Verhältnis zu Russland

Der Mythos vom Antifaschismus in der DDR

Ein Foto von Erich Honecker (l.) neben einem Gemälde von Walter Ulbricht.
Ob Honecker oder Ulbricht - die Spitzenfunktionäre der DDR bekannten sich stets mit großen Worten zum Antifaschismus und gelobte ihre Treue zur Sowjetunion. © dpa/picture alliance/Waltraud Grubitzsch
Von Sabine Adler · 03.02.2016
"Merkel weg, Putin hilf", steht auf den Transparenten der Pegida-Anhänger in Dresden. Sabine Adler hat recherchiert, wie dieses Bekenntnis zu Russlands Regierung historisch zu begründen ist und hat sich mit dem Märchen vom Antifaschismus in der DDR befasst.
Zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald hielt der Ex-Häftling Marko Max Feingold eine Rede, im Alter von 102 Jahren. Frei, ohne Blatt, ohne Stock. Sichtbar aufgewühlt.
"70 Jahre habe ich gelitten unter der Lüge, die Häftlinge von Buchenwald hätten sich selbst befreit. Es ist kein Schuss geschehen. Das wäre ja auch nicht möglich. Auf wen hätten wir schießen sollen? Ab vormittags um halb elf gab es ja gar keine SS mehr hier."
Bis 1938 war Marko Feingold sein Judentum wenig bewusst. In Buchenwald war er nur noch Jude, Häftling, eine Nummer. Noch wichtiger aber wurde, was er nicht war: Kommunist. Die fehlende Gesinnung erwies sich als lebensbedrohlich.
"Wenn einer die Macht hatte, spielten die Kommunisten sie aus. Wurden die Kommunisten vorgezogen. Und kein Feingold. Feingold war überhaupt ein Dorn im Auge. Auch auf dem Block. Man hat mich dargestellt, als ob ich vorher ein Großunternehmer, ein Industrieller gewesen wäre. Wer einmal ein Krösus war, ist jetzt ein Niemand."
Fetten acht Jahren folgten sieben entsetzliche
Arbeitslos und gerade mal 20 hatte er seine Heimatstadt Wien verlassen und sich als Vertreter in Italien durchgeschlagen. Anfangs mühsam. Später lief das Geschäft wie geschmiert, als er in Hotels und an Hausfrauen Bohnerwachs verkaufte. Ein Glücksgriff.
"Mit einer Spritze aufgetragen: ein wundervoller Glanz. Mit dem sind wir reich geworden."
Den fetten acht Jahren folgten sieben entsetzliche, die meisten verbrachte er in Buchenwald.
Dort traf er den Schriftsteller Bruno Apitz. Was der später in seinem Buch schrieb, "Nackt unter Wölfen", hat Marko Feingold so nicht erlebt. Ein geschöntes Heldenepos, der das Grausamste unterschlägt, sagt Ines Geipel, die in ihrem neuen Buch "Gesperrte Ablage" Apitz porträtiert.
"Verschwiegen wird das systematische Töten durch die Kommunisten im Lager durch Phenolspritzen oder durch Luftspritzen oder Spritzen mit Erreger-Bakterien."
Auch der Wiener Jude Marko Feingold ist diesem sogenannten Abspritzen begegnet.
"Ich erinnere mich an drei Häftlinge, drei Juden, die Maurer geworden sind und irgendwann vorzeitig Schluss gemacht haben. Und ein SS-Mann kommt herein und schreibt alle drei auf. Der besteht darauf, dass man die drei abspritzt."
Marko Max Feingold, 102 Jahre alt, vor der Synagoge Salzburg.
Der Zeitzeuge Marko Max Feingold vor der Synagoge Salzburg.© Deutschlandradio / Sabine Adler
Unter den Kommunisten in Buchenwald befanden sich demnach Mörder. Dass sich ehemalige KZ-Häftlinge schuldig gemacht und kollaboriert hatten, war für Exil-Kommunisten wie Walter Ulbricht eine überaus wertvolle Information. Die sogenannten Moskauer hatten den Krieg in der Sowjetunion abgewartet und waren nicht gewillt, die Macht den angeblich moralisch überlegenen Widerständlern der Lager zu überlassen.
Doch nicht nur die belasteten Kommunisten waren erpressbar. Die Mitläufer und Täter, von denen es weitaus mehr gab, hatte die Parteiführung in der Hand. Ende der 50er-Jahre hatte die DDR ihre Entnazifizierung bereits lange hinter sich. Dank eines Schnelldurchlaufs. Der Geschichtswissenschaftler Rüdiger Bergien:
"Das waren Schnellprozesse, wo im stalinistischen Stil, ohne weitergehende Zeugenvernehmungen, erpressten Geständnissen verurteilt wurde."
Das schematische Verständnis von Faschist und Antifaschist hat bis heute überlebt. Wenn die ukrainische Bürgerbewegung auf dem Maidan von Russlands Führung als Faschisten verunglimpft wird, regt das in Osteuropa kaum jemanden auf. Doch russische Propagandaprofis haben gelernt, dass in Westeuropa ein politischer Akteur kaum effektiver diskreditiert werden kann und in Deutschland noch immer einige auf starke Führer setzen. Ines Geipel verweist auf die Nähe von Rechtspopulisten zur Moskauer Führung:
"Wir wissen, was in Dresden auf den Pegida-Demonstrationen in Sachen Putin gesagt wird. Deswegen ist es so wichtig, wie wenig Aufarbeitung da geschafft ist."
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