wir können beispielsweise retten oder erstarken lassen das gedruckte Buch, und zwar das gedruckte gebundene Buch. Ich habe das Gefühl, Sie haben vorhin das Wort "ergänzen" gesagt - das finde ich die genau richtige Art, auf diese Sache zu gucken. Ich glaube, dass sich das gedruckte Buch, das handwerklich gut gestaltete Buch, das gebundene Buch, das qualitätsvolle gebundene Buch sehr gut behaupten kann neben dem digitalen Text, neben dem identischen digitalen Text. Diese beiden Ausgaben kann man eben auf ganz unterschiedliche Weisen nutzen. Man kann sie miteinander kombinieren. Und ich glaube, dass gerade in Deutschland, wo es noch die Buchpreisbindung gibt, wo es noch ein doch zwar etwas ausgedünntes, aber doch sehr potentes buchhändlerisches Netz gibt, eben das gebundene Buch durchaus noch eine starke Zukunft vor sich hat.

Wuttke: Und wie wichtig ist der richtige Riecher einer Verlegerin, "Ziemlich beste Freunde" dürfte Ihnen einiges erleichtern zurzeit?

Ruge: Das stimmt natürlich, aber das Interessante bei "Ziemlich beste Freunde", wenn wir hier über das Digitale sprechen, ist, dass von den 300.000 Exemplaren, die wir verkauft haben, zehn Prozent als E-Book verkauft worden sind. Das ist eine sehr hohe Zahl, Prozentzahl, hier in Deutschland, wo sich das meistens so zwischen zwei bis fünf Prozent einpegelt. Ich glaube, es hat etwas damit zu tun, und darüber haben wir, glaube ich, alle noch gar nicht richtig nachgedacht, dass das E-Book natürlich auch eine Barrierefreiheit mit sich bringt. Dass viele Menschen, die beispielsweise Sehbehinderungen haben oder auch körperlich behindert sind, eben das analoge Buch nicht wirklich gut nutzen können und eben dann auf das digitale zugreifen. Und das ist, glaube ich, noch mal ein ganz großes Themenfeld, ein sehr positives, dass sich viele Verleger noch gar nicht vor Augen geführt haben.

Wuttke: Hanser Berlin hat mit zehn Titeln ein überschaubares Programm. Frau Ruge, worauf muss ein unabhängiger Verlag achten, um von Konzernen nicht überrannt zu werden?

Ruge: Dass er ein Profil hat. Das scheint mir das Allerwichtigste zu sein. Dass man für eine verlegerische Richtung steht, dass dieses Programm mit jedem einzelnen Titel diese Richtung zum Ausdruck bringt. Dass man erklären kann, warum man seine Bücher macht und das dadurch dann auch mit großer Leidenschaft tun kann.

Wuttke: Das heißt, Sie glauben, auch in 20 Jahren wird es noch Verleger geben, deren Person für ein Programm steht?

Ruge: Ich glaube, ja. Ich glaube, dass das Netz eben riesige Möglichkeiten mit sich bringt, eine riesige Vielfalt, aber eben auch gerade eine große Beliebigkeit. Und weil das so ist, glaube ich, dass es wichtig ist, Akzente in diesem riesigen Meer von Texten zu setzen. Und das kann man unter anderem als verlegerische Persönlichkeit tun.

Wuttke: Aber in diesen globalisierten Zeiten ist doch die Schnelligkeit ein ganz entscheidendes Kriterium, das auch die Buchbranche am Nasenring durch die Arena zieht.

Ruge: Ja. Teilweise. In manchen Bereichen, da haben Sie völlig recht. Aber ich glaube, man kann der Schnelllebigkeit auch immer das Langsame entgegensetzen. Ich glaube, dass unsere Welt davon lebt, dass Gegensätze Spannung erzeugen und das eine oder andere sich dadurch nicht totläuft. Und ich habe das Gefühl, dass man sich dieser Schnelllebigkeit nicht beugen muss.

Wuttke: Die Zukunft als Herausforderung. Die Hanser-Berlin-Verlegerin Elisabeth Ruge im Interview der Ortszeit von Deutschlandradio Kultur. Ich wünsche Ihnen heute noch einen erfolgreichen Tag auf der Messe und alles Gute. Vielen Dank!

Ruge: Ja, ganz herzlichen Dank!

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