Verkündigung in 140 Zeichen

Von Dorothee Adrian · 14.04.2012
Katholische und evangelische Pfarrer nutzen mittlerweile die neuen sozialen Medien wie Facebook und Twitter - denn der kurze Draht zu den Gläubigen wird auch für die Kirchen interessant. Die Netzwerke sind eine gute Möglichkeit, Kontakt zu halten und für den Glauben zu werben.
"Angefangen hat es heute morgen, dass ich relativ früh aufgewacht bin, weil irgendein Kind wach war, und dann hab ich um halb sieben den ersten Tweet geschrieben: Die Vögel twittern und ich zwitschere."

An einem Tag kurz vor Ostern ist Lutz Fischer-Lamprecht der Twitter-Pfarrer der reformierten Kirchen in der Deutsch-Schweiz. Gebürtig kommt der 44-Jährige aus der Nähe von Karlsruhe. Von früh bis spät schickt er an diesem Tag mehrmals die Stunde Kurzmeldungen über das, was er gerade macht, in die Welt. Die Idee kam den Online-Redakteuren des Portals ref.ch, über deren Twitter-Account der Pfarrer heute eingeloggt ist. 260 Personen, so genannte "Follower", lesen mit.

"Die Idee war, durch Twitter zu zeigen: Was macht eigentlich ein reformierter Pfarrer den ganzen Tag? Ich arbeite im Pfarrhaus, da stehen halt plötzlich die Kinder im Zimmer, oder ich bin beim Mittagessen da - also da geht wirklich Arbeit und Privatleben ganz anders durcheinander als es in nem Bürojob der Fall ist."

Während der morgendlichen Besprechung mit dem Jugendarbeiter, der Sozialdiakonin und dem Organisten ver-twittert Fischer-Lamprecht die Themen, die besprochen werden, beispielsweise die Besetzung neuer Stellen. Danach geht es um die Redaktion eines Mitteilungsblattes und die Gestaltung eines Flyers.

"Weil ich wusste, dass ein Follower auf Twitter super ist in Rechtschreibung hab ich's versucht: Schreibt man Erstklässler mit oder ohne Bindestrich, und es kam auch wirklich prompt die Antwort, noch bevor mein Kollege im Duden nachgeguckt hat, haben wir das per Tweet schon gehabt."

Mittagszeit ist dann Familienzeit: Fischer-Lamprechts haben fünf Kinder zwischen anderthalb und 20 Jahren. Eine Tochter hat heute von Verkehrspolizisten gelernt, sicher die Straße zu überqueren, eine andere bringt ein Osternest mit, der Sohn war in der Waldspielgruppe - alles kurze Twitter-Meldungen.

Zwischendurch muss er kurz die Kinder zu ihren Freizeitaktivitäten fahren. Und wieder ein Tweet:

"Isabella und ihr Chinski-Freund wohlbehalten in der Musikschule abgegeben - schnell zurück ins Pfarrhaus."

Beim heutigen Twitter-Projekt macht der Pfarrer mit, weil er sich wünscht, dass Menschen ein Gespür für seinen Beruf bekommen. Schließlich werde er von ihren Kirchensteuern bezahlt.

"Und das Zweite ist, dass Kirche im Prinzip auch immer Nachwuchs braucht. Bisher ist in der Schweiz der Pfarrermangel durch Importe aus Deutschland ausgeglichen worden, und das nimmt auch ab, und ich denke für Nachwuchs ist es manchmal schwierig, einzuschätzen: Ja, was macht'n eigentlich so'n Pfarrer? Um zu sehen, wie vielseitig der Beruf ist."

Lutz Fischer-Lamprecht und seine Frau, die auch Pfarrerin ist, leben seit 13 Jahren in der Schweiz, etwas länger als der katholische Diakon Christian Kelter, der ebenfalls mit seiner Familie hier lebt. Anders als in Deutschland hat er jetzt die Möglichkeit, eine Gemeinde zu leiten. Das Twittern hat Kelter über den katholischen Abt Martin aus dem Kloster Einsiedeln kennengelernt, dem bei Twitter über 5000 Menschen folgen.

