Verhüllte Statuen

Nacktheit kennt Regeln

Das Bild zeigt einen schwach beleuchteten Museumsflur mit Statuen. Eine davon ist in einem Holzkasten versteckt.
Eine durch Holzwände versteckte Statue in den Kapitolinischen Museeen in Rom. © DPA / EPA/ GIUSEPPE LAMI
Von Nikolaus Bernau · 27.01.2016
Die Verhüllung von Statuen beim Besuch des iranischen Präsidenten Rohani in Rom hat Empörung entfacht. Nikolaus Bernau argumentiert sagt dagegen, man dürfe niemanden zwingen, nackte Menschen anzuschauen. Außerdem sei Nacktheit in Europa ohnehin streng reglementiert.
Damit keine Missverständnisse entstehen: Ich bin für die Präsentation von künstlerischer Nacktheit im Museum, in Schlössern, Rathäusern, Badezimmern oder Kirchen. Wie es mit dem Zeigen von Nacktheit an sich steht, das können wir später einmal debattieren. Aber wie arm wäre die Welt ohne die Statuen der Griechen und Römer, hinduistische Gottheiten, gemalte Heroen und Heilige, japanische Farbholzschnitte und afrikanische Statuen. Ich ertrage als Plastikfigur sogar gerne den nackten Jeff Koons und seine Ex-Frau, die Porno-Heldin Cicciolina.
"Verhalte Dich wie die Römer"
Aber die Einkästelung von antiken Statuen im kapitolinischen Museum Roms kann ich einfach nicht als Totalniederlage westlicher Werte sehen, als "Unterwerfung" vor iranischen Mullahtum, wie mancher wutschnaubende Politiker, Journalist oder Mitbürger im Internet. Höchstens ärgere ich mich über grottenhässliche Bretter. Hätte das Designland Italien nicht einige zarte Seidenstoffe schlingen können, so wie Michelangelos nackter Jesus in der Sixtinischen Kapelle einst ein leichtes Tüchlein erhielt?
Aber in Spiegel Online wird ja nun der englische Klassiker "Wenn Du nach Rom kommst, verhalte Dich wie die Römer" bemüht. Italien verstecke Statuen, die, Zitat, "teils seit über 2000 Jahren notorisch nackt in der Gegend herumstehen". Stopp. Genau das tun sie nicht, haben sie nie getan. In der Antike standen nackte Statuen in Privathäusern, Palästen, auf öffentlichen Plätzen, in Stadien und Tempeln. Aber sie standen nie einfach herum. Seit der Renaissance werden sie in Palästen oder Museen aufbewahrt. Also wieder in speziellen Räumen. Das öffentliche Zeigen von Nacktheit ist, jedenfalls seitdem Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben wurden, in fast allen Kulturen nur vermittelt zu erleben. Auch unser Europa macht da keine Ausnahme. Eines der nettesten Ausstellungsstücke im Londoner Victoria & Albert Museum: ein prachtvoll gewölbtes Feigenblatt. Bis in die 1930er-Jahre wurde es bei Besuchen hochgestellter Damen vor das Gemächt der Gipskopie des David von Michelangelo gehängt. Selbst die großartige Ausstellung nackter Männerbilder vor zwei Jahren in Paris also, hatte eine Abteilung, vor deren Besuch Jugendliche ausdrücklich gewarnt wurden. Zu sehen waren auch hier nur nackte Männer.
Auch schwulenfeindliche Regime empfingen Westerwelle
Der Empfang des iranischen Präsidenten auf dem Kapitol, dem einstigen Zentrum des römischen Weltreichs, kann übrigens auch als Unterwerfungsforderung Europas gelesen werden: Rohani stand bei seiner Rede unter der Reiterstatue jenes Kaisers Mark Aurel, dessen Feldherren 166 n. Christus im heutigen Irak und Iran das damalige Partherreich demütigten, den Vorgänger des heutigen Persien. Aber die Italiener blieben höflich: Das Redepult wurde auf der Seite des Pferdes aufgestellt, die nicht mit dem gehobenen Huf droht. Es ist nämlich schlichtweg höflich, auf mögliche Unbehagen von Gästen Rücksicht zu nehmen. Angela Merkel muss in Saudi-Arabien keinen Schleier tragen, selbst schwulenfeindlichste Regime empfingen Guido Westerwelle. Soviel europäischer Stolz darf sein: Wir zwingen keinen, auch den iranischen Präsidenten Rohani nicht, im Namen der Aufklärung, nackte Menschen anzusehen. Selbst dann nicht, wenn sie klassisch-nackt sind.
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