"Zuerst hat es mir gar nicht eingeleuchtet, mich hat eher die Neugier getrieben, ich wollte dieses Medium entdecken, Twitter, später auch Facebook, und in der Schweiz würde man sagen: Es hat mich angefressen vom ersten Moment an und ich habe mich da n bisschen rein vertieft und hab nach und nach die Möglichkeiten und Chancen entdeckt, die darin stehen, für uns als Kirche auch das Wort Gottes zu verkündigen. Ich hab's zuerst eher als ne Art Spaß aufgefasst, als das, was man mal machen könnte, um mal'n bisschen mit up to date zu sein. Aber dass es tatsächlich ne ernstzunehmende Art ist, zu kommunizieren, das hab ich erst später gemerkt."

Inzwischen lesen um die 420 Follower seine Einträge. Kurz vor Ostern schreibt er zum Beispiel: "Gott ist bei allen, die aufs Kreuz gelegt werden." Bald darauf freut er sich über eine 30-jährige Frau, die sich taufen lässt. Immer mit höchstens 140 Zeichen - für Christian Kelter eine schöne Herausforderung.

"Was ich im Übrigen für uns als Kirche als ne sehr wichtige Aufgabe ansehe, das, was wir zu sagen haben, auf kurze, prägnante und eben auch verstehbare Art und Weise auszudrücken. Das fasziniert mich an dem Medium."

Immer wieder wird er in andere Gemeinden eingeladen, um sie in Twitter und Facebook einzuführen. Er erzählt dann auch, über welche Themen er schreibt.

"Manchmal haben wir ja in der katholischen Kirche einen Tagesheiligen, Menschen, die wichtig wären, aber im normalen Alltagsleben der Menschen vergessen gegangen sind. Indem ich twittere, was uns diese Person, mit dem, wofür sie steht, heute sagen könnte, das ist für viele Leute ne ganz neue Sichtweise von Glauben und Kirche. Dann greife ich immer wieder gesellschaftsrelevante Themen insgesamt auf, weil ich denke, dass wir als Christen mitten in der Gesellschaft stehen und mit unserem christlichen Menschenbild diese Gesellschaft auch mit bestimmen können und vielleicht auch mitbestimmen sollen."

Reaktionen von anderen Facebook- oder Twitter-Nutzern kommen oft dann, wenn er es gar nicht erwartet. Zum Beispiel, wenn er zu einem Rückzugstag ins Kloster fährt:

"Ich schreib das meistens vorher in Twitter oder Facebook und sag den Leuten: Ich nehm eure Anliegen gerne betend mit nach Einsiedeln. Und da bin ich immer sehr erstaunt, wer mir da alles Anliegen schickt. Leute, von denen ich nicht glauben würde, dass sie auf der Schiene erreichbar sind. Das beeindruckt und berührt mich manchmal auch wirklich."

Auch Lutz Fischer-Lamprecht macht die Erfahrung, dass ihm die sozialen Netzwerke mehr Kontaktmöglichkeiten erschließen, als er sie sonst in seinem Berufsalltag als Seelsorger hätte. Über Facebook verabredete er sich zum Beispiel mit einem Atheisten zu einer Weinverkostung.

Am heutigen Twitter-Tag steht noch ein Taufgespräch mit einem Ehepaar an, das er vor zwei Jahren getraut hat - und danach der Besuch bei einer sterbenskranken alten Frau.

"Also: Was macht den Pfarrberuf eigentlich so spannend? Ich finde - jetzt muss ich gucken mit den 140 Zeichen, das ist immer ne Herausforderung, - den Wechsel zwischen Glück und Trauer - oh jetzt wird's knapp - Freude und Leid. Jetzt würd ich gern schreiben 'Immer wieder beeindruckend' aber ich schreib jetzt nur 'beeindruckend' und hoff, dass ich mit den Zeichen hinkomm."

Über die Taufe wird er später twittern, dass Gottes "Ja" zum Menschen dem "Ja" des Menschen zu Gott immer vorausgeht. Und der Besuch im Krankenhaus findet sich bei Twitter so wieder: "Wenn jemand mit seinem Leben zufrieden war, damit 'versöhnt' ist, scheint mir das Sterben einfacher."
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